Tennis:Buddha hat Hunger

2019 Australian Open Men's singles tennis champion Novak Djokovic, Melbourne, Australia - 28 Jan 2019

Lässig im Botanischen Garten: Novak Djokovic posiert nach seinem siebten Turniersieg in Melbourne.

(Foto: David Crosling/Epa/Rex)

"Wie viele Jahre habe ich noch?" Ein sehr entspannter Novak Djokovic bläst zum Angriff auf die Rekorde seines Sports. Nächstes Ziel: die French Open und der zweite Novak-Slam.

Von Barbara Klimke, Melbourne

Am Morgen danach posierte er für die Fotografen im Botanischen Garten von Melbourne und sah aus wie das blühende Leben. Kein Anzeichen von Anstrengungen nach den Strapazen eines Zweiwochenturniers mit sieben Matches, keine Spuren einer durchfeierten Nacht. Auf dem Rasen sitzend oder auch mal liegend, den Silberpokal neben sich, dahinter sanft schaukelnde Gondeln auf einem Teich, wirkte er so im Reinen mit sich und buddhamäßig gelöst, wie das möglich ist bei einem Mann von Novak Djokovic' Temperament, der nach eigener Aussage noch immer "hungrig auf Titel" ist.

Eine "wahrhaft perfekte" Vorstellung habe er gezeigt bei dem furiosen Dreisatz-Triumph im Finale der Australian Open, fand Djokovic. In seiner langen Karriere ist er zu weit leichteren Erfolgen gekommen als zu diesem 6:3, 6:2, 6:3 gegen seinen Lieblingsrivalen, den Spanier Rafael Nadal, aber niemals bei einem seiner nunmehr 15 Grand-Slam-Siege. "Das ordne ich ganz oben ein in meiner Liste", erklärte er noch am Sonntag im ersten Glücksgefühl, als er eine Reihe von Interviews in der Rod Laver Arena in Melbourne gab und ihn draußen vor dem Stadion die serbischen Fans laut feierten: Sich unter diesen Umständen, vor 15 000 Zuschauern im Finale des wichtigsten Wettbewerbs der südlichen Hemisphäre, gegen die Nummer zwei der Welt durchzusetzen, sei ein fantastisches Gefühl.

Ganz überraschend kam der Triumph, sein siebter in Melbourne, nicht. Er war als einer der Favoriten angereist, als Sieger der beiden vorherigen Grand-Slam-Veranstaltungen in Wimbledon und New York und als Nummer eins im Ranking. Mit dem nächsten Pokal, noch dazu errungen gegen Nadal, dem nach einer Verletzungspause laut eigenem Eingeständnis die Matchpraxis für ein ebenbürtiges Duell mit dem zähen Serben fehlte, öffnen sich für Djokovic nun jedoch ganz neue Perspektiven. Experten wie Australiens Tennisidol Rod Laver trauen ihm zu, dass er trotz seines Alters von 31 Jahren den Rekord des Altmeisters Roger Federer bricht, der 20 Grand-Slam-Titel erobert hat. Das sei "mit Sicherheit möglich", glaubt Laver. Abwarten!, sagte Djokovic grinsend dazu: "Wie viele Jahre habe ich noch? Keine Ahnung." Näher läge da eine andere Hypothese: nämlich die, dass er die vier Grand-Slam-Turniere - also die Australian Open, French Open, Wimbledon und US Open - jeweils zumindest ein zweites Mal gewinnt; einen Titel bei jedem Turnier (genannt: Karriere-Grand-Slam) hat er schon. Oder noch besser: dass er alle vier hintereinander gewinnt, und zwar in einem Kalenderjahr. In der Geschichte des Sports ist diese Großtat bisher erst zwei männlichen Filzball-Heroen gelungen: dem Amerikaner Don Budge (1938) sowie Rod Laver (1962 und 1969). Für Djokovic wäre das die "ultimative Herausforderung", aber dazu müsste er den 80-jährigen Laver für sein Team anheuern, scherzte er: "Der ist der Einzige, der weiß, wie man das Unmögliche schafft."

