Tennis:Der Davis Cup verschachert seine Seele

Tennis: Strahlende Sieger: 1988 holte das DTB-Team mit Boris Becker (v.l.), Patrik Kühnen, Teamchef Niki Pilic, Eric Jelen und Carl-Uwe Steeb den Davis Cup.

Strahlende Sieger: 1988 holte das DTB-Team mit Boris Becker (v.l.), Patrik Kühnen, Teamchef Niki Pilic, Eric Jelen und Carl-Uwe Steeb den Davis Cup.

(Foto: Werek/imago)

Im traditionellen Teamwettbewerb greift vom neuen Jahr an eine radikale Reform. Geopfert wird alles, was diesen Wettbewerb 118 Jahre lang so einzigartig machte.

Kommentar von Barbara Klimke

Einfallsreichtum hat noch keinem Wettkampfformat geschadet. Erinnert sei an den Moment, als John McEnroe den Schneidersitz ins Tennisspiel einführte. Mit allem anderen hatte er es 1987 in Hartford/Connecticut schon probiert: mit Fluchen, Meckern und seinem gefürchtetsten Instrument psychologischer Kriegsführung, der taktischen Schiedsrichterdiskussion. Als das nichts half, ließ er sich beim Seitenwechsel auf den Hintern nieder, um seinen Gegner Boris Becker zur Eile zu treiben und zu provozieren. Ohne Erfolg: Becker, damals 19, gewann den zweiten Durchgang 15:13 - und nach fünf zermürbend-unterhaltsamen Sätzen in 6:21 Stunden auch ein Match, das bis heute als eines seiner besten gilt. Dabei war es nicht einmal ein Finale. Nur ein Relegationsspiel im Davis Cup zwischen Deutschland und den USA. Aber eine elektrisierte Nation schaute trotzdem bis in die Puppen zu. Gewonnen haben Becker & Co. den Cup dann erstmals im Jahr darauf.

Solche sporthistorischen Momente lassen sich nicht kaufen, hieß es früher. Doch diese nostalgische These war schon immer falsch: Es hatte meist einfach noch keiner genug Zaster geboten. Am Donnerstag lag ein Angebot über drei Milliarden Dollar auf dem Tisch. Und für diese Summe wird nun der Davis Cup kassiert und alles, was ihn 118 Jahre lang einzigartig machte: die Fünfsatzmatches, die Länderduelle im Heim- und Auswärtsmodus, das Recht des Gastgebers auf die taktische Wahl des Bodenbelags und die Dramatik, die sich mal auf Rasencourts, mal in Cricketstadien oder in Stierkampfarenen entlud. Den Wettbewerb soll es zwar zunächst weiter geben in der Form der gängigen gigantischen Einwochen-Turniere. Aber fest steht: Am Donnerstag hat er seine Seele verloren.

Denn Tennis, seinem Ursprung nach ein Gesellschaftsspiel, lebt von seiner Geschichte. Oft genug wird die Historie gewinnbringend zum Geschäftsmodell geadelt. Nirgends ist dies eindrücklicher als in Wimbledon, dem bedeutendsten Filzballfestival, das blütenweiße Kleidung, werbefreie Banden, Erdbeeren und Gurkensandwiches als Tradition vermarktet. Der Londoner All England Club ist nur wenige Jahre älter als der Davis Cup, den 1899 der Harvard-Student Dwight F. Davis ersann. Er lud mit seinen Freunden die Engländer ein Jahr später zum Duell über den großen Teich, kaufte mit eigenem Geld eine große silberne Salatschüssel, die fortan als Trophäe diente, und schuf so einen Teamwettbewerb, dessen Renommee bis Mitte des 20. Jahrhunderts jedes Einzelturnier übertraf.

Die Verbitterung ist bei den Profis der südlichen Hemisphäre besonders groß

Der Vorteil bestand darin, dass der später vom Weltverband ITF veranstaltete Davis Cup nicht einem Land, einem Klub, einem Konzern oder Mäzen gehörte. Sondern gewissermaßen das ideelle Eigentum aller teilnehmenden Nationen war. Als Gastgeber konnten sie die Rahmenbedingungen diktieren und sich international profilieren. Sport war in vielen jungen Nationen der Kitt, der die Fugen der auseinanderstrebenden Kräfte zusammenhielt. In Australien etwa, das bei Staatsgründung weder Kunst noch Kultur als kollektives Erbe hatte, gehörte das Erlebnis Davis Cup zu den neuen Mythen, die einem multikulturellen Völkchen Identität verliehen. Auch deshalb ist die Verbitterung über das Verschachern dieses Guts bei den Tennisprofis der südlichen Hemisphäre besonders groß.

Dass Australien Ende 2019 einen eigenen Teamwettbewerb mit der Spielerorganisation ATP als Partner plant, verheißt nichts Gutes für die Zukunft des radikal zusammengestutzten Davis-Cup- Turniers. Es hätte sicher behutsamere Möglichkeiten gegeben, ein zeitgemäßes, für die Spieler attraktiveres Format der Duelle um die Salatschüssel zu entwickeln. Mit dem Schneidersitz war ja 1987 immerhin bereits ein Anfang gemacht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: