Süddeutsche Zeitung

Australian Open:Die Wandlung der Alizé Cornet

Ausgerechnet in dem Jahr, das ihr letztes als Tennisprofi werden soll, erreicht die Französin ihr erstes Viertelfinale bei einem Grand-Slam-Turnier. Der sportliche Erfolg rundet ihre Entwicklung ab - sie ist eine Persönlichkeit geworden, die etwas zu sagen hat.

Von Gerald Kleffmann

Bei den Australian Open sind kurze Interviews, nach den wichtigsten Matches in den zwei großen Arenen, seit langem ein festes Unterhaltungselement. Der zweimalige Sieger von Melbourne, Jim Courier, längst ein respektierter Kommentator, hat diese kleine Einlage auf dem Platz zur Kunstform erhoben. Aber er beansprucht diese Aufgabe nicht nur für sich. Am Montag schritt die ehemalige kroatische Spielerin Jelena Dokic, 38, auf den Platz. Alizé Cornet kam ihr entgegen, sie hatte noch feuchte Augen von ihren Tränen der Freude. Beide umarmten einander, und als sie sich fünf Minuten später verabschiedeten, herzten sie sich wieder. Diesmal weinte Dokic. Ein solches Interview hatte es hier, im Melbourne Park, noch nicht gegeben.

In der Pressekonferenz ist Cornet natürlich sofort auf ihren Ruf als Drama-Queen befragt worden, sie hat da herzlich gelacht. "Wenn ich für die Leute eine Drama-Queen bin, dann bin ich es", sprach sie. "Was ich weiß, ist, dass ich alles auf dem Platz gebe, und ich denke, deshalb ist da auch manchmal Drama." Da hatte sie recht, nur gehört zu ihrer Geschichte, das sei auch erwähnt, das nicht ganz unwichtige Detail, dass sie nicht immer Pluspunkte mit ihren Aufführungen sammelte. Bei den French Open 2016 habe sie, so klagte ihre deutsche Gegnerin Tatjana Maria damals, Krämpfe simuliert; Barbara Rittner, die jetzige Frauen-Bundestrainerin, tweetete dazu gar: "Hollywood calling". Die Französin aus Nizza verhielt sich wahrlich öfter so, als hätte sie Brad Gilberts Bestseller "Winning Ugly" verinnerlicht.

Aber diese Zeiten sind vorbei. Cornet ist eine der am meisten geschätzten Frauen der Tour geworden. Sie ist eine Stimme, die auch gehört wird.

Cornet bestreitet in Melbourne ihr 61. Grand Slam hintereinander, eine unfassbare Serie

Die Erzählung, wie aus einer unbeliebten Akteurin eine beliebte wird, wäre an sich schon eine spannende. Nun wird sie auch noch durch eine sportliche Leistung angereichert, die selbst Cornet überrascht, quasi auf ihre alten Tage. 32 ist sie. Seit 2006 war sie nie schlechter als auf Platz 90 in der Weltrangliste notiert. 2011 die Nummer elf. Sechs Titel auf der WTA Tour. Sie ist das, was Philipp Kohlschreiber bei den deutschen Männern so lange war: ein zuverlässiger Profi, über mehr als ein Jahrzehnt, mit einem eigenen Kopf (wenngleich Kohlschreiber nie "Winning Ugly"-Methoden anwendete). Wie der 38-Jährige denkt auch Cornet an Abschied: "Das könnte meine letzte Saison sein, das ist wahr", das gab sie nun zu.

Mit dieser Perspektive reiste sie also nach Australien. Sie bestreitet in Melbourne ihr 61. Grand-Slam-Turnier hintereinander, nie fehlte sie seit 2007, eine auf der Frauen-Tour unfassbare Serie. Wie auch diese: Nie war sie weiter gekommen als bis zum Achtelfinale. Fünfmal stand sie dort. 20 Mal verlor sie in Runde eins. Und jetzt? Steht sie erstmals, in ihrem 63. Grand Slam, im Viertelfinale. Wie aus dem Nichts.

In der zweiten Runde warf sie die Weltranglisten-Dritte Garbiñe Muguruza aus Spanien raus, am Montag Simona Halep. Die Wucht des Erfolges spürte sie nach dem dritten verwandelten Matchball, natürlich. Als Cornet die Rumänin, die frühere Nummer eins, nach 2:33 Stunden voller Qualen aufgrund der saunahaften Temperaturen 6:4, 3:6, 6:4 niedergerungen hatte, sank sie auf die Knie. Kauerte lange. Als sie sich erhoben und Halep umarmt hatte, wartete schon Dokic auf sie. Es war, als hätte das Schicksal diese Zusammenführung gewollt, nachdem diese vor 13 Jahren hauchdünn nicht geklappt hatte.

Sofort erinnerten sich Dokic und Cornet an die Australian Open 2009. Zwei Matchbälle hatte Cornet im Achtelfinale gehabt, gegen die Russin Darina Safina, doch sie verlor - und verpasste so das Duell mit Dokic im Viertelfinale. Wie zwei Schulfreundinnen plauderten sie nun, während ein paar Tausend Zuschauer in der Rod Laver Arena begeistert zuhörten. Als das Interview vorbei war, erbat Cornet ein letztes Wort. Und wieder mal wurde klar, wie sehr die Französin an Profil gewonnen hat.

Sie huldigte Dokic. Dafür, wie sie ihr persönliches Leid überwunden habe. Dokic war früher, das hat sie auch in einem eindringlichen Buch geschildert, jahrelang von ihrem Vater physisch und psychisch misshandelt worden. Eine düstere, furchtbare Geschichte. Wie sie sich ins Leben zurück gekämpft habe, dazu wollte Cornet "gratulieren". Die Leute erhoben sich, und Dokic rief schluchzend: "Du bringst mich zum Weinen."

Im Fall der lange vermissten Peng Shuai war Cornet eine der Ersten, die sich zu Wort meldete

Später sagte Cornet, sie wollte einfach diesen Moment mit Dokic teilen, das habe "Sinn ergeben". Und diese Antwort ergab ihrerseits tatsächlich Sinn. Denn Cornet ist eine Kümmerin geworden, das fällt schon länger auf. Sie bezieht Stellung, wie Andy Murray, der deshalb bevorzugt zu heiklen Themen befragt wird. Cornet hatte sich zuletzt auch im Fall der lange vermissten chinesischen Spielerin Peng Shuai als eine der Ersten besorgt geäußert. "Ich empfand das als meine Pflicht, als Kollegin", erklärte sie nun. Sie hoffe immer noch, dass es der 36-Jährigen gut gehe. Außer einigen obskuren Auftritten, die orchestriert wirkten, ist nach wie vor wenig über das Wohlergehen der Chinesin bekannt.

Bei den Australian Open wollten auch Fans sich für die Spielerin einsetzen, doch Sicherheitskräfte nötigten sie, T-Shirts mit der berühmten Frage "Where is Peng Shuai?" zu entfernen. Cornet meinte, sie könne den Vorfall nicht bewerten, ohne Details zu kennen. Nur so viel: "Ich war überrascht. Ich denke, jeder sollte seine Unterstützung für Peng Shuai zum Ausdruck bringen können."

Im Viertelfinale trifft Cornet auf die Amerikanerin Danielle Collins, die für ihre schrille Art, sich anzufeuern, bekannt ist. "Das könnte auch ein Drama werden. Sie ist wie eine Löwin", sagte Cornet und lachte. Als könne sie es nicht erwarten, wieder loszulegen.

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