Tennis in Wimbledon:Das Match ihres Lebens

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Jubelt über den Finaleinzug: Barbora Krejcikova. (Foto: Matthew Childs/Reuters)

Die Tschechin Barbora Krejcikova und die Italienerin Jasmine Paolini bestreiten überraschend das Finale von Wimbledon. Eine von beiden wird am Samstag den bisher größten Sieg in ihrer Karriere feiern.

Von Gerald Kleffmann, London

Barbora Krejcikova hatte gerade über Jana Novotna gesprochen, 14 000 Zuschauer hörten ergriffen zu. Vor vielen Jahren hatten sich beide getroffen, und Novotna, die 1998 in ihrem dritten Wimbledon-Finale endlich, endlich den ersehnten Titel errungen hatte, habe dabei von früher erzählt und ihrer „Reise hier“. Krejcikova schien sich im Griff zu haben, dann drehte sie sich vom Mikrofon weg, Tränen schossen ihr in die Augen, die sie sich wegwischte. „Ich vermisse sie so“, sagte sie, als sie sich gesammelt hatte, und Annabel Croft, die Interviewerin mit der Balsam-Stimme auf dem Centre Court, tröstete Krejcikova und versicherte: „Wir alle tun es.“

Die Briten, und dafür kann man sie nie nicht genug feiern, lieben Sportler, die ihre Seele auf dem Platz lassen, so wie die Tschechin Jana Novotna nach ihrer Finalniederlage 1993 in Wimbledon gegen Stefanie Graf. Unvergessen, wie sie schluchzte und von der Herzogin von Kent in den Arm genommen wurde. Mit nur 49 Jahren starb sie an Krebs. Freundinnen von Novotna wie Krejcikova, das war jetzt zu spüren, sind immer auch Freundinnen Wimbledons, und so endete dieses zweite Halbfinale am Donnerstagabend mit einem Applaus der Zuschauer, der voller Wärme war.

Barbora Krejcikova, 28, aus Brünn, ist in gewisser Weise ein Phänomen. Sie ist kraft ihrer Möglichkeiten keine konstante Weltklassespielerin, sie ist manchmal zu langsam an der Grundlinie, sie serviert nicht überirdisch hart, kein Schlag ist ihr Markenzeichen. Sie kann dafür alles richtig solide. Und steht nun, nach dem 3:6, 6:3, 6:4-Erfolg gegen die Big-Ben-hohe Favoritin Jelena Rybakina, 25, aus Kasachstan im Endspiel von Wimbledon. Es ist ihr zweites Grand-Slam-Finale im Einzel; 2021 hatte sie schon mal einen Ausreißermoment, als sie bei den French Open triumphierte, im Einzel und im Doppel.

Krejcikova zermürbt ihre Gegnerinnen, Paolini kämpft sie nieder

An diesem Samstag trifft sie auf eine andere Überraschung: Der Italienerin Jasmine Paolini, 28, hatten die Wenigsten zugetraut, nach dem Finaleinzug vor fünf Wochen bei den French Open gleich die nächste Siegesserie hinzulegen. Paolini selbst erinnerte im All England Club nach ihrem dramatischen 2:6, 6:4, 7:6 (8) gegen die Kroatin Donna Vekic, 28, grinsend daran, dass sie bis zu dieser Saison noch kein Match auf Rasen gewonnen hatte. Nun kämpft die kleine, hartnäckige Powerfrau nach dem längsten Frauen-Halbfinale der Wimbledon-Geschichte um die silberne Trophäe und 3,2 Millionen Euro Preisgeld. Kein Wunder, dass sie nicht gleich die richtigen Worte fand vor Aufregung und viel lachte. So ist auch ihr Naturell.

Auch Krejcikova, Nummer 25 der Weltrangliste, konnte ihr Glück kaum fassen. Aber nur kurz, sie ist viel zu erfahren, um sich vom Gewicht des Augenblicks aus der Balance bringen zu lassen. Wenn manche den Kopf von Krejcikova hätten, würden sie wohl reihenweise Grand Slams gewinnen. Ihr Tennis-IQ ist grandios, deshalb gewann sie auch jetzt gegen Rybakina, die sich nach dem Fehlen von Aryna Sabalenka (Belarus) und dem Drittrundenaus von Iga Swiatek (Polen) nur selbst besiegen konnte. Genau dahin brachte sie Krejcikova.

Jasmine Paolini schreit ihre Freude nach dem Sieg über die Kroatin Donna Vekic in den Himmel über Wimbledon. (Foto: Francois Nel/Getty Images)

0:4 lag Krejcikova zurück, es sah danach aus, als würde die 1,84 Meter große Weltranglistenvierte Rybakina sie vom Platz fegen. Doch allmählich gelang es Krejcikova, Ball für Ball zurückzukommen, sie variierte mehr: Slice, Kick-Aufschlag, Stopp, Topspin. Und damit kam Rybakina, die keinen Plan B für ihr Spiel hat, nicht zurecht. Salzstreuertennis war die Folge, ihre Bälle landeten kreuz und quer, jedenfalls zunehmend neben dem Feld. Krejcikova dagegen unterliefen in den letzten 41 Punkten der Partie nur vier unerzwungene Fehler. Rybakina sah verzweifelt aus.

Krejcikova kann in ihren besten Momenten, und in ihr schlummert tatsächlich dieses mächtige Tennis, Gegnerinnen jeder Kategorie zermürben. Sie hat schon jede Topspielerin der Welt besiegt, im Einzel wohlgemerkt. Bekannter ist sie dennoch für ihre Doppeltriumphe, sieben errang sie bislang bei Grand-Slam-Turnieren sowie drei im Mixed. Sie ist eine Vielspielerin und sehr professionell, selbst nach mehrstündigen Einsätzen schaut sie sich gerne noch ein Männer-Match an, das sie interessiert.

Das diesjährige Frauenfinale mag nicht die strahlendsten Namen der Tenniswelt führen, für eine der beiden Beteiligten wird es aber das Match ihres Lebens werden. „Die letzten Monate sind verrückt für mich gewesen“, sagte die mittlerweile Weltranglistensiebte Paolini, die genauso wuselig spricht, wie sie auf dem Rasen flitzt. Die Kunst wird sein, die Emotionen im Griff zu behalten. „Ich erwarte“, sagte Krejcikova wissend, „dass es ein großes Spiel wird für uns beide“.

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