Süddeutsche Zeitung

Tennis: Andre Agassi:Im Reich der Spieler

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Andre Agassis Drogenbekenntnisse sorgen weltweit für Aufruhr. Und sie lassen tief ins Tennis-Milieu mit seinen horrenden Preisgeldern blicken.

René Hofmann

Die Bekenntnisse von Andre Agassi sorgen für Aufruhr. So ganz einig ist sich die Tennis-Szene aber noch nicht, wie zu bewerten ist, was vorab aus der Autobiographie "Open" bekannt wurde. In ihr beschreibt Agassi, wie er 1997 die Aufputschdroge Crystal Meth konsumierte und wie er die Konsequenzen eines positiven Dopingtests mit einer Lüge abwendete. "Kommt das wirklich so überraschend?", fragt die britische Tennisspielerin Anne Keothavong, 26, provozierend. Ihr amerikanischer Kollege Amer Delic hat sich in seiner Bewertung hingegen schon festgelegt. "Wenn das alles ist, was Andre getan hat, dann nimmt das seiner Karriere nichts von ihrem Glanz", meint der 27-Jährige.

Um Agassi alleine geht es in der Geschichte aber gar nicht. Spannend ist das, was der 39-Jährige erzählt, vor allem, weil es ein Licht auf den ganzen Sport wirft, in dem in diesem Jahr bei den Frauen 86 Millionen Dollar Preisgeld ausgeschüttet werden und bei den Männern fast 100 Millionen. Agassi selbst erspielte sich in seiner Karriere mehr als 30Millionen Dollar. Erspielte - im Wortsinn. Tennis war immer eine Disziplin für Zocker, ein Tummelplatz für Spielernaturen, die Athletik und finanzielle Möglichkeiten gleichermaßen ausschöpfen wollen.

Entstanden ist die Bewegung, die sich inzwischen zu den beiden Profi-Touren ATP (Männer) und WTA (Frauen) ausgewachsen hat, Ende der fünfziger Jahre aus einer Gruppe Desperados, die sich nicht länger den strengen Amateur- Regeln beugen wollten. Spieler wie Ken Rosewall und Rod Laver, unbestritten mit die Besten ihrer Zeit, brachen auf, um zunächst die USA zu erobern. Mitunter spielten sie in Hallen, die nicht einmal groß genug für einen ordentlichen Tennisplatz waren. Hauptsache die Gage stimmte. Der erste Sponsor des ersten Frauen-Profi-Turniers, das Billie Jean King 1970 in Houston veranstaltete, war eine Zigarettenmarke. Wie sich das mit dem Anspruch des angeblich so weißen und gesunden Sports vertrug? Natürlich gar nicht. Aber das störte niemanden.

Eigentlich drei Monate Sperre

Wohl kein anderer Sport, der weltweit eine ähnliche Geltung hat, ist ähnlich stark vom amerikanischen Aufbruchsstreben durchdrungen wie Tennis - und in keinem anderen sind die maßgeblichen Strukturen auch heute noch so sehr von der Nation geprägt, die sich in ihrer Hymne als "Land der Freien und Heimat der Tapferen" feiert. Vor diesem Hintergrund spielt der Fall Agassi.

Bei den vielen Details, in denen er beschreibt, wie sein Vater ihm schon als Kind Exedrin und Speed zusteckte ("Er legte eine Pille in meine Hand. Winzig. Weiß. Rund. Ich schluckte sie und fühlte mich gut"), bleiben wenig Zweifel, ob es tatsächlich so war. Auch an seine Doping-Lüge erinnert sich Agassi genau. Er schrieb der ATP, er habe das Aufputschmittel versehentlich im Drink eines Freundes zu sich genommen. Nach den damaligen Regularien hätte er drei Monate gesperrt werden müssen. Im April 1998 erfuhr Agassi angeblich, dass er sich mit seiner Lüge einen Freispruch erhandelt hatte. Der Anruf seiner Anwälte erreichte ihn beim Turnier in Rom. "Ich legte auf und starrte in die Luft. Ein Gedanke schoss mir immer und immer wieder in den Kopf: Jetzt startet ein neues Leben!", schreibt Agassi.

Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) existierte damals noch nicht. Sie wurde erst zwei Jahre später gegründet, nachdem bei der Tour de France beim Team Festina riesige Mengen Dopingmittel gefunden worden waren. Im Männertennis lag das Doping-Test-Programm 1997 in den Händen der ATP. Die Tennis-Tour kontrollierte sich also de facto selbst. Der Amerikaner Mark Miles, der von 1990 bis 2005 der Organisation vorstand, will nicht bestätigen, dass es überhaupt einen Doping-Fall Agassi gab. Er sagt lediglich: "In jedem Fall gab es ein Tribunal, das entschieden hat." Die ATP teilt zu Agassis Äußerungen bislang auch nur mit, keine Führungskraft habe je einen Dopingfall alleine niederschlagen können. Aber was heißt das schon? Doch nur, dass sich im Zweifelsfall mehrere Mitwisser einig sein mussten. Macht das ein Vertuschen nobler?

Autobiografie am 9. November

Wada-Chef John Fahey, ein Australier, hat die ATP jedenfalls dringend aufgefordert, "Licht in die Anschuldigungen zu bringen". Auch wenn der Fall lange zurückliegt - wenn er nicht aufgeklärt wird, bleibt der Verdacht, dass es bei weitem nicht der einzige war. Würde Agassi heute mit dem Stoff erwischt, wäre ihm eine Sperre von bis zu zwei Jahren sicher. Die Wada selbst wird aber nicht mehr gegen ihn vorgehen. Der Fall ist zu lange her. Wiederholen könnte er sich heute so leicht nicht mehr. Seit der Tennisweltverband den Wada-Code akzeptiert hat, wird die unabhängige Behörde über jeden Doping-Verdachtsfall informiert und kann, wenn sich nichts tut, nachhaken. Agassis Bekenntnis ist deshalb vor allem für die Sportgeschichts-Schreibung interessant. Als Beispiel für den Aufstieg eines leidenschaftlichen Spielers aus der Spielerstadt Las Vegas.

Seine Autobiographie erscheint am 9. November. Am Tag, als die ersten Auszüge veröffentlicht wurden, schoss sie auf der Bestsellerliste des Internet-Buchhändlers Amazon auf Platz zehn. Agassis Gage für das Buch? Mindestens fünf Millionen Dollar, heißt es.

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Quelle:
SZ vom 30.10.2009
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