Tennis:Ball ans Kinn

ATP-World Tour Finals

Ungewohnte Probleme: Roger Federer kommt mit dem Belag nicht zurecht und kassiert beim 6:7 (4), 3:6 gegen Kei Nishikori auch eine Verwarnung.

(Foto: Tim Ireland/dpa)

Roger Federer, 37, ist das Leichte seines Spiels abhanden gekommen: Er verliert sein Auftaktmatch wegen teils grotesker Fehler.

Von Gerald Kleffmann, London

Die Fingernägel sahen makellos aus, trotzdem fixierte Mirka Federer lange ihre Hände. Neben ihr saß Ivan Ljubicic, der zweite Trainer ihres Mannes. Er starrte hoch, zu dem Bildschirm unter der Hallendecke. Was er bis dahin sah, konnte ihm nicht gefallen. Neben ihm saß Severin Lüthi, der erste Trainer. Auch er: ernster Blick. Kurz darauf folgte zum letzten Mal ein merkwürdiges Geräusch: Roger Federer hatte den Ball bei einer Vorhand mit dem Rahmen getroffen. Unkontrolliert zischte die gelbe Kugel weit hinter die Grundlinie.

Wenn Federer ein Match wie beim Start in die Gruppenphase der ATP-Finals in London verliert, herrscht immer etwas Verwunderung. Er ist ja nicht nur der erfolgreichste noch aktive Profi seines Sports: Er ist die Instanz. Aber Federer, manchmal vergessen das die gläubigsten Federerianer, ist nicht Superman. Er ist ein Mensch. Wie bei seinen Triumphen wird sein Befinden sichtbar in Momenten gelegentlicher Niederlagen, wenn auch dezenter vorgetragen. Federer kann dann säuerlich gucken wie jemand, der mit Bier im Fußballstadion bespritzt wird. Da ändert sein Lächeln wenig, das er wie am Sonntag dem Japaner Kei Nishikori nach dem 6:7 (4), 3:6 entgegenbrachte.

Etwas wühlt und brodelt neuerdings in Federer, das fällt auf. Er wirkt ungeduldiger mit sich, wirscher. 2018 war intensiv, selbst für ihn, der nunmehr 20 Jahre Profi ist und 20 Grand-Slam-Titel errungen hat.

Das Jahr hatte für Federer in einer Art begonnen, als würde er, dem Jungbrunnen entstiegen, auf einem Trampolin springend Tennis zelebrieren. Die Titelverteidigung bei den Australian Open gelang, mit dem Erfolg beim Turnier in Rotterdam stieg er zur ältesten Nummer eins der Welt auf, mit 36. In Indian Wells erreichte er das Finale. Nur: Diesmal bezwang ihn der Argentinier Juan Martín del Potro. Federer vergab drei Matchbälle. Im Rückblick erscheint dieser Ausgang wie ein Vorbote seiner weiteren Saison, in der Federer, sonst so verlässlich das Glückskind des Tennis, nicht mehr nur der Begünstigte war. Mit Folgen. Das Leichte vom Frühjahr, als ihm vieles wie selbstverständlich zuflog, ist abhanden gekommen - und immer häufiger einer Rechtfertigungshaltung gewichen.

In London, beim Abschlussevent der besten acht Profis, trifft Federer am Dienstag (21 Uhr) auf den Österreicher Dominic Thiem, eine weitere Niederlage würde unter gewissen Konstellationen zwar noch nicht sein erstes Aus in der Gruppenphase seit 2008 besiegeln; er könnte eventuell sogar weiter auf seinen 100. Titel auf der Tour hoffen, nur neun würden ihm dann zum Rekordhalter Jimmy Connors fehlen. Spekulationen freilich. Denn auf die Veranstaltung bezogen, scheint Federer selbst auf den Ausgang gespannt zu sein, in welche Richtung das Pendel ausschlägt. Einerseits habe er nur ein Match verloren. Andererseits: "Ich hoffe, ich gehe nicht mit drei Niederlagen in den Urlaub." Das klang nicht wie das größte Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die in der Tat nicht mehr auf Abruf funktionieren.

Auffallend war diesmal jedenfalls eine Returnschwäche, einmal traf er den Ball gar derart mit dem Rahmen, dass der Ball an sein Kinn knallte. 34 Fehler unterliefen ihm, darunter grotesk leichte, und eine Verwarnung kassierte er, der sonst nie Verwarnungen kassiert, weil der Schiedsrichter eine Aktion als Wutausbruch definiert hatte. "Ich war nicht sauer", verteidigte sich Federer, "ich bin sauer, weil ich verloren habe." Weiter erklärte er, der Bodenbelag sei langsamer als bei den letzten drei Turnieren; er habe Justierungsprobleme. Auch habe er mal hier, mal dort trainiert, auf verschiedenen Anlagen in London (am Dienstag sagte er das Training in Queen's ab). Unruhe, klang durch, prägte seine Vorbereitung. Und wie das so im Sport ist, wenn es knirscht, ging es prompt ums große Bild.

Rund eineinhalb Jahre war Federer für seine Neuerfindung nach einer sechsmonatigen Verletzungspause gehuldigt worden - für seine clevere Entscheidung, sein Spiel auf schnellere Punktgewinne auszurichten und dafür, sich Pausen zu gönnen, in dem Fall: Sandplatzturniere auszulassen. 2018 siegte Federer zwar auf Rasen in Stuttgart, verlor aber im Finale von Halle gegen den Kroaten Borna Coric und im Viertelfinale von Wimbledon gegen den Südafrikaner Kevin Anderson (nach einem vergebenen Matchball). Monate später, beim Gewinn des Heimturniers in Basel, verriet er, er habe eine Handverletzung zum Start der Grassaison gehabt. Im Achtelfinale der US Open unterlag er dem Außenseiter John Millman aus Australien, wobei ihm die Schwüle der New Yorker Nacht die Kehle zugeschnürt hatte, wie er zugab. 2018, in der zweiten Hälfte, war häufig irgendwas. Und diese Irgendwas-Eindrücke prägen nun mal das Bild.

Und lösen Fragen aus. Etwa ob die Pause nicht zu lang war. Ob er zu wenig spiele. Federer wies alles zurück, auch jetzt. Er habe seit 15 Jahren den gleichen Turnierplan: "Ich fühle nicht, dass zu wenig spielen ein Problem war." Und Druck sei auch nie ein Problem gewesen, ob als Nummer eins oder Nicht-Nummer-eins. Aber Federer ist nun, und das ist durchaus sichtbar, 37 Jahre alt und muss zwangsläufig mehr als früher auf Körper und mentale Belastung achten. Wie lange er noch spielen werde, lässt er stets offen, Lüthi sprach zuletzt vage von ein bis drei Jahren. Dass Federer wohl ein wenig genervt ist von den Dauervergleichen seiner Erfolge 2017 und 2018, brachte er indes zum Ausdruck: "Wenn man denkt, ich würde das einfach so schaffen, träumt man ein bisschen." Manchmal wirkt seine Lage wie ein unlösbarer Kampf: Federer möchte im Jetzt verharren. Die Tennisgemeinde möchte Federer ewig haben, schon jetzt verbürgt auch in Zukunft. Einer wird diesen Kampf verlieren, das steht fest.

"Es ist ein schmaler Grat zwischen dem Perfektionismus und der Lockerheit, die es eben auch braucht", erklärte Lüthi kürzlich in der Berner Zeitung: "Wenn du alles immer perfekt machen willst, kann das kontraproduktiv sein." Genau an diesem Grat, sollte das heißen, marschiert Federer Ende 2018 entlang.

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