Süddeutsche Zeitung

Fans bei den Australian Open:"Hellas, ole, ole, ole!"

Lesezeit: 4 min

Von Barbara Klimke, Melbourne

Am dritten Tag der Australian Open hat sich der Melbourne Park in ein Stück Griechenland verwandelt. Von außen war es nicht leicht zu entdecken, aber wer den Kalypso-Gesängen folgte, die engen Treppen zu Court 3 emporstieg und sich umblickte, fand im Inneren ein Sommerpanorama wie auf Mykonos. Die Tribünen strahlten blendend weiß, über den Balustraden hingen blau-weiß-gestreifte Flaggen, auf den Stufen sangen fröhliche Menschen. Sogar der Hardcourt-Tennisplatz in der Mitte leuchtete in Ägäis-blau.

Verantwortlich für diese Strandstimmung war ein junger Mann in der Mitte der Arena mit weißen Hosen, hellblauem Shirt und einem rosafarbenen Tuch in den braunen Locken: Stefanos Tsitsipas, 20 Jahre alt, 1,93 Meter groß, in Athen geboren und mit Talent gesegnet, als habe ihm Göttervater Zeus persönlich Ballgefühl verliehen. Er ist der erste männliche Tennisspieler Griechenlands, der jemals ein Match bei den Australian Open gewinnen konnte, und weil er sich am Mittwoch auch in seiner zweiten Partie gegen Viktor Troicki, einen zwölf Jahre älteren Serben, durchsetzte, darf er sich als der erste Grieche feiern lassen, der beim Grand-Slam-Turnier in Melbourne in der dritten Runde steht.

Der Heldenruhm von Tsitsipas, der auf Platz 14 der Weltrangliste aufgestiegen ist, hatte den griechischen Anhang angelockt. Und davon gibt es in Melbourne seit den Zeiten des ersten Goldrauschs reichlich. Die Hauptstadt Victorias hat die größte griechische Gemeinde Australiens, Melbourne fühlt sich heute mit mindestens 150 000 Bürgern, die ihre Wurzeln rund um den Peloponnes verorten, sogar als die Stadt mit dem größten griechischen Bevölkerungsanteil außerhalb Europas.

"Die Leute machen Lärm auf dem Platz, um den Spielern Energie mitzugeben"

Die meisten wohnen heute im südlichen Vorort Oakleigh, und viele hatten sich am Morgen auf den Weg gemacht. Wann immer Tsitsipas mit seinem variantenreichen Spiel und der einhändigen Rückhand, die an Roger Federer erinnert, einen Punkt verbuchte, erhob sich ein Chor in blauen Hemden, um Hymnen anzustimmen. Auch jeder Seitenwechsel wurde gesanglich überbrückt: "Ise sto mialo, Kati magiko, Hellas, ole, ole ole", schallte es durch Court 3. "Hellas, du bist in meinem Herzen": unschwer als Fußball-Hymne zu erkennen, wie die Umsitzenden ihren australischen, des Griechischen nicht mächtigen Landsleuten freundlich erklärten. Als sich Tsitsipas 6:3, 2:6, 6:2 und 7:5 durchgekämpft hatte, wurde ein Banner ("Stefanos der Große") ausgerollt.

Als "ungewöhnlich" beschrieb Tsitsipas die Fußball-Atmosphäre: "Die Leute machen Lärm auf dem Platz, um den Spielern Energie mitzugeben." Er fände das großartig, sagte er, wenngleich es in manchen Situationen irritieren könne. So viel Leidenschaft ist ihm bei seinen Auftritten außerhalb Australien noch nie entgegengeschlagen. Schon gar nicht in Griechenland, wo er als Weltklasse-Tennisspieler tatsächlich einer seltenen Spezies angehört.

