Australian Open:Das Nervenflattern der Naomi Osaka

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"Da sind ständig diese negativen 2000 Punkte im meinem Kopf": Naomi Osaka bei den Australian Open. (Foto: dpa)
  • Naomi Osaka muss nach dem Aufstieg zur globalen Größe ihre Rolle neu lernen.
  • Auch bei den Australien Open plagen sie Selbstzweifel, wenig Spaß und neuer Druck.
  • "Da sind ständig diese negativen 2000 Punkte im meinem Kopf", sagt Osaka.

Von Barbara Klimke, Melbourne

Möwen kreisten über der Anlage, leichter Wind strich durch die Eukalyptusbäume, die Luft war klar und rein. Für den Abend wurden zudem ausgiebige Regenfälle erwartet. Das waren erfreuliche Bedingungen, nicht nur für Flora und Fauna, um bei den Australian Open zu Zeiten der Buschbrände im Bundesstaat Victoria die Gedanken zu beflügeln. Nichts davon aber konnte bei Naomi Osaka zunächst die nagenden Sorgen vertreiben, als sie zur Titelverteidigung die Halle in Melbourne betrat. "Da sind ständig diese negativen 2000 Punkte im meinem Kopf", berichtete sie, fast entschuldigend, vor ihrem ersten Match gegen Marie Bouzkova. Eine Erstrundenniederlage, und sie würde das Punktepolster aus dem Vorjahr und ihren Platz in den Top Ten verlieren, rechnete sie vor: "Das ist es, was mir auf der Seele liegt."

Selbstverständlich hat sich Osaka, 22, keine Blöße gegeben, als sie die Australian Open 2020 am Montagmorgen, ehe der Regen kam, mit einem 6:2, 6:4-Sieg eröffnete, jenes Turnier, das sie im vergangenen Jahr gewonnen hatte. Und trotzdem leistete sie sich nur einmal ein kurzes, kleines Lächeln, als sie einen 2:4-Rückstand gegen die tschechische Konkurrentin im zweiten Satz wettgemacht hatte. Siegesgewissheit, Selbstbewusstseinsbekundungen, geballte Fäuste, all die einstudierten Gesten einschüchternder Präsenz auf dem Court liegen ihr noch immer sehr fern.

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Der 29-Jährige gewinnt zwar einen Satz, doch der Weltranglistenzweite kontert. Julia Görges überzeugt gegen die Slowakin Kuzmova, auch die 15-Jährige Cori Gauff ist weiter.

Es gibt Tennisspieler, die nach dem Triumph bei einem mit 44 Millionen Euro dotierten Grand-Slam-Turnier zumindest äußerlich den Anschein erwecken, als könnten sie über Wasser wandeln; bei Osaka liegt die Vermutung nahe, dass sie im Grund ihres Herzens nicht einmal darauf vertraut, dass die 30 Meter breite, 1888 aus Granit erbaute Princess-Brücke sie trockenen Fußes ans andere Ufer des Yarra Rivers in Melbourne bringt. Vor Jahresfrist, erzählte sie, sei sie tatsächlich "ein bisschen furchtloser" aufgetreten, "wie ein Kind, das sich von nichts aufhalten lässt".

Heute haben Osakas Niederlagen einen Nachrichtenwert

Eine Erklärung dafür ist, dass sie die Unbedarftheit verlor, mit der sie früher zum Racket gegriffen hatte und darauf vertraute, die Rivalinnen mit ihren gewaltigen Vorhandschlägen, die die Bälle auf bis zu 160 km/h beschleunigen, aus dem Weg zu treiben. Inzwischen sieht sie diesen Weg, wie sie erläuterte, eher als Metapher: Erst wenn man die Strecke einmal bis zum Ende gegangen sei, so erklärte sie ihren Zuhörern nach dem Erstrundensieg, wisse man, wie beschwerlich sie ist.

Naomi Osaka, in Japan geboren, seit ihrem dritten Lebensjahr heimisch in den USA, liefert selten einfache Antworten zu ihrem zunehmend komplizierten Berufsalltag. Manchmal legt sie den Kopf zur Seite und denkt ein Weilchen über den Sinn der Fragen nach. Nur eines weiß sie gewiss: Dass es früher, "vor alledem", wie sie sagte, keine große Rolle spielte, wie ein Match ausging; heute haben ihre Niederlagen Nachrichtenwert.

"Vor alledem": Das ist Osakas interessante Umschreibung für das, was in der Sprache des Sports üblicherweise als "Triumph" zusammengefasst wird. Im März 2018 gewann sie ihr erstes Turnier auf der Profitennistour beim hochkarätig besetzten Wettbewerb in Indian Wells; keine zehn Monate später hatte sie zwei Grand-Slam-Titel nacheinander erobert, erst bei den US Open 2018 in New York, als sie Serena Williams besiegte, dann bei den Australian Open 2019 im Finale gegen die frühere Wimbledonsiegerin Petra Kvitova. Ein seltenes Doppelereignis bei diesen Wettbewerben der höchsten Kategorie. Sie stieg zur Nummer eins der Tennisrangliste auf, als erste Spielerin überhaupt aus dem asiatischen Teil der Welt, und binnen kurzer Zeit war sie Geschäftsfrau geworden und hatte mit 14 Werbepartnern Verträge geschlossen, darunter internationale Uhren-, Auto- und Kosmetikkonzerne.

Die sportlichen Rückschläge, eine Normalität in jeder Phase einer noch jungen Karriere, stürzten sie in Verwirrung. Nach ihrer Erstrundenniederlage in Wimbledon im vergangenen Sommer teilte sie mit, die Weltranglistenführung würde für sie "mehr Stress und Druck bedeuten, als ich je erwartet hätte". Vielleicht, weil sie zu viel gegrübelt habe.

Kurz darauf wandte sie sich an ihre Millionen-Anhängerschaft in den sozialen Kanälen und erklärte ihnen in einem erstaunlichen offenen Brief zweierlei: Dass sie im Grunde seit dem Australian-Open-Sieg "keinen Spaß mehr am Tennisspielen hatte"; und dass diese Freude am Spiel nun "neu erlernen" wolle, weil sie so viel Unterstützung erfahren habe und Selbstvorwürfe keine Lösung seien.

Auch deshalb fühlt sie sich nun, mit 22 Jahren, steinalt im Vergleich zu ihrem jüngeren, titellosen Selbst. Und selbstverständlich auch steinalt im Vergleich zu einer Spielerin wie der unbefangenen 15-jährigen Cori Gauff, die es am Montag fertigbrachte, ihre mehr als doppelt so alte Landsfrau, die 39-jährige Venus Williams, zum zweiten Mal in einem Erstrundenmatch zu schlagen. Im Juli in London lautete das Ergebnis 6:4, 6:4, nun gab Venus Williams, die fünfmalige Wimbledonsiegerin, beim 7:6, 6:3 mehr Gegenwehr.

Das Nervenflattern, die Selbstzweifel bleiben auch nach einem großen Titelgewinn ständige Begleiter, auch das hat Osaka gelernt. Nach Australien ist sie nun mit einem neuen Coach gereist, Wim Fissette, der einst auch Angelique Kerber betreute. Und als sie das gefürchtete Erstrundenmatch von der Seele hatte und der Regen kam, lächelte Naomi Osaka dann doch noch freundlich in die Menge: "Ich hoffe, ich stehe zum Ende der Woche noch immer hier", sagte sie fröhlich. Dann ist zwar erst Halbzeit im Turnier, aber der Weg zum Finale ist beschwerlich und lang.

© SZ vom 21.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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