Süddeutsche Zeitung

Australian Open:Die Lage ist hoch komplex und schwierig

  • Während es weiter in Australian brennt, startet in Melbourne das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres.
  • Nach viel Kritik hat der Veranstalter die Sicherheitsvorkehrungen erhöht - eigene Messstationen auf der Anlage sollen rechtzeitig vor zu hoher Feinstaubbelastung warnen.
  • Hier geht es zu den Spielen der Australian Open.

Von Barbara Klimke, Melbourne

Endlich kam der erhoffte Regen und mit ihm das Elend im Macleay River. Hunderte, womöglich Tausende tote, verwesende Fische wurden an die Ufer des Flusses im Nordosten des australischen Bundesstaates New South Wales gespült. Das zuständige Ministerium hat eine Untersuchung angeordnet, vermutet wird, dass der starke Niederschlag große Mengen Asche, Kohle und andere Rückstände der Buschbrände in die Fluten spülte und der Sauerstoffgehalt des Wassers unter die kritische Grenze sank.

Über das Fischsterben am nur 70 Kilometer langen Flussabschnitt nahe der Provinzstadt Kempsey berichteten auch Australiens überregionale Medien, obwohl der Vorfall im Katastrophenszenario des brennenden Kontinents allenfalls eine traurige Umweltmarginale war. Aber die Bilder trugen sinnbildlich drei Botschaften ins geschundene Land. Zum einen, dass die Krise noch nicht beendet ist. Zum anderen, dass Regen, der am Mittwoch auch Melbourne erreicht hatte, nicht in jedem Fall mit Segen gleichgesetzt werden muss. Und schließlich, dass die Lage, wie der Turnierdirektor der Australian Open, Craig Tiley, vor dem Eröffnungsmatch betonte - allerdings ohne auf die Fische einzugehen - hochkomplex und schwierig bleibt.

Denn Melbourne wird sein alljährliches Tennisfestival feiern trotz der Feuer, die am Freitag weiter im Bundesstaat Victoria wüteten, trotz Tausender zerstörter und niedergebrannter Häuser, trotz der Menschen, die vor den Flammen flüchteten und in Zelten, Hotels, Pensionen und bei Privatpersonen vorübergehend Obdach fanden. Craig Tiley ging sogar so weit, vor Journalisten eine Garantieerklärung für das Sportereignis abzugeben. Es habe eine Menge Spekulationen über Verlegungen und Verschiebungen gegeben, aber: "Die Australian Open finden statt. Und zwar von Montag an, weil wir drei Umgebungen haben, in denen wir spielen können." Der Melbourne Park verfügt über drei Arenen, die mit Schiebedächern nachgerüstet sind. Vielleicht, so prognostizierte Tiley, "sieht es ein bisschen anders aus als sonst, aber wir werden es erleben".

Die Luftqualität wird als als "sehr schlecht bis gefährlich" eingestuft

Wie sehr sich das gewohnte Umfeld verändern kann, war schon am Dienstag gespenstisch klar geworden: Die Rauchglocke, die seit Tagen über der Hauptstadt Victorias gelegen hatte, verdichtete sich, die Hochhäuser des Central Business District verschwanden im Dunst. Trotzdem wurden auf den Freiluftplätzen am Yarra River, nur einen kurzen Spaziergang vom Geschäftsviertel entfernt, die Matches für das Qualifikationsturnier der Australian Open durchgepeitscht, nach einem um nur eine Stunde verschobenen Start. Als die Profispielerin Dalila Jakupovic wegen Atemnot nach einem Hustenanfall auf die Knie sank und aufgeben musste ("Ich dachte, ich kollabiere!"), rief das besorgte Mediziner auf den Plan. Der Leiter des Gesundheitsdienstes des Staats Victoria hatte die Luftqualität als "sehr schlecht bis gefährlich" eingestuft. Die Fußballspieler der Melbourner Erstligaklubs verlegten ihr Training vorsorglich in die Halle. Galopprennen wurden abgesagt und die Pferde geschont. Aber auch am folgenden Tag gab das Tennis-Organisationskomitee erneut grünes Licht für das Qualifikationsturnier, das diesmal immerhin, so weit das Zugeständnis, erst am Mittag begann.

Zu den Kritikern des Schlagabtauschs in dicker Luft gehörte der Medizinprofessor Peter Brukner, ein früherer Mannschaftsarzt des Australischen Cricket-Teams, der im Radiosender Sports Entertainment Network (SEN) von "entsetzlichen, nie gesehenen" Umständen sprach. Das Problem der körperlichen Intensivaktivitäten bei Qualm, Ruß und Rauch bestehe darin, dass noch keine verbindlichen Daten über die akzeptablen Grenzwerte vorlägen, sagte er. Zudem reagierten die Menschen unterschiedlich auf Höchstbelastung bei Feinstaub. Sein Rat deswegen: Bei hoher Luftverschmutzung im Zweifel kein Outdoor-Sport!