Nichtsdestotrotz will er sich akribisch auf die French Open im Mai vorbereiten, wo sich ja tatsächlich die nächste Möglichkeit ergibt. Sollte er dort gewinnen, würde ihm etwas Rares gelingen: alle vier Major-Titel gleichzeitig zu halten. Der "Novak-Slam" war ihm schon 2015/2016 gelungen.

Bis Paris sind aber noch viele Bälle übers Netz zu bugsieren. Djokovic will das Training auf Sandplätzen intensivieren, weil er 2018 bereits im Viertelfinale der French Open verlor, gegen Marco Cecchinato, damals Nummer 72 der Welt: "Ich muss da besser spielen als im vergangenen Jahr, wenn ich eine Titelchance haben will." Zumal im Finale meist Rafael Nadal, der elfmalige Titel-Matador von Roland Garros, warte. Der Spanier, inzwischen 32, hat seinem Gegner am Sonntag neidlos zugestanden, dass er "fantastisch" und "auf dem höchstmöglichen Niveau" agierte. Für ein solches Urteil ist er die größte Kapazität, sie haben sich in nunmehr 53 Duellen seit 2006 die Bälle um die Ohren geschlagen, ein Rekord auf der Männertour.

Djokovic selbst findet seinen Höhenflug ein bisschen erstaunlich, zumindest aus der Perspektive des vergangenen Jahres betrachtet. Damals quälte er sich seit Monaten mit einem schmerzenden Ellbogen im Schlagarm und verlor im Achtelfinale sang- und klaglos gegen den 21-jährigen Profi Hyeon Chung aus Südkorea. Anschließend wurde Djokovic am Arm operiert. "Höchst unwahrscheinlich" erschien ihm die Vorstellung, ein Jahr später mit drei weiteren Grand-Slam-Trophäen dazustehen. "Ich habe damals schlecht gespielt, ich habe mich unwohl auf dem Court gefühlt und habe alles hinterfragt" - auch die Fortsetzung der Karriere.

Es war nicht der erste Rückschlag. Schon 2016, als er zum ersten Mal eine ähnliche Dominanz ausstrahlte wie heute und sogar auf ungeliebtem Sand in Paris zum Titel rutschte, schlitterte er anschließend in die Krise: frühe Niederlage in Wimbledon als Titelverteidiger, Erstrunden-Aus bei Olympia in Rio, Finalniederlage bei den US Open. Zum Jahresende trennte er sich von seinem Trainer Boris Becker. Er wurde spiritualistischer, manche sagten, wunderlicher, der Ellbogen schmerzte, und er tauschte die Betreuer im schnellen Wechsel.

Jetzt ist die Zeit der Experimente offenbar vorbei. Seit April 2018 weiß er wieder seinen alten Coach, Marian Vajda, an seiner Seite. Die Familie und die beiden kleinen Kinder zu Hause in Monte Carlo, die sein Finale in Melbourne am Fernsehen verfolgen durften, sorgen für Ausgeglichenheit und geben ihm Halt. Befragt, ob er eine Chance sehe, den Grand-Slam-Rekord Federers anzugreifen, sagte er, ohne Luft zu holen: "Ich will versuchen, das allgemeine Wohlbefinden, das ich mental, körperlich und emotional habe, zu erhalten, sodass ich in der Lage bin, die nächsten Jahre auf demselben hohen Niveau zu spielen, um letztlich einem Angriff auf Rogers Rekord näher zu kommen." Das klang sehr buddhamäßig, so kurz nach dem Finale.

Jetzt braucht er nur noch einen Gegner, der ihn aus der Puste bringt. Rafael Nadal, der bei 17 Grand-Slam-Titeln steht, hat angekündigt, dass er an seiner Fitness arbeiten will, um Djokovic beim nächsten Duell etwas mehr über den Platz zu scheuchen. Als Hilfe wollte Nadal das allerdings, bei aller Wertschätzung, aber kaum verstanden wissen.

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