Süddeutsche Zeitung

Tennis:Sprosse für Sprosse

Das deutsche Davis Cup-Team schlägt Frankreich zum ersten Mal in 84 Jahren. Für Jan-Lennard Struff ist es auch ein persönlicher Erfolg.

Von Barbara Klimke, Hamburg/München

Der Davis Cup hat seine Akustik. In diesem Wissen wurde Teamchef Michael Kohlmann am Abend bestätigt, als er das deutsche Doppel betreute, sich wegen des Trubels kurz umdrehte und, wie er berichtete, hinter sich sah, "dass der Struff auf dem Stuhl stand". Jan-Lennard Struff, 32, gehört wahrlich nicht zu den Lautsprechern seiner Zunft, er ist ein höflicher, zurückhaltender Tennisprofi, aber am ersten Spieltag der Zwischenrunde in Hamburg absolvierte ein beachtliches körperliches und stimmliches Doppelprogramm: gut zwei Stunden ununterbrochenes Hüpfen und Rufen auf den Tribünenplätzen hinter der Bank des deutschen Teams. Und davor zwei Stunden in Aktion auf dem Center Court, um sein hart umkämpftes Einzel zu gewinnen.

Zwei Matchbälle wehrte Struff ab, als er am Mittwoch zum Auftakt der Begegnung gegen Frankreich Benjamin Bonzi, 26, im Tiebreak des dritten Satzes 6:4, 2:6, 7:5 bezwang. Es war die Grundlage des 2:1-Erfolgs, mit dem die DTB-Auswahl in die Turnierwoche startete. Der Kollege Oscar Otte, 29, verlor anschließend sein Debüt in diesem Traditionsländerkampf gegen Adrian Mannarino, ehe sich das Weltklasseduo Tim Pütz/Kevin Krawietz ebenfalls im Tiebreak 6:2, 3:6, 7:6 gegen Nicolas Mahut/Arthur Rinderknech durchsetzte. Mit Erleichterung rechnete Teamchef Kohlmann anschließend vor, dass so mit einigem Glück eine Niederlagenserie gegen Frankreich in Filzballduellen beendet wurde, die bis 1938 zurückreichte: "84 Jahre ist eine lange Zeit, um nicht zu gewinnen", fand er. Aber Struff fand in diesem Kollektiverfolg auch sein persönliches Glückserlebnis.

Gegen prominentere Gegner bei größeren Veranstaltungen war für Struff oft knapp im Tiebreak Schluss

Er gehörte schon immer zu den Profis, denen Kohlmann nur sagen musste, "wann es losgeht, dann packte er die Schläger", wie der Bundestrainer vor einiger Zeit berichtete; oft genug war Struff die Führungspersönlichkeit im Team. Aber sicherlich waren seine Erwartungen schon mal größer als nun in Hamburg, wo die DTB-Auswahl am Freitag noch gegen Belgien und am Sonntag gegen Australien spielt. Struff, noch 2020 die Nummer 26 der Welt, ist nach einer Fußverletzung, deren Ausgang ein Zehenbruch war, durchs Ranking gerutscht wie auf einer Spiralrutschbahn. Derzeit steht er an Position 132 und hat erkennen müssen, wie schwierig es ist, wieder in die Top 100 zu klettern. Auch deshalb schätzt er den Sieg im Davis Cup-Wettbewerb über Bonzi, Nummer 53, als "brutal wichtig" ein.

Jedes gewonnene Match ist wie eine Sprosse auf der Leiter. Jeder Erfolg mehrt den "den Glauben und das Selbstverständnis, die man braucht, um in den entscheidenden Momenten mutig zu spielen", sagt er. Denn ohne Mut wird kein Stoppball gespielt, kein Passierschlag auf die Linie gezwirbelt. Seit seiner Rückkehr auf die Tour im Juni hat Struff zehn Turniere, darunter zweitklassige Challenger, bestritten und eines in Braunschweig gewonnen. Gegen prominentere Gegner bei größeren Veranstaltungen war oft knapp im Tiebreak Schluss. Auch deshalb freute es Kohlmann, wie Struff nach vielen engen Niederlagen dieses wichtige Einzel im Länderduell gegen Frankreich noch drehen konnte. Die Unterstützung der Zuschauer in Hamburg sei eine enorme Hilfe gewesen, sagte Struff. Grund genug, später für die Doppelkollegen selbst auf den Stuhl zu steigen.

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