Süddeutsche Zeitung

Tennis:Davis Cup: Alexander Zverev erinnert an Boris-Becker-Tennis

  • In einem Marathonmatch unterliegt Alexander Zverev dem Tschechen Tomas Berdych mit 6:7 (6), 6:1, 6:4, 6:7 (5), 4:6.
  • Dennoch begeistert der 18-Jährige bei seinem Debüt im Davis Cup.
  • 1:1 steht es zwischen dem deutschen Davis-Cup-Team und Tschechien - nach dem Doppel am Samstag finden am Sonntag die Schlusseinzel statt.

Von Gerald Kleffmann, Hannover

Es war ein faszinierendes Match. Die meisten der 7000 Zuschauer klatschten und klatschten, Fernsehkommentator Nicolas Kiefer, früher selbst Profi, frohlockte, dass Alexander Zverev "einfach unglaublich dominant" agiere und "wie ein Top-Ten-Spieler" auftrete. Auch Kiefers ehemaliger Tour-Kollege Alexander Waske staunte über Zverev : "Er spielt verdammt clever. Er lässt sich nicht zurückfallen. Er spielt - ohne Worte."

Der erste Davis-Cup-Tag in Hannover endete zweifellos mit einer kleinen Sternstunde. Dass es nicht eine ganz große wurde am Freitagabend, lag nur an einem einzigen Moment. Es war nur ein verlorenes Aufschlagspiel zu viel, nach 4:20 Stunden Spielzeit. Zverev unterlag dem seit sechs Jahren ohne Pause in den Top Ten spielenden Tschechen Tomas Berdych mit 6:7 (6), 6:1, 6:4, 6:7 (5), 4:6. Damit verpasste er die 2:0-Führung für das deutsche Davis-Cup-Team im Erstrundenduell mit Tschechien; Philipp Kohlschreiber hatte zuvor Lukas Rosol mit 3:6, 6:3, 6:4, 2:6, 6:3 mühsam niedergerungen.

Aber Zverev, 18 Jahre jung, geboren in Hamburg, russische Eltern, Bruder des Profis Mischa, 28, hat bei seinem Debüt trotzdem begeistert. Phasenweise kamen Erinnerungen an das berühmte Boris-Becker-Tennis von früher auf. Ein Deutscher kämpft, beißt sich in jeden Ballwechsel, nimmt jeden Fehler persönlich, stemmt sich nicht nur gegen die Niederlage, sondern will gewinnen, gewinnen, gewinnen. So war das doch auch bei einem Rotschopf aus Leimen einst. "Becker hat vor allem sein Wille ausgezeichnet", sagte Günther Bosch, 78, in Hannover. Und der muss das wissen. Er war sein erster Trainer.

"Keine Anspannung": Zverev braucht niemanden, der sein Händchen hält

Als Zverev gefragt wurde, ob er trotz der Enttäuschung auch irgendwie stolz sei, ob er etwas Positives sehe, fiel ihm nichts ein. Schmallippig sagte der 1,98-Meter-Hüne: "Nein." Er ist nicht gekommen, um nur einen guten Eindruck zu machen.

Das Drehbuch ist allerdings noch nicht geschlossen, es könnte sich sogar noch eine grandiose Schlusspointe anbahnen: dass nämlich ausgerechnet der Jungspund Zverev den Deutschen am Ende den Sieg beschert, im letzten Einzel. Allerdings ist diese Pointe am Samstag doch ein großes Stück unwahrscheinlicher geworden. Denn Kohlschreiber und Philipp Petzschner verloren das Doppel gegen Berdych und Radek Stepanek mit 6:7 (7), 5:7, 4:6. Nun trifft am Sonntag zunächst Philipp Kohlschreiber auf Tomas Berdych, gegen den er bisher acht von neun Partien verloren hat. Im fünften Spiel dann stehen sich Zverev (ATP-Ranking 58) und Lukas Rosol (50.) gegenüber. Sollte Kohlschreiber vorher verloren haben, wäre das Spiel bedeutungslos - die Deutschen müssten im September in der Relegation um den Verbleib in der Weltgruppe antreten.

