Süddeutsche Zeitung

Carlos Alcaraz in Indian Wells:Duelle der Zukunft

Daniil Medwedew gegen Frances Tiafoe, Carlos Alcaraz gegen Jannik Sinner - und dann Medwedew und Alcaraz im Finale: In Indian Wells sind die neuen Rivalitäten im Männertennis zu bestaunen.

Von Jürgen Schmieder, Indian Wells

Ein paar Dinge, die man bei Spaziergängen über die Tennisanlage in der kalifornischen Wüste übers Männertennis gehört hat: die Debatte zweier Jungs, zwölf Jahre alt, ob man angesichts der Partie zwischen Daniil Medwedew und Alexander Zverev davon ausgehen müsse, dass diese Rivalität künftig in vielen Grand-Slam-Finals zu bestaunen sein werde - oder vielleicht, angesichts des nicht minder spektakulären Duells ein paar Tage später: Taylor Fritz gegen Jannik Sinner.

Kurz darauf twittert der US-Tennisreporter Ben Rothenberg, dass es ihm das Halbfinale zwischen Sinner und Carlos Alcaraz angetan habe und dies die Rivalität dieser Disziplin werde - was Turnierdirektor Tommy Haas bezweifeln dürfte: Er saß beim Halbfinale zwischen Medwedew und Frances Tiafoe im Büro und schnalzte immer wieder mit der Zunge: "Wenn Frances heiß läuft, sind das immer Wahnsinnspartien; die mit Daniil ja sowieso immer."

Es gab viel zu bestaunen auf der Anlage in Indian Wells - auch im Finale, Alcaraz gegen Medwedew, das zum einen deshalb so viel versprach, weil die beiden ganz einfach äußerst gut drauf sind zurzeit: Medwedew hatte 19 Partien nacheinander gewonnen; Alcaraz bei jedem der bislang drei Turniere, an denen er in diesem Jahr teilgenommen hatte, mindestens das Finale erreicht. Zum anderen stand ein taktischer Leckerbissen zweier Tüftler an: Beide könnten von ihrer Spielphilosophie her unterschiedlicher kaum sein, und natürlich versuchten sie dann, einander zu übertölpeln.

Strategisch perfektes Tennis: Alcaraz macht mit Medwedew, was immer er will

Es war dann schnell vorbei, 6:3, 6:2 hieß es nach gerade mal 70 Minuten. Alcaraz hatte Medwedew übertölpelt und dann mit ihm den Platz abgezogen. "Es tut mir wirklich leid, dass ich dieses Finale nicht interessanter gestalten konnte", sagte Medwedew nach dieser Partie, die alle, die sie gesehen hatten, als wegweisend einstuften.

Es war nämlich so: Alcaraz spielte strategisch perfektes Tennis. Er hatte die technischen Fähigkeiten, das gegen den wohl unbequemsten Gegner im Männertennis zu tun - und den Mut, das konsequent durchzuziehen. Medwedew ist zum Aufschlag des Gegners für manchen Zuschauer im Stadion nicht zu sehen, weil er sich gar so weit hinter der Grundlinie aufstellt. Alcaraz' Strategie von der Vorhandseite: Slice-Service nach außen, sofort ans Netz und den Winkel für einen möglichst einfachen Volley nutzen; Medwedew also gar nicht in den Ballwechsel kommen lassen. Auf der Rückhandseite: langsamer Aufschlag mit so viel Kick, dass Medwedew noch weiter nach hinten muss - und nach dem Return sofort einen Stopp. Der Spanier beraubte Medwedew damit seiner großen Stärke: über zwei, drei sichere Schläge in einen Ballwechsel zu kommen und dann Druck aufzubauen.

