Süddeutsche Zeitung

Tennis:Die Amerikaner sind zurück

Erstmals seit 2005 stehen drei Männer aus den USA im Viertelfinale der Australian Open, zwei davon sind Sprösslinge prominenter Tennisväter. Novak Djokovic schockt derweil die Konkurrenz mit einer Diagnose.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Andrej Rublew ist einer der putzigsten Kerle in der Weltspitze des Tennis, er hat zwei Seelen in seiner Brust, die widersprüchlicher kaum sein könnten. Dieser Tage hat er einmal auf Court 3 im Melbourne Park trainiert, wo die Australian Open stattfinden. Bei seinen Einheiten erinnert er an einen Navy Seal, der sich durch den Schlamm robbt, über Holzwände klettert und Hängebrücken durchschreitet. Nach einer Stunde packte er die Tasche und ging rüber zu Court 6, um dort nahtlos weiter zu schwitzen.

Er geht immer ans Limit, und genauso bestreitet er seine Matches, wie die 15 000 Zuschauer in der Rod Laver Arena am Montag erleben durften. Dass seine Partie sich zu einer der aufregendsten dieses Turniers entwickelte, lag auch an seinem Gegner Holger Rune, der eine Art Rublew aus Dänemark ist, nur 19 statt 25 Jahre alt eben.

Die beiden verkeilten sich herrlich ineinander, die finale Phase war wild. Im fünften Satz führte Rune schon 5:2, bei 6:5 hatte der Teenager mit den muskelbepackten Beinen zwei Matchbälle. Im Tie-Break, der bei Grand Slams im Entscheidungssatz bis 10 geht, führte er 5:0, dann hatte Rublew zwei Matchbälle bei 9:7, doch: 9:9. Bei 10:9 für Rublew landete dessen Ball an der Netzkante - und plumpste zum Gegner ins Feld. Ein grausames Ende für Rune. "Tennis ist wie eine Achterbahn, oder?", wurde der Russe beim Platzinterview gefragt, da meldete sich die andere Seele Rublews und sprach: "Achterbahn ist viel leichter." Er gestand mit aufgelöstem Blick, die Haare waren zerzaust: "Ich zittere schwer." Privat ist er, man glaubt das kaum, ein schüchterner, schusseliger Mann, der sich selber gerne kleinmacht. Unter Kollegen ist er beliebt.

Beraten vom Vater, ausgestattet mit einem fröhlichen Lachen: Ben Shelton, 20, zählt zu den Überraschungen in Melbourne

Die größte Überraschung an diesem sonnigen Tag gelang freilich einem Amerikaner. Der Linkshänder Ben Shelton, der mit seinem fröhlichen Lachen so ansteckend ist, setzte seine Siegesserie fort und gewann gegen Landsmann J.J. Wolf 6:7 (5), 6:2, 6:7 (4), 7:6 (4), 6:2. Der 20-Jährige aus Atlanta, ein überragender College-Tennisspieler, ist der Sohn von Ex-Profi Bryan Shelton, der 1994 Michael Stich in der ersten Runde von Wimbledon rauswarf.

Vor einem Jahr war Ben Shelton noch 569. der Weltrangliste. Noch nie in seinem Leben hatte er die USA verlassen. "Er hat definitiv den größten Einfluss auf mein Tennis", sagte Shelton über seinen Vater, den er als mindestens 43. in der Weltrangliste nach den Australian Open übertrumpfen wird; Bryan Shelton hatte den 55. Platz erreicht. "Sein analytischer Tennisverstand ist einer der besten", schwärmte Ben Shelton, der sagt, er telefoniere ständig mit seinem Vater.

Die Amerikaner erleben überhaupt gerade Festtage wie lange nicht. Drei US-Profis stehen im Viertelfinale, am Sonntag hatte sich Sebastian Korda, 22 - Sohn von Petr Korda, dem Australian-Open-Gewinner von 1998 -, im Achtelfinale gegen den Polen Hubert Hurkacz durchgesetzt. Tommy Paul, 25, besiegte am Montag den spanischen Murray-Bezwinger Roberto Bautista Agut 6:2, 4:6, 6:2, 7:5. Drei Amerikaner im Viertelfinale in Melbourne - das gab es zuletzt 2005, als Andre Agassi, James Blake und Robby Ginepri reüssierten. Fest steht nun: Einer der Amerikaner fliegt zum Halbfinale raus, dafür kommt aber einer garantiert weiter. Shelton trifft am Mittwoch auf Paul.

Rublews Gegner wird dann wie erwartet Novak Djokovic, 35, sein. Der neunmalige Turniersieger, der eine turbulente erste Woche in Melbourne erlebt hatte mit Motzereien, Instagram-Verteidigungsposts wegen Kommentaren eines Fernsehsenders und Verletzungssorgen, surfte ungefährdet durch sein Achtelfinalmatch.

Mit 6:2, 6:1, 6:2 fertigte er den überforderten Australier Alex De Minaur ab und gab auch bezüglich seines lädierten linken Oberschenkels Entwarnung: "Heute habe ich nichts gespürt", sagte er und meinte: "Ich habe das beste Match in diesem Jahr gespielt." Djokovic steht nun in seinem 13. Viertelfinale bei den Australian Open, insgesamt wird er sein 54. Viertelfinale bei einem Grand-Slam-Turnier bestreiten. Eine unglaubliche Zahl. Djokovic stand, wenn man es zusammenrechnet, dreizehneinhalb Jahre ununterbrochen in der Runde der letzten Acht.

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