Australian Open:Das deutsche Uhrwerk tickt noch immer

Tennis: Philipp Kohlschreiber bei den Australian Open 2021

"Ich sag manchmal schon: Man ist so lange dabei, dass man nicht mehr wegzudenken ist": Philipp Kohlschreiber nach seinem Erstrundensieg gegen den Italiener Marco Cecchinato.

(Foto: Juergen Hasenkopf/Imago)

Philipp Kohlschreiber ist 38 Jahre alt - und spielt nach wie vor gutes Tennis. In Melbourne steht er in Runde zwei. Trotzdem ist das Unvorstellbare möglich: 2022 könnte seine letzte Saison sein.

Von Gerald Kleffmann

Natürlich ist Philipp Kohlschreiber alt, zumindest in Tennisprofijahren gerechnet, er selbst weiß das. Aber er weiß eben auch: Er ist immer noch gut drauf. Und motiviert sowieso. Was auch anderen auffällt, wie Kohlschreiber berichtete, auf der Pressekonferenz in Melbourne. "Der Herr, der mich hierher gebracht hat, der hat mich schon damals nach meinem ersten großen Erfolg gegen Andy Roddick am Abend begleitet", erzählte er amüsiert.

Der Mann hätte nur gelacht und zu Kohlschreiber gesagt: "Du bist der Wahnsinn! Wie am ersten Tag! Eine Minute vor der Zeit kommst du raus. Kein Schweizer, sondern deutsches Uhrwerk." Kohlschreiber lächelte noch immer. "Ich sag' manchmal: Man ist so lange dabei, dass man nicht mehr wegzudenken ist." Eine völlig richtige Erkenntnis. Längst stellt sich ja die Frage: Wäre das eigentlich überhaupt erlaubt im deutschen Tennis - eine Saison ohne Kohlschreiber?

2001 begann diese wundersame Profikarriere, nicht in Glashütte, dem hiesigen Zentrum deutscher Uhrmacherkunst, sondern an der Tennis-Base in München, wo ein junger, drahtiger Augsburger von einem Leben als Tennisberufsspieler träumte. Nun turnt Philipp Eberhard Hermann Kohlschreiber immer noch auf der Tour herum, wenngleich er feststellte: "Ich bin seltener bei den Turnieren." Aber er ist da! Mit 38.

Die Seitenhaare sind leicht ergraut, aber frech blickt er noch immer. Und topfit ist er. Wie er an diesem Dienstag bewies, auf Court 14, in Runde eins. In typischer Kohlschreiber-Manier. Mit Winkelschlägen den Gegner am Laufen halten - so besiegte er den Italiener Marco Cecchinato, der auch eine Art Kohlschreibertennis spielt, aber diesmal war das Original beim 6:4, 7:5, 7:6 (0) besser.

Roger Federer trainierte immer gerne mit ihm

Deutschland wacht auf, und irgendwo in der Welt hat Kohlschreiber ein Match bestritten, das klingt längst so normal wie die Nachricht, die Sonne ging auf. Aber das ist es nicht. Er sei vor zwei, drei Tagen gefragt worden, das wievielte Grand Slam er nun bestreite. "Dann bin ich so ein bisschen durchgegangen. New York weiß ich, das war 19 Mal Hauptfeld. Hier habe ich ein-, zweimal rausgezogen. Ich glaube, ich bin das 15. Mal hier. Ich habe eine Schätzung abgegeben, so 60, 70, ja, 70 Grand Slams gespielt zu haben." Als ihm jemand im Presseraum zurief: "68", antwortete er staunend: "68, ah!" Ja, eine phänomenale Zahl.

Australian Open: Lange her: 2005 trat Philipp Kohlschreiber erstmals bei den Australian Open an - und erreichte sofort das Achtelfinale. Erst Andy Roddick stoppte ihn. Später revanchierte er sich, auch in Melbourne bei einem Duell der beiden.

Lange her: 2005 trat Philipp Kohlschreiber erstmals bei den Australian Open an - und erreichte sofort das Achtelfinale. Erst Andy Roddick stoppte ihn. Später revanchierte er sich, auch in Melbourne bei einem Duell der beiden.

(Foto: Stuart Milligan/Reuters)

Kohlschreiber hatte nicht den krachenden Erfolg, der Deutschland aufjubeln lässt, er gewann ja keines der vier Majors in Melbourne, Paris, Wimbledon, New York. Bei Boris Becker wusste man nur beim Wort "Leimener" schon, wer gemeint ist. Kohlschreiber ist "der Kohli". Einmal stand er im Viertelfinale, 2012 im All England Club, das war sein bestes Ergebnis. 2012 war er mal 16. in der Weltrangliste und ewig sowieso in den Top 50. Aber wenn man mal auf sein erwirtschaftetes Preisgeld blickt, was Kohlschreiber sicher gerne macht, steht da: 13,5 Millionen US-Dollar. Das erzählt eine Menge.