Der letzte seiner Landsleute, der im Männerwettbewerb für Furore sorgte, war ein gewisser Nicky Kalogeropoulos, Jahrgang 1945, der sich vor 55 Jahren bis ins Achtelfinale von Wimbledon durchschlug. Nur bei den Frauen hatte Eleni Daniilidou aus Kreta, fünfmalige Turniersiegerin auf der WTA-Tour zwischen 2002 und 2008, bis vor kurzem die Landesfahnen hochgehalten. In Ermangelung eigener Heroen verlegten sich die Griechen kurzerhand darauf, den zyprischen Profi Marcos Baghdatis als Sympathieträger zu adoptieren.

Baghdatis, den Tsitsipas sein großes Vorbild nennt, war 2006 Australian-Open-Finalist. Und nicht wenige Experten trauen dem charmanten Emporkömmling zu, dass dessen Karriere einen ähnlichen Kurs nimmt. Trainiert wird er von seinem Vater Apostolos, einem Tennislehrer, die Mutter spielte auf der WTA-Tour, Großvater Sergej Salnikow hat als Fußballer 1956 Olympiagold mit dem sowjetischen Team gewonnen. Die Anlagen sind zweifellos da, und den letzten Schliff holt sich Tsitsipas heute in Patrick Mouratoglous Tennisakademie; kürzlich in Perth am Rande des Hopman Cups hat er auf Empfehlung des Coachs auch mit Serena Williams trainiert. Spätestens seit er im Oktober in Stockholm seinen ersten Titel auf der ATP-Tour gewann - eine weitere Premiere für Griechenland - und das NextGen-Juniorenfinale für sich entschied, traut ihm das Publikum in Melbourne Taten wie Achilles zu.

Was nicht bedeutete, dass die Fußballatmosphäre am Mittwoch nach Tsitsipas' Matchball abrupt geendet hätte. Stattdessen ging es laut weiter, denn nun stand Maria Sakkari, 23, auf Court 3, ebenfalls in Athen geboren und von den Zuschauern in Melbourne sofort als Landeskind angenommen. Der Liedtext auf der Tribüne musste nur leicht abgeändert werden in "Maria, ole, ole, ole". Sakkari, Nummer 43 der Weltrangliste und Fußball-Fan von Olympiakos, fühlte sich beflügelt.

Mit blau-weiß-gestreiften Flaggen wie auf Mykonos

In der ersten Runde hatte ihr das Los die French-Open-Siegerin von 2017, Jelena Ostapenko, zugeteilt, die sie mit kraftvollem, konzentriertem Grundlinienspiel aus dem Turnier kegelte. In Runde zwei bezwang sie die fabelhafte Astra Sharma aus Australien in zwei Sätzen (6:1, 6:4). Sharma, 23, rangiert in der Weltrangliste nur auf Platz 230 und hatte gleich mehrere Anläufe unternehmen müssen, um sich ihre Teilnahme an dem Prestige-Turnier zu ergattern. Zunächst nahm sie an einer australienweiten Ausschreibung für eine Wildcard teil, scheiterte unglücklich im Finale.

Danach versuchte sie ihr Glück im Qualifikationsturnier und musste gleich gegen die frühere Wimbledon-Finalistin Wera Swonarewa antreten: Sie gewann das Match, dann das nächste, hatte im dritten, gegen Irina Chromatschowa, drei Matchbälle gegen sich. Auch die wehrte sie ab. Sie kam ins Hauptfeld der Australian Open, erstmals in ihrem Leben, und schlug ihre Landsfrau Priscilla Hon. Endpunkt der Reise war Court 3 - mit der Partystimmung und den blau-weiß-gestreiften Flaggen wie auf Mykonos. Sharma nahm es locker: Sie grinste, als der Schiedsrichter die lärmenden Sänger zur Ordnung rief.

Für Stefanos Tsitsipas und Maria Sakkari gilt derweil: So lange sie in Melbourne spielen, können sie auf Unterstützung vertrauen. Klein-Griechenland ist auf jedem Court schnell aufgebaut.

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Quelle:
SZ vom 17.01.2019
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