Wimbledon-Finale 1980:Duell der Duelle

björn borg john mcenroe

Schreiben am 5. Juli 1980 Tennisgeschichte: Björn Borg (links) und John McEnroe

(Foto: imago)

Björn Borg und John McEnroe liefern sich am 5. Juli 1980 in Wimbledon den spektakulärsten Tie-Break der Tennis-Geschichte - in einem Finale, das den Sport verändert. Hommage an zwei Riesen.

Von Milan Pavlovic

Der Tie-Break beginnt um 17.01 Uhr Londoner Zeit. John McEnroe muss ihn gewinnen, will er sein erstes Wimbledon-Finale nicht in vier Sätzen verlieren. Der Linkshänder geht tief in die Knie, serviert mit viel Schnitt in die Platzmitte und eilt ans Netz. Björn Borg umläuft die Rückhand, aber der Vorhandpassierball des Schweden und sein anschließender Lob sind nicht gut genug. McEnroe schmettert den zweiten Volley unerreichbar gegen die Laufrichtung des Widersachers ins Feld, 1:0.

Im Herzen des Sports steht das Duell. Es mag faszinierend sein, was der Bergsteiger Reinhold Messner früher geschafft hat, was der Freeclimber Alex Honnold heute leistet oder wie gierig ein Klub wie der FC Bayern München nach all den Titeln noch sein kann. Aber große Athleten brauchen Reibung, brauchen jemanden, an dem sie sich messen können, brauchen ein Verhältnis, das es ermöglicht, ihre Größe abschätzen zu können. Muhammad Ali wäre nicht der Gigant, der er ist, wenn er nicht Gegner wie George Foreman oder Joe Frazier gehabt hätte. Roger Federer wäre schwer denkbar ohne Rafael Nadal und Novak Djokovic. Ayrton Sennas Stern strahlte am hellsten, als er Alain Prost als Rivalen hatte. Deutschland und Italien verschoben bei der WM 1970 den Standard für Fußball-Spiele.

Borg braucht nach gängiger Tie-Break-Logik sieben Punkte für den Titel. Er tippt den Ball einmal auf, eilt dann ebenfalls nach vorne, aber er muss nichts machen, McEnroe retourniert ins Netz, 1:1. Beim nächsten Ballwechsel bleibt Borg an der Grundlinie, McEnroe unterläuft ein leichter Rückhandfehler, 1:2. Der Amerikaner fleht leise um Beistand.

Es ist selten genug, dass so eine Konstellation vorkommt: dass Widersacher zur selben Zeit in Bestform sind. Formel-1-Fahrer wie Michael Schumacher und Sebastian Vettel begründeten ihren Ruhm in Zeiten, als sie ihren Sport quasi gegnerlos dominierten. Lewis Hamilton droht vielleicht das gleiche Diktum. Seine Duelle mit Vettel? Wirkten letztlich so, als wäre in einem Western einer mit einem Colt zum Showdown erschienen und der andere mit einer Nagelfeile.

Wo das alles hinführt? Zum 5. Juli 1980, einem Nachmittag vor genau 40 Jahren.

McEnroe lässt sich zwei Bälle geben, tippt sie abwechselnd in gemütlicher Frequenz auf seinem Schläger, den er wie einen Teller vor der eigenen Hüfte hält. Er steckt einen Ball weg, schüttelt einmal die Schultern, um das Hemd wieder in Position zu bringen, kratzt mit den Fingern rasch hinter seinem Ohr und dem roten Stirnband. Dann stellt er sich parallel zur Grundlinie auf, justiert den rechten Fuß an dem Kreidestrich, den Blick zumeist zum Boden gerichtet, und beginnt mit seiner einzigartigen Wippe, als würde er aufwendig ein Kind im Schaukelstuhl bewegen. Er tippt den Ball einmal auf und schwingt gleichzeitig in leicht gekrümmter Haltung den Schläger nach vorne, tippt den Ball noch einmal auf und holt nun nach hinten aus, gegenläufige Bewegungen einer Windmühle. Dann kommen die beiden gestreckten Arme in den gleichen Takt, schwingen parallel, ein-, zwei-, dreimal, das Gewicht ist fast zur Gänze auf dem rechten Fuß, während der Spieler offenbar überlegt, wohin er servieren wird. Er geht noch tiefer in die Knie, streckt sich in den Schlag und startet gleichzeitig explosiv Richtung Netz - diesmal kommt er durch die Mitte und setzt einen perfekten Vorhandvolleystop, 2:2. Es folgt die gleiche Bewegung auf der Einstand-Seite, Fehler Borg, 3:2. Danach eine vergebene Chance von McEnroe, 3:3.

