Süddeutsche Zeitung

Tennis:Das Jahr endet in Linz

Nur in Oberösterreich wird derzeit noch Frauentennis gespielt - dort fliegen die letzten Bälle der Saison. Dass es auf der Männertour weit weniger Turnierabsagen gab, liegt vor allem am Reiseplan und den strikten Bedingungen der Frauentour.

Von Barbara Klimke

Tennis ist ein Reisesport, ein Beruf, der an spektakuläre Orte führt, vom Eiffelturm bis zu Aucklands Sky Tower, Neuseelands höchstem Aussichtsturm. Dass die Zahl der Flugrouten, mit denen die Frauen-Tour WTA ihre Spielerinnen weltweit bedient, im Corona-Herbst schrumpfen würde, war deshalb abzusehen. Die Liste der Absagen ist dann doch erstaunlich lang geworden. Das Turnier in Taschkent: abgeblasen. Das Ziel Taipeh: gestrichen. Auch an den Standorten Seoul, Hongkong, Tianjin, Peking, Wuhan, Nanchang, Moskau und Tokio fand in den Monaten September bis November kein Match statt. Nicht einmal das Prestigeturnier der WTA, das ursprünglich mit 14 Millionen Dollar dotierte Saisonfinale in Shenzhen, wird über die Bühne gehen. In der Tat findet sich derzeit weltweit nur ein Ort, an dem überhaupt noch die Filzbälle der Profispielerinnen übers Netz fliegen: in Linz, in Oberösterreich, wo Sandra Reichel das von ihrer Familie vor 30 Jahren gegründete Turnier über die Zeit gerettet hat.

"Natürlich fragt man sich: Traut man sich das zu? Schafft man das unter diesen Umständen?", sagt die Turnierdirektorin. Sie hat zu Wochenbeginn, mitten im landesweiten Lockdown, trotzdem 32 Einzel- und 16 Doppelspielerinnen in Linz begrüßen können, darunter Belgiens Spitzenkraft Elise Mertens sowie Arina Sabalenka aus Belarus, die Nummer elf der Welt. Voraussetzung waren laut Sandra Reichel die minutiöse Einhaltung der Richtlinien der WTA, aufgelistet in einem umfänglichen, rund 90-seitigen Pandemie-Papier, sowie die Vorgaben der österreichischen Behörden, anhand derer das Linzer Hygienekonzept erarbeitet wurde. Es hatte auch noch Bestand, als eine Woche vor dem ersten Aufschlag die staatlichen Schutzmaßnahmen verschärft wurden und eine nächtliche Ausgangsbeschränkung in Kraft trat. Die Athletinnen bewegen sich isoliert in ihren zwei Sicherheitszonen, dem Spielerhotel und der Arena. Das Publikum bleibt außen vor. "Wir haben viel Platz, alles ist entzerrt, die Fenster sind geöffnet, jeder trägt Maske", sagt Reichel. Getestet werde regelmäßig und rigoros. Wäre das Risiko zu groß gewesen, dann hätten sie in Linz auf das Jubiläumsturnier verzichtet: "Aber es ist auch ein wichtiges Zeichen weltweit, wenn Sport unter diesen strengen Rahmenbedingungen stattfinden kann."

Die Frauen nahmen den Spielbetrieb früher auf, hatten aber weniger Turniere

Möglich und praktikabel also ist der Schlagabtausch unter einer Schutzglocke in der Epidemie. Das haben auch die spätsommerlichen, frühherbstlichen Grand-Slam-Turniere in New York und Paris kürzlich dem Fernsehpublikum vor Augen geführt. Umso merkwürdiger wirkt der Umstand, dass die Tennisorganisation WTA, die sich als "Weltführer im Profisport der Frauen" versteht, ihrer Klientel kaum noch Angebote zur Berufsausübung unterbreiten kann. Seit den French Open in Paris, als sich am Bois de Boulogne das Laub färbte und die 19-jährige Iga Swiatek im bunten Kleid am 10. Oktober ihren großen Silberpokal präsentierte, wurden nur noch zwei Turniere ausgerufen: Erst in Ostrava/Tschechien am 19. Oktober. Und nun in Linz. Schon in Paris hatte Venus Williams, 40, eine Stammspielerin auf der Tour, die Saison persönlich für beendet erklärt - weil es schlicht keine Wettkämpfe mehr für sie gebe: "There's nowhere to go." Laura Siegemund, 32, aus Filderstadt, die in Paris im Viertelfinale stand, wunderte sich ebenfalls über den ausgedünnten Turnierkalender: Mehrmals habe sie bei verantwortlicher Stelle nachgefragt, aber keine Informationen erhalten, sagte sie damals der Agentur SID und folgerte: "Es ist schon recht mager, was angeboten wird."

Rätselhaft erschien den Tennisspielerinnen dies auch deshalb, weil bei den Männern auf der ATP-Tour unterdessen munter weiter auf den kleinen Ball gedroschen wird. Auch zum großen Saison-Kehraus der ATP in London reisen Rafael Nadal, Alexander Zverev & Co. am Sonntag selbstverständlich an. "Wir sind offenbar nicht in einer so glücklichen Lage wie die Männer, was die Angebote betrifft", stellte die Britin Johanna Konta vor Wochen fest.

Die WTA erklärt die Diskrepanz zwischen dem Männer- und dem Frauenkalender damit, dass ihr von staatlicher Stelle bedauerlicher Weise die Hände gebunden sind. "Chinas oberste Sportbehörde hat die Entscheidung getroffen, dass das Land als Folge der Covid-19-Pandemie 2020 keine internationalen Wettkämpfe mehr ausrichtet. Deshalb mussten alle WTA-Turniere, einschließlich des WTA-Finals abgesagt werden", teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Diese Wettbewerbsverknappung habe die Frauen härter getroffen als die Männer, weil die WTA ihre Herbstsaison schon seit Jahren nach Asien verlegt. Dort wurden neue Märkte für Frauentennis erschlossen. Die ATP lässt das Jahr traditionell in Europa ausklingen, wo es sich nach Meinung der Frauen-Organisation als einfacher erwiesen habe, mit neuen Hygienekonzepten an vereinbarten Terminen festzuhalten. Seit der Spielbetrieb im August neu gestartet wurde, rechnet die WTA vor, hätten bei den Frauen immerhin "zehn Events stattgefunden, bei der ATP 15 Events". Die Frauen, auch das ist festzuhalten, nahmen ihre Matches bereits einige Wochen vor den Männern auf.

In Linz weist Sandra Reichel darauf hin, dass die Regeln der WTA "strikter und aufwendiger sind als die der ATP". Sie kennt die Unterschiede, denn sie hat auch das Männerturnier in Hamburg organisiert. Vielleicht, sagt sie, habe das "einige Veranstalter abgeschreckt". Sie selbst habe das Glück, dass ihre Sponsoren und die österreichischen Partner zu ihr standen: "Aber ein Turnier in der Pandemie bleibt unberechenbar." Die Saison endet nun in Linz.

Wie es weitergeht? Auckland, Ausrichter im Januar, hat schon abgesagt.

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SZ vom 13.11.2020
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