Im Bereich hinter der Weltspitze war Kohlschreiber wirklich Weltspitze, dank seiner akkuraten Disziplin, seines Ehrgeizes, seiner Zuverlässigkeit. Er kann auch alleine in ein trostloses Fitnessstudio gehen, stundenlang. Acht ATP-Turniere gewann er, allein dreimal seine Lieblingsveranstaltung zuhause in München. Roger Federer trainierte immer sehr gerne mit ihm.

Während manche deutschen Talente lamentieren und Trainer wechseln und wieder in der Versenkung verschwinden, hat Kohlschreiber stets vorgelebt, wie es geht. Jetzt auch. Er wusste, dass er als Weltranglisten-134. eine Chance hatte, ins Hauptfeld der Australian Open zu rücken, wenn noch ein paar Konkurrenten absagten. Er buchte schon mal den Flug. Und trainierte gewissenhaft mit Coach Markus Hipfl. Er habe eine "kurze, aber wirklich gute und intensive Vorbereitung gehabt", erzählte Kohlschreiber. "Ich habe nach einer Woche schon unglaublich Tennis gespielt. Ich dachte, dass ich mehr Zeit brauche. Weil seit Indian Wells habe ich den Schläger nicht mehr in der Hand gehabt."

Seit Mitte Oktober 2021 also. Er hätte "alles gemacht über Weihnachten, um viele Spielpartner zu haben", viele Punkte hatte er gespielt, Ernstfälle simuliert. Als die gute Nachricht kam, spürte er "eine Erleichterung" - erst Ende vergangener Woche flog er nach Melbourne. Und jetzt steht er wieder vor seinem Problem, das er seit Jahren hat: Er merkt schon wieder, dass er zu gut ist, um aufzuhören. Allerdings: Erstmals spricht er konkreter aus, dass bald Schluss sein könnte. Im Sommer vielleicht.

"Okay, ich kann noch mal zum Abschied Hamburg spielen. Oder wie auch immer."

Sein ursprünglicher Plan war, in Doha die Saison zu starten. Er möchte nicht mehr bei Hallenturnieren mit Maske herumlaufend die Endphase seiner Karriere verbringen. Er will raus, an die Luft. Und deshalb sagte er: "Es ist relativ einfach. Ich will dieses Jahr Turniere spielen, auf die ich Lust habe. Vielleicht kriege ich noch die eine oder andere Hilfe bei den deutschen Turnieren."

Er hofft auf Wildcards, sollte er dort, in München, Stuttgart, Halle, Hamburg, nicht ins Hauptfeld gelangen. "Ich kann bis Wimbledon mit meiner Rangliste relativ gut planen. Vielleicht spiele ich nach Dubai noch Indian Wells und Miami. Ich würde gerne in München antreten, dann würde ich Quali in Paris spielen, Stuttgart, Halle, Quali Wimbledon. So wäre eigentlich mein Turnierplan." Falls er gut spiele, "würde ich weitermachen".

Und falls nicht? "Falls ich wirklich keine Ergebnisse mache und keine Rangliste mehr habe, werde ich vielleicht irgendwann sagen: Okay, ich kann noch mal zum Abschied Hamburg spielen. Oder wie auch immer." Auf keinen Fall werde er sich "irgendein Turnier in Asien antun, wo ich weniger Lust drauf habe". Unter die ersten 100 der Weltrangliste zu kommen, wäre sein Ziel. Mit zwölf, 13 Turnieren im Jahr will er das schaffen: "Ich beweg' mich gut, ich spiele immer noch sehr, sehr gutes Tennis."

Vielleicht wird sein Abschied Deutschland nicht gleich erschüttern. Früher gab es ja auch mal ein bisschen Zoff um ihn, im deutschen Davis-Cup-Team, da wurden manche nicht wirklich warm mit ihm. Aber er hat sich gewandelt. Längst ist er ein geschätzter Gesprächspartner geworden, in Australien erzählte er gerne von seinem legendären Sieg 2008, als er in Melbourne den früheren Weltranglisten-Ersten Roddick mit 8:6 im fünften Satz bezwang. Auch gegen Rafael Nadal spielte er hier, 2010 holte er einen Satz gegen den nun 20-maligen Grand-Slam-Sieger.

Jetzt, in Runde zwei, trifft er auch auf einen Spanier, Roberto Bautista Agut sei so ein Professioneller wie Nadal, meinte Kohlschreiber. "Das wird hoffentlich ein gutes, intensives Match." Gut vorbereitet ist er, das ist für ihn das Mindeste. Auch mit 38.

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