Fünf Jahre und zwei Tage bevor Boris Becker Tennis auf immer veränderte - und zwar nicht nur für deutsche Fans -, schrieben Borg und McEnroe ein besonderes Kapitel in der Geschichte der besten Sportduelle. Ihres ist nicht bloß eine Legende, die zu einem Spielfilm und zu einem Theaterstück in London wurde, es ist auch eines dieser Ereignisse, die bei einer Überprüfung wachsen und jede Erwartung hinter sich lassen. Es ist ein Trip in eine andere Zeit, und wenn man sich Schnipsel oder längere Passagen auf Internet-Seiten ansieht, staunt man, wie anders alles ist: das Tennis und die Mode, klar, aber auch das Ambiente und der Auftritt und die Inszenierung.

Seine lange blonde Mähne war wie ein Vorhang, der seine Seele überdeckte

CENTER COURT Wimbledon 1980 BORG Bjoern SWE gewinnt zum 5.Mal in Wimbledon Maenner Finale 1980 Bjoern Borg - John McEnro; Borg

Der Schauplatz: Der Center Court in Wimbledon beim Finale 1980

(Foto: imago images/Laci Perenyi)

Borg serviert cross auf die Linie, Kreide staubt auf, so dass McEnroe nicht einmal nölen kann, 3:4. Servicewinner des Amerikaners zum 4:4. Borg zwingt McEnroe zu einem schwierigen Halbvolley und dann zu einem Flugballfehler, erstes Mini-Break, 4:5. Doch McEnroe zwingt Borg sogleich zu einem ebenso schwierigen Halbvolley und passiert ihn dann, 5:5.

Essentiell für legendäre Tennismatches ist, dass die Rivalen sich unterscheiden. Taktisch. Und menschlich. Zwei Aufschlagmonstern zuzusehen ist auf Dauer ebenso dröge wie zwei iberische Wühler dabei zu beobachten, wie sie Bälle in den Sand buddeln. Weil er beides nicht tut, funktionieren Federer-Partien seit über 20 Jahren so gut. Und weil sie sich auf den ersten Blick so sehr voneinander unterschieden, waren Borg und McEnroe die Galionsfiguren der Prä-Becker-Ära. McEnroe ließ seinen Emotionen freien Lauf, man wusste stets, was in ihm vorging. (Zumindest glaubte man es zu wissen.) Borg hingegen war - nach außen hin - der menschliche Eisblock, ein Rätsel, seine lange blonde Mähne war wie ein Vorhang, der seine Seele überdeckte. Er blieb unentschlüsselbar bis zu dem Moment, an dem er nach dem verwandelten Matchball auf die Knie sank, wenige Stunden bevor er seinen Bart rasierte, den er während des Turniers aus Aberglaube wachsen ließ.

Der Schwede attackiert mutig die Linie entlang und zwingt seinen Gegner zu einem Fehler, 5:6, insgesamt schon der dritte Matchball für Borg.

In einer schönen Szene des Films Borg McEnroe aus dem Jahr 2017 hat der schüchterne Schwede seinen Wagenschlüssel verlegt und geht zu Fuß durch seine Wahlheimat Monte Carlo. Bald nähern sich Autogrammjäger und kreischende Teenies, woraufhin Borg in ein Café flüchtet, dessen Besitzer ihn nicht erkennt. Borg stellt sich als Elektriker vor und benutzt seinen Mittelnamen Rune, den Espresso arbeitet er durch ein paar Handreichungen ab, ein Lächeln huscht über sein sonst fast unbewegtes Gesicht. Er wirkt erleichtert, fast zufrieden in diesen Augenblicken der Anonymität.