Sollte es Kohlschreiber hingegen gelingen, zum 2:2 auszugleichen, könnte Zverev den entscheidenden dritten Punkt holen. Den Gesamtsieg.

Die Frage ist dann aber auch, wie er körperlich sein Match vom Freitag verkraftet. Ob er mental frisch genug ist. Für ihn selbst liegt die Antwort auf der Hand: Zverev fühlt sich bereit.

Wie selbstbewusst und unerschrocken, ja kess Zverev ist, darüber hat Kohlschreiber eine kleine Geschichte erzählt. "Ich habe versucht, am Donnerstag in ihn reinzuhören", sagte der erfahrene 32-Jährige nach seinem Sieg am Freitag. "Er hat gesagt, hey, kein Problem, ich spüre keine Anspannung." Daraufhin dachte sich Kohlschreiber, das verriet er öffentlich: "Das war nicht das, was ich erwartet habe. Damit war es für mich gegessen." Zverev ist schon sehr weit für sein Alter. Er braucht keinen, der sein Händchen hält. Das ist auf dem Platz eine hervorragende Eigenschaft.

Warum Alexander Zverev - Spitzname: Sascha - nicht wie ein normaler Teenager mit offenem Mund staunend umherläuft, hat auch viel mit seiner Vita zu tun hat. Sein Manager Patricio Apey sagte der SZ: "Sascha wuchs ja quasi auf der Tour auf, weil er durch seinen Bruder alles hautnah erlebte. Er kennt die Tennisturniere, die Spielerrestaurants, die Umkleiden. Da war er schon als Junge." Und er sagte: "Er hat die Gabe, Erfahrung zu haben, ohne wirklich schon viel Erfahrung zu haben."

Die Folge: Zverev zuckt nicht zusammen, nur weil er in Hannover nun besonders im Fokus steht. Er kennt die Bühne. Er steht gerne auf ihr. Sie ist sein natürliches Revier. "Ein, zwei Punkte hier und da, und es hätte anders laufen können", fasste er professionell sein Match gegen Berdych zusammen. Als wäre es kein Spektakel gewesen. Sondern Karrierematch-Nummer 1046. Dabei hat Zverev im Davis Cup genau diese Zahl an Spielen absolviert: 1.

Den "Star-of-Tomorrow-Award" hat er schon

In dieser Partie zeigten sich diverse Fähigkeiten, die belegen, dass Zverev zurecht den "Star-of-Tomorrow-Award" der ATP als Vorschusslorbeer erhalten hat und ein zukünftiger Top-Ten-Profi sein dürfte. Er lässt nicht locker. Er lag in Satz eins 0:3 zurück - und hielt dagegen. Er verlor Satz eins unglücklich und hauchdünn im Tie-Break (6:8) - und hielt furios dagegen. "Er zieht sich raus", so formulierte es Waske.

Und er zeigte schlaues Tennis. Hielt die Fehlerquote lange niedrig. Zeigte Geduld. Um dann auch aggressiv zu werden und den Punkteaufbau mit einem Schuss abzuschließen. Zverev donnerte Berdych die Bälle manchmal wirklich um die Ohren, 6:1, 6:4. Gegen einen Wimbledon-Finalisten. "Er hat Qualitäten, die für Großes sorgen könnten", sagte Waske. Nur der allerletzte Punch wie beim Boxen fehlte ihm. Den vierten Satz konnte er nicht "zumachen", wie es in der Fachsprache heißt.

Boris Becker war auch in der Halle gewesen, der 48-Jährige, heute erfolgreicher Trainer des Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic, war für seine Davis-Cup-Verdienste geehrt worden. Allerdings war er nach dem ersten Satz von Zverev gegangen. Er flog nach London zurück, wo er lebt. Aber ein kleines bisschen hat auch er mitbekommen: Becker-Tennis lebt im Jahre 2016 wieder auf. Es heißt Zverev-Tennis.

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