Wimbledon:Andy Murray und die wundersame Metallplatte

ATP 250 - Eastbourne International

Ganz der Alte: Andy Murray.

(Foto: Andrew Couldridge/Action Images via Reuters)
  • Vor fünf Monaten schien es, als ob Andy Murray nie wieder ein professionelles Tennismatch absolvieren würde.
  • Jetzt spielt er nicht nur sehr erfolgreich Doppelturniere, sondern plant auch seine Rückkehr nach Wimbledon.
  • In Großbritannien wird schon darüber diskutiert, inwieweit seine OP-Methode auch für hüftkranke Nichtsportler in Frage kommen könnte.

Von Barbara Klimke

Falls die Briten die Nachrichtenlage auf ihrer Insel in letzter Zeit als wenig ersprießlich empfanden, so haben sie zumindest die Meldungen zum Thema Hüftleiden aufmuntern können. Rund 100 000 Patienten, so wurde aus aktuellem Anlass bekannt, müssen sich im Vereinigten Königreich pro Jahr unters Messer begeben. Kaum jemals aber hat ein Patient, der im Januar noch mit starkem Humpeln das Mitleid der Nation erregte, sechs Monate später auf einem Tennisplatz vor staunendem Publikum einen tollkühnen Beckerhecht vollführt. Von einer Wunderheilung ist nun die Rede. Auch wenn Andy Murray, ein eher nüchtern veranlagter Schotte, lieber auf die neuen Metallplatten in seiner operierten rechten Hüfte verweist.

Er sei völlig schmerzfrei, hat Murray diese Woche bekanntgegeben. Wenn ihn überhaupt etwas plage, dann nur ein steifer Rücken. Kaum der Rede wert bei einem Tennisprofi, der nach fünf Monaten Untätigkeit auf den Court zurückkehrt und auf Anhieb den Titel in der Doppel-Konkurrenz des Turniers im Londoner Queen's Club gewinnt. In der kommenden Woche wird Murray, 32, im Doppel im All England Club spielen. Die Rückkehr des zweimaligen Wimbledon-Champions ins nationale Tennisheiligtum hat das Land derart elektrisiert, dass es tagelang über die Segnungen von Hüftoperationen debattierte. Was umso einfacher war, als Murray in seiner Rekonvaleszenz ein paar Röntgenbilder ins Netz stellte. Sogar die seriöse Zeitung The Times hat kürzlich einen Mediziner zu Wort kommen lassen, der der Frage nachging, unter welchen Umständen die Murray'sche OP-Methode, ein Oberflächenersatz am Gelenk, auch für hüftkranke Nichtsportler in Frage kommen könnte.

Vor der OP nur mit Schmerzmittel

Keiner aber ist über den Heilungsverlauf erstaunter als Murray selbst. Als er sich im Januar bei den Australian Open in einer heroischen Fünfsatzniederlage gegen den Spanier Roberto Bautista Agut über den Platz quälte, verließ er die Arena humpelnd und als gebrochener Mann. Nie wieder, so musste er damals fürchten, werde er körperlich in der Lage sein, ein Profimatch zu bestreiten. Er konnte ja nicht einmal mehr schmerzfrei gehen.

Die Partie überstand er nur, weil er zwei Paracetamol geschluckt hatte; anschließend flossen Tränen, und die Kollegen verabschiedeten ihn wehmütig mit einer Videobotschaft, die deutlich machte, dass niemand mehr an seine Rückkehr glaubte. Wenn er sich noch einmal zu einer Operation entschließe, sagte Murray damals, dann nicht mehr, um sich die Chance auf ein Comeback zu erhalten; dafür sei es bei den Abnutzungen an der Hüfte wohl zu spät. "Sondern nur noch, um meine Lebensqualität zu erhöhen."

Nun, fünf Monate später, hat er in einem Interview mit der BBC über die letzten Jahre der Karriere gesprochen, die eine Leidensgeschichte waren. Er habe kaum noch Zeit mit Freunden verbracht, nicht mal einen Golfschläger schwingen können. Selbst wenn er mit seinen beiden kleinen Töchtern auf dem Spielplatz war, in die Knie ging und durch einen Tunnel krabbeln sollte, habe er es vor Schmerzen kaum ausgehalten. Nach dem Training habe er nur noch "die Füße hochlegen" wollen. "Leute, die an Arthritis leiden, wissen, wie schwierig das ist. Wie unglücklich es einen machen kann, wie lang und ermüdend die Tage werden", sagte er: "Ich habe einfach nicht mehr das Leben gelebt, das ich leben wollte."

Um sich mit den neuen Metallkappen im Gelenk wieder zurück ins Spiel zu tasten, setzt er seine Hüfte zunächst einer Belastungsprobe im Doppel aus. Wenn zwei Spieler auf einer Seite des Netzes stehen, so die Idee, muss einer nur halb so viel rennen und rutschen. Also hat Murray, der 41 Wochen lang die Nummer eins der Einzel-Rangliste gewesen ist, bei den ersten Auftritten mit Partner Feliciano Lopez im Queen's Club in sich hineingehört. Und erstmals seit fünf oder sechs Jahren sei da nichts gewesen; nicht mal das kleinste Zipperlein. Danach hat er in Eastbourne kurz mit Marcelo Melo aus Brasilien gespielt. Für den Doppel-Wettbewerb von Wimbledon konnte er nun den Franzosen Pierre-Hugues Herbert, 28, gewinnen, den dritten Partner im dritten Turnier. Herbert hatte zuletzt in Melbourne an der Seite von Nicolas Mahut triumphiert; dieses Erfolgsduo hat Murray nun vorübergehend gesprengt.

Jetzt hat Murray die Qual der Wahl

Kurioser lief die Suche nach einer Partnerin im Mixed-Wettbewerb: Auch auf diesem Feld wollte sich Murray ausprobieren, bis er sicher ist, dass er der Wucht der Schläge im Einzel wieder standhalten kann. Von Ashleigh Barty, der australischen French-Open-Siegerin, und der Französin Kristina Mladenovic erhielt er einen Korb: Beide ließen wissen, dass sie mit Einzel und Doppel ausgelastet sind. Dafür boten spontan die Profis Barbora Strycova und Kirsten Flipkens ihre Dienste an. Coco Vandeweghe aus den USA teilte per Twitter launig mit, dass sie für Murray auch ihre Verletzungspause abbrechen würde. Und sogar Tennislegende Billie Jean King, 75, richtete aus, dass sie bereits "ihre Schnürsenkel bindet". Noch hat Murray die Qual der Wahl. Er liebäugelt wohl mit einem Start an der Seite von Serena Williams. "Sie ist vermutlich die beste Spielerin aller Zeiten - eine relativ solide Mitspielerin also", meinte Murray scherzhaft. Auch Williams könnte sich ein solches Star-Doppel vorstellen. "Ich wäre verfügbar", sagte sie.

Die herzlichste Einladung zum Mixed erhielt Murray per Video von einer anderen alten Dame: von Shirley Erskine, 85, seiner Großmutter, die im Garten zu sehen ist, wie sie einen Volley schlägt. Sie sei nicht mehr die Schnellste, ließ sie wissen. Aber zum Seitenwechsel würde sie Shortbread, schottische Kekse, mitbringen.

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