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Modisch auf einer Linie: Björn Borg und John McEnroe wurden nach ihrer Gegnerschaft Kumpels.

(Foto: imago/ZUMA Press)

McEnroe ändert seine Taktik auch beim zweiten Aufschlag nicht und attackiert mit Linkshänderspin nach außen. Borg umläuft die Rückhand und platziert einen guten Passierball cross, der fast außer Reichweite des Amerikaners ist. Aber nur fast. McEnroe setzt in der Not einen perfekten Volleystop, 6:6.

Auch sehenswert in dem Spielfilm: wie er die Marotten der Profis vorführt, die meistens der besseren Konzentration dienen - die irren Schlägerbespannungs-Rituale von Borg im Hotelzimmer; die Kälte im Zimmer, die es Borgs Gefährtin abverlangt, im Trainingsanzug im Bett zu liegen; die unendlichen Ruhepuls-Übungen.

Beim zweiten Seitenwechsel während des Tie-Breaks meldet sich das Publikum so laut wie noch nie an diesem Nachmittag. Beim nächsten Ballwechsel meistert McEnroe zunächst einen tiefen Volley, wird aber danach dennoch passiert. 6:7, vierter Matchball für Borg.

McEnroe hat den Kopf oft nach unten gewandt, grübelnd, selbstanklagend, heutzutage würde ihm ein Mentaltrainer das schnell austreiben. Die Pose des in gutbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsenen New Yorkers ist die des ewig Unglücklichen, der nach Perfektion strebt, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird und deshalb schnell unzufrieden ist: mit sich, mit dem Publikum, das ihn nicht versteht, mit dem Schiedsrichter, der ihn nervt, mit der Welt. In seinen guten Zeiten nutzte er diese Unzufriedenheit, um sich anzufeuern, es war eine kreative Wut, die ihn auf Dauer allerdings viel Kraft kostete. Den Zuschauern bescherte es herrliche Momente, auf und neben dem Platz. Unvergessen zum Beispiel McEnroes Werbe-Kampagne von 1986, bei der er in grüblerischer James-Dean-Pose einsam über den New Yorker Times Square trottet. Gerahmte Exemplare dieses Plakats wechseln heute für vierstellige Beträge den Besitzer.

Borg, eigentlich ein Grundlinienspezialist, attackiert unverdrossen weiter. Doch diesmal wird er Opfer seines schwachen zweiten Volleys und kann McEnroes Passierball nicht verarbeiten. Borg stürzt, rappelt sich aber wieder auf, 7:7. Einer der längsten und subtilsten Ballwechsel endet mit einem famosen McEnroe-Passierball cross, 8:7, erster Satzball für McEnroe.

Borg vs. McEnroe, das ist damals das Traumfinale - obwohl die beiden noch nie in einem Grand-Slam-Turnier gegeneinander gespielt haben. Aber schon bei den ersten Begegnungen auf der Tour gab es mehr als Tennis, mehr als beidhändige Rückhand gegen Linkshänder-Tricks, mehr als die beständige Präzision einer menschlichen Ballmaschine gegen verspielte, scheinbar mühelose Improvisationskunst: Es war, in den Augen der Öffentlichkeit, eiskalte Effizienz gegen impulsive Unberechenbarkeit, enigmatische Unnahbarkeit gegen ungehobeltes Rebellentum, Asket gegen BigMac. Es waren diese Gegensätze und die auf den ersten Blick kontrastierenden Persönlichkeiten - ein ehemaliger Hitzkopf aus Schweden gegen einen ehemals lieben amerikanischen Jungen -, die die beiden zu einem Faszinosum weit über ihren Sport hinaus werden ließen.

McEnroe serviert auf die Vorhand, wird passiert und stürzt, er bleibt kurz auf dem Bauch liegen, 8:8. McEnroe zeigt perfektes Serve & Volley, 9:8. Borg zeigt perfektes Serve & Volley, 9:9. Dritter Seitenwechsel im Tie-Break.