Das war die Ausgangslage am Freitag, als sich auch Angelique Kerber, die dreimalige Grand-Slam-Siegerin, zur Berufsausübung im Reizklima äußern sollte. Die Luft war lau, von den Gewittern am Mittwochabend gereinigt. Temperatur: 24 Grad Celsius. Luftqualität: Kategorie "gut" nach der fünfstufigen Skala der staatlichen Umweltbehörde EPA, die die Konzentration von Ozon, Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid sowie gesundheitsschädlichem Feinstaub in zwei Kategorien (PM2,5 und PM10) auswertet. Aber schon am Sonntag, das wusste Kerber, könnte sich laut Wettervorhersage das Szenario ändern, wenn der Rauch der Buschbrände in Victoria auf Melbourne zutreibt. "Das ist natürlich eine ganz neue Situation für jeden", sagte Kerber, sie hoffe, dass Tileys Komitee entsprechende Maßnahmen ergreife, "und dass wir hier nichts riskieren. Ich denke, das ist Priorität Nummer eins". Was bleibt ihr auch übrig, als sich auf die Organisatoren zu verlassen? Zumindest fühlt sie sich durch die Rundmails der Turnierveranstalter und den Rat des Ärzteteams umfassend informiert: "Die kümmern sich, das muss ich sagen."

Kerber wird wie der Kollege Alexander Zverev erst am Dienstag ins Turnier eingreifen: Der Melbourne-Siegerin von 2016 wurde eine Qualifikantin zugelost. Bis dahin ist der Maßnahmenkatalog in Kraft, den Craig Tiley, Turnierchef und Geschäftsführer des Australischen Tennisverbandes in Personalunion, am Freitag im Detail vorgelegt hat. Nach der Kritik an den chaotischen, widersinnigen Umständen in den ersten Qualifikationstagen, die sich auch daran entzündete, dass die Ballkinder, Schieds- und Linienrichter stundenlang ohne Atemschutz im Rauch standen, gab Tiley nun bekannt, dass Messstationen direkt auf der Anlage installiert worden seien. Das ermöglicht den Veranstaltern ein sofortiges Eingreifen, wenn die Werte, abgelesen im Vierminutentakt, erneut bedrohlich steigen. Geeinigt haben sich die zu Rate gezogenen Experten auf den Indikator des Feinstaubwerts PM2,5, dessen Höhe die Marke 200 nicht übersteigen dürfe. Dies sei der global meistgenutzte Index, erklärte der Turnierchef: "Wenn Sie aus einem europäischen Land kommen, dann kennen Sie den." Er habe das alles auch erst lernen müssen.

Künftig, so Tiley, werde es Eskalationsstufen geben, ähnlich der in Melbourne bereits seit Langem erprobten Hitzeprävention: Es ergeht Weisung an die Schiedsrichter, ein Match am Ende einer geraden Anzahl von Spielen zu unterbrechen, sobald der Zeiger in den roten Bereich ausschlägt. Oder gleich unters geschlossene Hallendach umzuziehen.

Das führt zu der Grundsatzfrage, wie vernünftig es ist, das prestigeträchtigste Turnier der südlichen Hemisphäre ausgerechnet in den heißesten Wochen des Jahres auf dem australischen Kontinent ausspielen zu lassen. Schon in den vergangenen Jahren litt die Veranstaltung oft unter Bratpfannenhitze, die die Spieler an manchen Tagen unter der Sonne gesundheitsgefährdend brutzeln ließ. Auf den Plätzen lagen gekühlte Handtücher und Spezialwesten mit Eisfächern für Profis bereit. Nun hat die Klimabedrohung der Freiluftsportler nach den Temperaturrekorden einen neuen Aggregatzustand erreicht: Tennis im Feuerland. Und während sich auf einem Fernsehkanal kurzbehoste Menschen vor großem Publikum Bälle um die Ohren schlagen, könnte auf dem nächsten ein Militärhubschrauber zu sehen sein, der über der versengten Erde von Kangaroo Island Heuballen als Nahrung für die verbliebenen Tiere abwirft.

Denn dieses Traditionsturnier, und auch das gehört zu den Wahrheiten, hat für den Bundesstaat Victoria große Wirtschaftskraft. 2019 wurde der Besucherrekord eingestellt, umgerechnet 179 Millionen Euro wurden an Einnahmen verbucht, der Minister für Tourismus und Sport konnte die Schaffung von 1000 Arbeitsplätzen verkünden. Vom Image des Tennissports soll und muss auch das verheerte Land wieder profitieren. Und am Macleay River, dort, wo die Fische nach dem Feuer im Regen starben, wird nun, so hört man, Sauerstoff in den Flusslauf gepumpt.

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SZ vom 18.01.2020/ebc
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