Jan-Lennard Struff ist nun in einem Alter als Leistungssportler, in dem sich die Menschen dafür interessieren, wie es ihm körperlich geht. Ende des Monats wird er 35, womit er zu den betagteren Tennisprofis auf der ATP Tour zählen wird. „Ich sehe jünger aus“, tröstete sich Struff am Sonntag mit einem spitzbübischen Lächeln und betonte: „Mein Körper macht gerade gut mit, schön, das ist gut.“ Er habe in jedem Fall „noch Bock zu spielen“, er denke auch „jetzt noch nicht ans Aufhören“. Wobei Struff weiß, dass sich die Lage im Sport manchmal schnell drehen kann. „Man müsste mich nochmal vielleicht fragen, wenn ich mal außerhalb der Top 100 wäre, ob ich da richtig Spaß noch dran hätte, Challenger-Turniere oder kleinere Turniere zu spielen.“
Struff, derzeit 49. der Weltrangliste und eine Säule im deutschen Männertennis seit Jahren, hat sich zu einem reflektierenden Profi entwickelt, und deshalb versteht er, inzwischen Vater zweier Kinder, Dinge vernünftig einzuordnen. Vor einem Jahr schaffte er in München erstmals einen Turniersieg auf der Tour und blieb, natürlich, ganz der Struffi für alle, nahbar und freundlich. Nun, zwölf Monate später, kehrte er zu den BMW Open zurück, als Titelverteidiger wird er am Dienstag in der ersten Runde auf Francisco Cerundolo treffen; eine unangenehme Aufgabe, nicht nur, weil der Argentinier stark ist und jüngst Alexander Zverev in Buenos Aires bezwang. Der 35-Jährige befindet sich auch in einer kniffligen Karrierephase. In Form ist er nicht. Seit seinem Triumph in München ist viel passiert.
Struff hatte mit Hüftbeschwerden zu kämpfen, nach den US Open und einer Erstrundenniederlage gab er die Trennung von Carsten Arriens, seinem langjährigen Trainer, zum Ende der Saison bekannt. Ende des Jahres dann löste er sich auch von seinem zweiten Coach Marvin Netuschil. Nach den Australian Open im Januar holte er schließlich Markus Wislsperger in sein Team, der 48-Jährige gilt als erfahren und trainierte schon Philipp Kohlschreiber und Florian Mayer. Struff fühle sich mit ihm einfach wohl.
„Niederlagen drücken halt echt aufs Gemüt. Das ist ja ganz normal im Sport.“
Noch blieben die Ergebnisse allerdings aus. Nur drei seiner zehn Matches in dieser Saison bestritt Struff siegreich, jüngst in Monte-Carlo erlebte er sogar eine spezielle negative Erfahrung, als er gegen den Weltranglisten-256. Valentin Vacherot aus Monaco 2:6, 1:6 unterging. „Das war das schlechteste Match in den letzten Jahren, was ich gespielt habe“, erklärte Struff ruhig und verbindlich. Er ist nun mal keiner, der sich mit hängender Schnute in eine Pressekonferenz setzt, nur weil es auf dem Platz nicht läuft. „Niederlagen drücken halt echt aufs Gemüt. Das ist ja ganz normal im Sport“, gab er zu, „aber es gibt halt nur einen Weg. Da muss ich mich irgendwie rausarbeiten“. Er hofft auf eine Wende zum Positiven, wie sie der Italiener Flavio Cobolli zuletzt erlebt hatte. „Der hatte sieben Tour-Matches oder so in Folge verloren. Erste Runde, erste Runde, erste Runde und dann gewinnt er vorletzte Woche in Bukarest den Titel. Bei dem ist zum Beispiel der Knoten auch geplatzt.“
Die Herausforderung für Struff besteht nun vor allem darin, sich ein bisschen im Formtief unter neuer Anleitung neu zu erfinden und doch alte Stärken wiederzufinden. Wislsperger wird ja nicht Struffs Technik und Spielweise grundlegend reformieren können, dazu sind die Bewegungsmuster zu festgefahren nach 16 Profijahren. „Das macht nicht so viel Sinn“, sagte Struff. Dafür wollen die zwei an jenen Schlägen feilen, die sein Spiel auszeichnete, „am Aufschlag, nach vorne zu spielen, wieder ans Netz mehr zu kommen“.
Seinen Beruf, das strahlt Struff aus, lebt er noch mit Passion. „Es hat mich sehr, sehr häufig ausgezeichnet, dass ich nicht aufgegeben habe, immer weitergearbeitet habe. Das machen wir jetzt auch gerade“, sagte er. Erfahren, wie er ist, weiß er, dass es nun vor allem darum geht, über die harte Arbeit eine innere Leichtigkeit wiederzuerlangen. „Wenn man gewinnt, dann schlägt man den Ball, man denkt nicht so viel nach, trifft den Ball perfekt, und es fühlt sich einfach frei an“, sagte Struff.