Es war ein Duell mit langer Lunte: 1977 hatte John McEnroe erstmals die große Bühne betreten, ein wütender, pöbeliger 18-Jähriger mit wildem Wuschelkopf und kleinem Holzschläger, ein in Wiesbaden geborener Teenager, der keinen Respekt und fast keine Grenzen kannte. (Im Wimbledon-Halbfinale 1977 wurde er gestoppt von Jimmy Connors, einem wütenden, pöbeligen 24-Jährigen, der keinen Respekt und fast keine Grenzen kannte.) "Ich habe mich oft schrecklich benommen", sagte McEnroe viele Jahre später in einem selbstkritischen Moment. "Ich war ein verwöhnter Rotzlöffel aus Long Island, der von der Energie New Yorks profitierte."

1980 oder nie, das ist die anmaßende, maßlose Latte, die McEnroe legt

Servicewinner Borg, 9:10, fünfter Matchball. Die ehedem stillen, distinguierten Zuschauer beginnen auszuflippen. McEnroe wischt mit den Ärmeln Schweiß aus dem Gesicht. Borg pustet kühlend und trocknend in die rechte Hand. Servicewinner McEnroe, weit raus auf die Rückhand, 10:10.

Während McEnroe in England nach seinem fulminanten ersten Jahr an der Church Road zweimal hintereinander peinlich früh scheiterte, feilte Borg an seiner Legende, indem er das Turnier 1978 zum dritten und 1979 zum vierten Mal hintereinander gewann. Der Schwede sah bloß so aus, als könnte er der Vater des amerikanischen Lausejungen sein - in Wahrheit war Borg mit 24 gerade einmal drei Jahre älter als sein Widersacher, der immer noch widerborstig und flegelig auftrat, angetrieben von einer inneren Unruhe, die er auch nach seinem ersten US-Open-Titel 1979 und seinem ersten Aufstieg zur Nummer eins im März 1980 nicht meistern konnte. Beides würde weniger Wert sein, wenn es ihm nicht gelänge, Borgs Serie in Wimbledon zu beenden.

Borg zwingt McEnroe zu einem Flugballfehler, 10:11, Matchball Nummer sechs - erneut bei eigenem Aufschlag. Ein sehr schüchterner Ballwechsel, McEnroe schubst eine Rückhand an die Netzkante, von dort kugelt das Filz auf die andere Seite, 11:11. Gutes Serve & Volley des Schweden, 11:12. Perfektes Serve & Volley des Amerikaners, 12:12. Vierter Seitenwechsel im Tie-Break.

1980 oder nie, das ist die anmaßende, maßlose Latte, die McEnroe legt. Das Finale ist zu Beginn eine einzige Enttäuschung, zumindest was den Duell-Charakter angeht. McEnroe glänzt, braucht keine halbe Stunde für ein 6:1, der Schwede scheint noch nicht auf dem Platz angekommen zu sein. Aber das täuscht, langsam beißt er sich in die Partie und krabbelt in den Kopf seines Gegners. Obwohl McEnroe nur wenig von seinem Niveau einbüßt, verliert er die nächsten Sätze 5:7 und 3:6. Im vierten Satz vergibt Borg bei 5:4-Führung zwei Matchbälle, McEnroe rettet sich in den Tie-Break. Und das Match erreicht ein anderes Level.

Perfektes Serve & Volley des Amerikaners, 13:12, dritter Satzball. Borg trifft zweimal die Linie, McEnroe schaut ungläubig, bleibt aber für seine Verhältnisse gefasst, 13:13. Volleypatzer Borg, 14:13, vierter Satzball. Ein rarer Volleypatzer von McEnroe, der das Feld frei vor sich hat, den Ball aber um wenige Zentimeter ins Seitenaus verzieht, 14:14. Noch ein Flugballfehler von McEnroe - aber der Punkt wird wiederholt, weil ein Linienrichter sich sehr spät (und obendrein fälschlicherweise) gemeldet hat. So ziemlich jeder Spieler würde diskutieren und den Punkt haben wollen. Borg schweigt. Perfektes Serve & Volley des Amerikaners, 15:14, Satzball Nummer fünf.