Die Strategie bei Aufschlag Medwedew: den zweiten Aufschlag mit vollem Risiko attackieren; den Ball möglichst noch vor dem Erreichen der Grundlinie nehmen und selbst mit der Rückhand einen Gewinnschlag probieren. Ansonsten: sich nicht nerven lassen von der Positionierung Medwedews, sondern damit spielen, also: hohe Topspin-Vorhand auf die Vorhand des Gegners, danach sofort einen Stopp auf die Rückhandseite. Oder: Medwedew bei jedem auch nur ein bisschen langsameren oder kürzeren Grundschlag attackieren und ab ans Netz, damit der wieder keine Möglichkeit hat, in einen Ballwechsel zurückzukehren.

Klar, das liest sich alles so leicht - in Wirklichkeit braucht es dafür ein nahezu perfektes Spiel, weil es Tempowechsel (Topspin-Vorhand zu Stopp), Mut (auch nach langsamem Aufschlag ans Netz) und Disziplin erfordert: Trainer Juan Carlos Ferrero ermahnte Alcaraz nach jedem dritten Punkt, nicht übermütig oder locker zu werden. Das tat Alcaraz: Er holte sich in beiden Sätzen jeweils ein frühes Break, im zweiten sogar ein zweites.

Er machte mit Medwedew also, was immer er wollte - und wer konnte das nach Partien gegen den US-Open-Sieger von 2021 in den vergangenen drei Jahren von sich behaupten? Medwedew war nach der Partie dann auch ehrlich beeindruckt: "Ich habe keine Lösung gefunden, weil er wirklich fast perfekt gespielt hat."

In Europa werden wohl noch Nadal und Djokovic dazustoßen

Das Wunderbare an dieser Rivalität zwischen Medwedew und Alcaraz, der nun wieder die Nummer eins der Welt ist: Sie ist eine rein sportliche. Es gibt kein Gegockel wie einst zwischen Connors und McEnroe, das heute noch ein klein wenig peinlicher ist, weil es beiden das bis heute nicht einmal ein bisschen ist. Medwedew und Alcaraz finden das Spiel des anderen richtig toll. Es ist der Respekt vor dem anderen, der sie zu grandiosen Leistungen treibt, nicht die Antipathie.

Ohnehin ist Medwedew einer, der den Zuschauer mitnimmt, weil er auf dem Platz sein Herz vor sich herträgt - und in Interviews danach eloquent erklärt, was da vorher passiert ist. Zum Beispiel: "Es kann schon sein, dass jemand sagt, dass ich einen Fehler gemacht habe - und ich sage: Nein, das sehe ich anders. In diesem Fall sehe ich ein: Das war doch nicht so gut von mir. Da muss ich an mir arbeiten und fragen: Was bringt es mir, wenn ich mich so verhalte? Also nicht nur sagen: Da muss ich besser werden - sondern es auch tun."

Das ist eine typische Medwedew-Aussage. In diesem Fall hatte er sich während der Partie gegen Zverev über den langsamen Belag beschwert und zum Schiedsrichter gesagt: "Ich werde nun auf die Toilette gehen und dabei so langsam sein wie der Belag - kann also dauern." Auch Alcaraz nimmt die Beobachter mit - während der Spiele über die kurzen Dialoge mit Trainer Ferrero, danach in Interviews, wenn er strategische Elemente bis ins Detail erörtert. Und Alcaraz und Medwedew tun das auch nach seltenen Niederlagen - wenn andere schon mal Zwei-Wort-Antworten blaffen.

Medwedew gegen Alcaraz, das könnte wahrlich das Duell der Zukunft sein. Aber, weil man beim Verlassen der Anlage noch ein Foto von Stefanos Tsitsipas sieht (der in Kalifornien in der ersten Runde ausschied): Es gibt da noch ein paar andere Kandidaten für grandiose Partien. Und: In Europa werden Rafael Nadal (könnte nach seiner Verletzung wohl in Monte-Carlo antreten) und Novak Djokovic (durfte nicht in die USA einreisen) wieder dabei sein - nur damit die niemand vergisst. Kann einem ja fast passieren angesichts der beeindruckenden Partien von Indian Wells.

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