Knirsch. Wenn es ein typisches BMW-Open-Geräusch gibt, dann ist es jenes, wenn die Menschen auf den Kieselstein-Wegen gehen. Der MTTC Iphitos ist eben keine künstlich geschaffene Event-Anlage, sondern bietet etwas, das der dreimalige Grand-Slam-Sieger Andy Murray in den höchsten Tönen gelobt hatte, ehe er 2015 den Titel abräumte: "It's a tournament in the club." ATP-Turniere in echten Tennisklubs gibt es wahrlich wenige, und noch seltener mit einem derart schmucken Klubhaus. Gerade an den sonnigen Tagen saßen einst auf der Terrasse zig Größen, Guillermo Vilas, der Argentinier mit der schönen Brustbehaarung, John McEnroe, Andre Agassi, Tommy Haas, you name it. Münchens kleines, feines Turnier kam stets münchnerisch, aber auch gern weltgewandt daher. Vor dem Klubhaus flanierten die Besucher und drehten sich die Hälse wund, um die prominenten Profis zu erspähen. Und mancher spähte zurück. Weil es so laut knirschte.
Tempi passati. An diesem Morgen in der Woche ist es still. Niemand geht. Wenn die Macher, zu Recht, auf etwas stolz waren, dann auf dieses spezielle BMW-Open-Feeling, diese heimelige, familiäre Atmosphäre, gemixt mit einem Schuss Perfektion. Der Automobilkonzern will sich in Sachen Professionalität schließlich nichts nachsagen lassen, wenn er schon mit dem Namen bürgt. Doch was ist, wenn plötzlich - verdammtes Corona - die Schotten dicht sind und nichts mehr knirscht? Was bleibt von einer Sportveranstaltung, wenn so vieles fehlt, was Flair und Charme ausmacht, die Zuschauer, die Essensbuden, der Marktplatz, die Sponsorenstände, die Nähe aller zueinander? Nicht mal Autos sind ausgestellt (bis auf das Auto, das der Sieger erhält). So weit kam es noch nie.
Erste Erkenntnis: "Wir haben jetzt Platz", sagt Patrik Kühnen. Der frühere Davis-Cup-Spieler und jetzige Turnierdirektor schaut so zweck-optimistisch, wie es geht in diesen Tagen. Das Beste draus machen, ist sein Motto, klar. Wenn die beteiligten Kräfte am Aumeisterweg eines eint, dann stechen zwei Sichtweisen heraus: Dankbarkeit, dass das Turnier stattfindet. Und: Wehmut. "Ich sehe uns auch als Entertainer", hatte Philipp Kohlschreiber zugegeben. Doch im Stadion fehlt nun diese Motivation. Niemand ist zum Unterhalten-werden da. Und die Zuschauer, die sein Match im Stream bei ran.de sahen (am Wochenende überträgt auch der BR), kann Kohlschreiber ja selbst nicht sehen. Also hofft Kohlschreiber, 37 inzwischen, auf bessere Zeiten. Was bleibt ihm auch übrig.
"Es tut einfach wieder gut, mit Menschen zu tun zu haben", sagt Oberschiedsrichter Peick
Auch die Trainer vermissen die Stimmung, etwa Lukas Wolff. Aber er sieht zumindest unter den jetzigen Bedingungen einen pragmatischen Nutzen: "Es ist entspannter. Die Anlage wirkt anders. Wir haben viele Trainingsplätze." Freie Auswahl quasi, weil nichts verbaut ist mit Ständen. Wolff ist der Coach des Karlsruhers Yannick Hanfmann, der am Donnerstag vor seinem Achtelfinalmatch aufgeben musste, wegen Nackenproblemen.
Lars Uebel, wie Wolff in der Oberhachinger Tennis-Base tätig, versichert aus sportlicher Sicht wiederum: "Das Turnier hat den Stellenwert wie immer, die Spieler haben die gleiche Anspannung." Wenngleich Uebel, der Sportliche Leiter der Base, glaubt: "Gerade hier können die Zuschauer ja die deutschen Spieler pushen, das fehlt. Vielleicht macht das ein, zwei Prozent aus." Ja, vielleicht hätte das einem wie dem jungen Max Rehberg geholfen, Unterstützung per Applaus. So musste das Talent in der ersten Runde der Qualifikation recht alleine gegen den Litauer Ricardas Berankis ran. Er verlor knapp.
Familiencharakter ist indes schon zu spüren. Viele Arbeitskräfte, die mit dem Turnier zu tun haben, sind lange dabei. Norbert Peick ist so ein Loyaler, der hier einfach dazugehört, der weitgereiste Oberschiedsrichter, der im März noch beim Davis-Cup-Duell Pakistans in Islamabad gegen Japan im Einsatz war. "Es tut einfach wieder gut, mit Menschen zu tun zu haben", sagt er. Und, ein Vorteil in München: "An der frischen Luft zu sein." Im Herbst war Peick zwei Wochen beim Kölner Hallenturnier. Lief alles gut. "Aber man musste kämpfen." Stadionsprecher Ralf Exel sagt seinerseits, er musste sich daran gewöhnen, fröhliche Aufsager zu machen vor leeren Sitzen: "Am Ende versucht man, Profi zu sein." Mit seiner markanten Stimme vermittelt er in jedem Fall einen Hauch Normalität. Auch deshalb begrüßt er per Mikrofon die Spieler, wenn sie auf den Platz kommen.
Für die Journalisten der schreibenden Medien bleibt ebenfalls nichts anderes übrig, als sich den Realitäten anzupassen, wozu manch skurriler Ablauf gehört. So sitzen sie in einer (Tennis-)Halle und interviewen die Spieler, die vorne im Klubhaus sitzen, per Video-Schalte. Manchmal immerhin ist es fast wie früher. Am Donnerstag beantwortete Casper Ruud, der an Nummer zwei gesetzte nette Norweger, im Freien in einem Sitzkreis mit viel Abstand Fragen. Man redete, richtig von Mensch zu Mensch (nur mit Masken), Ruud erzählte von seinen Zielen und seiner Passion, dem Golfen, und dass er darauf hoffe, in einem Golf-Club bei Oslo als Mitglied aufgenommen zu werden. In der Warteliste sei er "auf Rang 953". Alle lachten. Nach 15 Minuten war die Runde vorbei. Und der unbeschwerte Moment. Jeder kehrte in seine Sicherheitszone zurück.
Das BMW-Open-Feeling? Mmh. "Mir kommt es vor, als wäre ich bei einem Turnier für Profis in einem Klub für Profis", sagt Michael Kohlmann, der deutsche Männer-Bundestrainer. "Man ist unter sich." Das trifft es ganz gut. Als Eindruck bleibt: So wie sich Tiere in der Pandemie Raum in der Natur zurückerobert haben, haben nun die Tennisspieler die Anlage in Beschlag genommen. Alle machen ihren Job, auf und neben dem Platz. Muss ja weitergehen. Aber: So richtig glücklich sind alle nicht.