McEnroes Spiel ist freier, vielseitiger. Seine Volleytechnik erinnert an die Fechtkünste von Errol Flynn. Hätte Cyrano de Bergerac Tennis gespielt, hätte er es vermutlich so zelebriert. Borg hingegen wird gerne als Maschine bezeichnet. Der Legende zufolge sollen die Schöpfer der TV-Serie "Star Trek: Next Generation" die eiskalten Borg wegen des Tennisspielers so genannt haben. Die maschinenartige Spezies gilt als Inkarnation der Herzlosigkeit.

Returnfehler McEnroe, 15:15, fünfter Seitenwechsel im Tie-Break. Borg treibt den Rivalen mit einem schweren, exquisiten Volley weit in die Ecke, doch McEnroe kontert mit einer noch besseren Vorhand longline aus dem Lauf und biegt sich jubelnd ins Hohlkreuz, 16:15, sechster Satzball.

Kurios ist, dass McEnroe seine einmalig manieristische Aufschlagroutine pflegte, während Borg den Ball oft mit einer fast wurschtigen Attitüde ins Spiel brachte. Effizient und ohne Schnörkel. Ohne große Power punktete McEnroe trotzdem viel mit seinem Service, weil man an seinen Bewegungen nicht ablesen konnte, wohin er wie servieren würde, und weil er so nah an die Linien ging.

BORG Bjoern SWE gewinnt zum 5.Mal in Wimbledon Maenner Finale 1980 Bjoern Borg - John McEnroe All England Tennis Champi

Auf die Knie: Björn Borg gewinnt zum fünften Mal in Wimbledon das Finale. Da ahnte noch niemand, dass Borg keinen Titel mehr in Wimbledon gewinnen wird.

(Foto: Laci Perenyi/imago)

Guter Aufschlag, aber ein fast menschlicher Volleypatzer von McEnroe, 16:16. Zweiter Aufschlag McEnroe, der dem Return des Schweden nur hinterherschauen kann - doch der Ball landet ... haarscharf im Aus. 17:16. Man könnte schwören, dass Borg eine Regung gezeigt hat. Aber man sieht sie nicht.

Wer die Bilder von damals sieht, wird sich wahrscheinlich bald wundern: Es gab keinerlei Zeitlupen. Das bedeutet auch: Anders als heute, wo dieselben Szenen aus -zig Perspektiven und in verschiedenen Geschwindigkeiten wieder und wieder gezeigt werden, musste man damals genau hingucken, um zu wissen, was passierte.

Siebter Satzball für McEnroe. Borgs Aufschlag ist ok, McEnroes Rückhandreturn deutlich besser, der Schwede ist überfordert und setzt den Rückhandvolley tief ins Netz. 18:16. So schmucklos endet der spektakulärste Tie-Break der Tennis-Geschichte, der allein 22 Minuten gedauert hat. Auf der Tribüne fliegt McEnroes Vater beim Jubeln fast das weiße Pepita-Hütchen vom Kopf. Um 17.23 Uhr englischer Zeit steht es nach Sätzen 2:2.

Vier Sätze legendäres Tennis müssen genug sein, denkt man sich offenbar beim ZDF und schaltet im fünften Satz weg.

Niemand litt unter Borgs Abschied mehr als McEnroe

BORG Bjoern SWE gewinnt zum 5.Mal in Wimbledon bei der Siegerehrung mit Wimbledon Pokal Maenner Finale 1980 Bjoern Borg

Björn Borg, nachdem er das Finale schließlich gewonnen hatte

(Foto: imago images/Laci Perenyi)

Der fünfte Satz ist gut, kann mit dem vierten Durchgang aber nicht mithalten - doch wie viele Sätze können das schon? Borg hat den Vorteil, immer vorlegen zu können. Er serviert phänomenal, verbucht nach 0:30 im ersten Spiel des fünften Satzes bei eigenem Aufschlag 19 Punkte hintereinander. McEnroe muss immer nachziehen. Sechsmal gelingt ihm das - bei 6:7 jedoch leistet er sich nach fast vier Stunden Spielzeit einen minimalen Hänger, und mit dem Break gelingt Borg der fünfte Wimbledon-Sieg in Serie. Der Schwede sinkt auf die Knie. Bald danach ist der Bart ab.

