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Tennis:Aufstrebendes Tennis-Ass Tiafoe lebt "Cinderella-Story"

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New York (dpa) - Auf der Massagebank einer kleinen Jugendakademie eingeschlafen und im größten Tennisstadion der Welt aufgewacht: So in etwa muss sich Frances Tiafoe in seinem Tennis-Märchen bei den US Open fühlen.

Der Halbfinalist begeisterte im Arthur Ashe Stadium von New York nicht nur mit seinem spektakulären Spiel. Auch wegen seiner inspirierenden Lebensgeschichte ist der US-Amerikaner der neue Held seiner Landsleute. "Jeder liebt die Cinderella-Story", sagte Tiafoe grinsend, "ich versuche, eine zu sein."

Tiafoes Aschenputtel-Geschichte

Der aufstrebende Youngster wuchs in einfachsten Verhältnissen auf. Als Sohn von Einwanderern aus dem westafrikanischen Sierra Leone lernte Tiafoe früh, was Entbehrungen bedeuten. Weil seine Mutter als Krankenschwester oft Nachtschichten schob und sein Vater in einem Junior-Tenniscenter in Washington D.C. als Hausmeister arbeitete, nächtigte der junge Frances mit seinem Zwillingsbruder Franklin dort so manches Mal auf einer Massagebank. Geschadet habe es ihm nicht, meinte Tiafoe. "Ich konnte umsonst Tennis spielen, den Sport, den ich liebe", berichtete er über den Beginn seiner Aschenputtel-Geschichte.

Er zeigte früh großes Talent, aber es fehlte ihm an etwas anderem: Geld. Die Spielerausrüstung und die Gebühr für sein erstes Jugendturnier bezahlte sein erster Trainer. In dem Sport, der zu jener Zeit noch viel stärker von der weißen Oberschicht betrieben wurde, fühlte sich Tiafoe anfangs minderwertig. Gleichaltrige machten sich zum Beispiel über ihn lustig, wenn sie in seinen Tennissocken Löcher sahen.

"Diese Armen-Witze damals taten wirklich weh", sagte Tiafoe dem Magazin "Landscape". Die Demütigungen von damals treiben "Big Foe" in gewisser Weise noch heute an. "Jedes Mal, wenn ich gewinne, will ich damit Menschen inspirieren", sagte er, "wenn man viel Leidenschaft investiert, ist alles ist möglich."

Nervenstärke, Explosivität und Beweglichkeit

Doch auf dem Weg zu dieser Einsicht stolperte er zunächst über sich selbst. Nachdem Tiafoe U14-Weltmeister wurde und im Alter von 17 Jahren sein Grand-Slam-Debüt bei den French Open gab, wartete die Tenniswelt vergeblich auf den großen Durchbruch. Das habe auch mit seiner Vorliebe für Süßigkeiten zu tun gehabt, verriet sein Trainer Wayne Ferreira: "Er hat sie zu den ungewöhnlichsten Zeiten gegessen, hat das Frühstück dafür oft ausgelassen." Inzwischen verhalte sich sein Schützling aber "nur professionell".

Das erklärt auch, warum der 24-Jährige gerade in entscheidenden Spielphasen zur Hochform aufläuft, so wie bei seinem Achtelfinalsieg gegen den spanischen Superstar Rafael Nadal ("Größter Tag meines Lebens") oder in den beiden Tiebreaks eine Runde später gegen den Russen Andrej Rubljow. Die Nervenstärke, Explosivität und Beweglichkeit, dazu der Heimvorteil im Rücken - Tiafoe ist es absolut zuzutrauen, als erster US-Amerikaner seit Andy Roddick 2003 wieder einen Grand-Slam-Titel zu gewinnen. Zunächst muss er aber im Halbfinale Jungstar Carlos Alcaraz (Spanien) bezwingen, der sich erst in einem 5:15-Stunden-Krimi gegen Jannik Sinner (Italien) durchsetzte.

Sollte Tiafoe am Ende triumphieren, werde dessen Lebensgeschichte "hoffentlich als Film rauskommen", sagte Trainer Ferreira. Der Streifen könnte mit einem schlafenden Jungen auf einer Massagebank beginnen.

© dpa-infocom, dpa:220908-99-674930/5

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