Zu diesem Zeitpunkt ahnt niemand, dass Borg keinen Titel mehr in Wimbledon gewinnen wird. 1981 kommt es zur Revanche, die McEnroe äußerst konzentriert in vier Sätzen für sich entscheidet. Im September 1981 bei den US Open setzt er sich dann (wie schon 1980) im Finale gegen Borg durch, es ist das letzte ernsthafte Match des Schweden, der zwischen 1978 und 1981 elf von zwölf Grand-Slam-Endspiele erreichte (von denen er sieben gewann) - und dann dem Druck Tribut zollte. Er zog sich im Alter von 25 Jahren zurück und kam nie wieder ernsthaft in Form.

In der Liste der besten Tennisspiele überhaupt blieb Borg vs. McEnroe ein Vierteljahrhundert die unangefochtene Nummer 1. Die Federer/Nadal/Djokovic-Ära hat die Geschichte offener gemacht, mit einigen legendären Partien...

Niemand litt unter Borgs Abschied mehr als McEnroe, der seinen Fixpunkt verloren hatte. "Wenn du deinen größten Gegner verlierst", sagte der New Yorker einmal über seinen späteren Kumpel Borg, mit dem ihn mehr verband als die Mode für Stirnbänder, "verlierst du auch einen Teil deiner selbst." Nach seiner fabelhaften Saison 1984 (in der er 82 seiner 85 Einzel gewann) landete McEnroe in einem ähnlichen mentalen Loch wie der Schwede drei Jahre zuvor. Nach zwei längeren Pausen musste McEnroe bei seiner Rückkehr auf die Tour erkennen, dass sein Talent allein nicht mehr reichte, jedenfalls nicht mehr für große Titel. Mit den neuen, größeren Kunststoffschlägern waren Kraft und Tempo immer wichtiger geworden. McEnroe und Ivan Lendl machten den Wechsel widerwillig mit - Borg hingegen hing zu lang an den kleinen Holzschlägern fest, die bei seinem kurzen Comeback 1984 aussahen, als würde er mit einem Tischtennisracquet antreten.

...2012 das Finale in Australien, Djokovic - Nadal 5:7, 6:4, 6:2, 6:7 (5), 7:5...

Borg fehlte McEnroe wohlgemerkt nicht nur als Gegner, sondern auch als Mensch. Ivan Lendl konnte der New Yorker nicht leiden, Jimmy Connors noch weniger, aber Borg fühlte er sich verbunden. Das hat sich bis zum heutigen Tag nicht geändert: McEnroe nimmt niemanden wirklich ernst - außer den immer noch drahtigen Borg, 64. Die beste McEnroe-Pointe lieferte aber wie so oft das Leben selbst. Er verwandelte nach seiner Profizeit den Auftritt als wütender junger Mann in eine Rolle, die er als TV-Experte zu seinem Job machte. Während Borg heute mit schicken schlohweißen Haaren zumeist stumme Gastauftritte bei ausgewählten Gelegenheiten hat, ist es McEnroe gelungen, als clownesker "Commissioner of Tennis" bekannter und beliebter, womöglich sogar mächtiger zu sein als er es als genialischer Spieler je war.

... 2008 das Endspiel in Wimbledon, Nadal - Federer 6:4, 6:4, 6:7 (5), 6:7 (8), 9:7...

McEnroe gewann Wimbledon nach 1981 übrigens noch zweimal, nur zweimal, in zwei der einseitigsten Endspiele der Grand-Slam-Geschichte zerfetzte er 1983 Chris Lewis und 1984 Connors. Aber der Amerikaner wirkte bei diesen Siegen noch unglücklicher als sonst in seiner Karriere. Um seine Triumphe wirklich genießen zu können, hätte John McEnroe den Björn Borg von 1980 gebraucht.

... und 2019 das Finale von Wimbledon, Djokovic - Federer 7:6 (5), 1:6, 7:6 (5), 4:6, 13:12 (3). Aber kein Spiel prägte seinen Sport mehr als das 1980er-Endspiel von Wimbledon, Borg vs. McEnroe 1:6, 7:5, 6:3, 6:7 (16), 8:6.

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