Süddeutsche Zeitung

Tennis:Akute Matchballphobie

Lesezeit: 3 min

Alexander Zverev erlebt die schwierigste Phase seiner Karriere und hadert nach seinem frühen Aus in München: "Es läuft gerade alles gegen mich." Die kommenden Sandplatzwochen werden eher noch schwieriger.

Von Max Ferstl, München

Für ein paar Momente glaubte Alexander Zverev, dass er gewonnen hatte. Dass sein Gegner Cristian Garin im Viertelfinale der BMW Open, des Münchner Traditionsturniers, den Ball ins Aus geschlagen hatte. Dass endlich eines dieser knappen Spiele auf seine Seite gekippt war, die zuletzt so oft verloren gegangen waren. Doch die Schiedsrichterin glaubte all das nicht. Sie fand, Garins Ball habe die Linie berührt. Und Zverev schaute wie jemand, dem die U-Bahn vor der Nase weggefahren war.

"Es läuft gerade alles gegen mich", stellte er später fest, und übertrieb damit nicht. Da war ja noch der zweite Matchball gewesen, bei dem seine Vorhand die Linie nur um wenige Zentimeter verfehlt hatte. Es sind Momente, die den Glauben eines Spielers brechen können. Vor allem wenn dieser schon beim vergangen Turnier in Barcelona verloren hatte, obwohl nur ein Punkt zum Sieg fehlte. So auch diesmal: Zverev verlor 4:6, 7:5, 5:7. Das Turnier, bei dem er seine bislang so komplizierte Saison in eine erfolgreiche Richtung lenken wollte, endete für ihn im Viertelfinale. Es läuft nicht.

Der beste deutsche Tennisprofi erlebt gerade die schwierigste Phase seiner Karriere. Mit seinem langjährigen Manager Patricio Apey streitet er vor Gericht, mit seiner Freundin ist Schluss. Sein Vater musste kürzlich ins Krankenhaus, war aber in München wieder an seiner Seite. Hinzu kommen Niederlagen gegen Spieler, die nicht Rafael Nadal, Novak Djokovic oder Roger Federer heißen. Zuletzt verlor Zverev, der Weltranglistendritte, gegen Nicolas Jarry, Platz 70. Nun war auch Garin besser, der im Ranking auf Position 47 liegt und der am Samstag mit einem Zweisatzsieg gegen den Italiener Marco Cecchinato das Finale (15.30 Uhr) erreichte.

Es fehlt die Überzeugung in den eigenen Angriff

Zverev schafft es zurzeit nicht, jenen konstanten Druck zu erzeugen, den man an guten Tagen von ihm kennt. Die Niederlage gegen Garin war in vieler Hinsicht typisch für sein Tennis in den vergangenen Wochen: Zverev ließ sich oft weit hinter die Grundlinie drängen, agierte passiv und produzierte viele Fehler - die denkbar ungünstigste Kombination im Tennis. Gerade in den entscheidenden Momenten wirkte es, als fehle ihm die Überzeugung in den eigenen Angriff. Zverev sprach später von einer "Unsicherheit", die sich in seinem Tennis eingenistet habe. Seit dem Turnier in Acapulco hat er keine zwei Matches nacheinander gewonnen. Also seit Ende Februar.

Das Turnier in München sollte eigentlich seine Saison in Schwung bringen, der Ort habe für ihn eine "positive Energie". Zwei Mal hat Zverev hier schon gewonnen. Der erste Erfolg 2017 war eine Art Basislager für seinen steilen Aufstieg in die Top Ten. Und auch in diesem Jahr hatte das Turnier vielversprechend begonnen. In Runde eins gewann Zverev trotz Schwierigkeiten zu Beginn gegen den formstarken Argentinier Juan Ignacio Londero. Gegen Garin wehrte er im zweiten Durchgang drei Matchbälle ab, führte lange Zeit im dritten Satz - und scheiterte doch um wenige Zentimeter. "Ich bin sicher, dass er bald so spielen wird wie er will", sagte Garin.

In den kommenden Wochen muss Zverev viele Punkte verteidigen

Wichtige Wochen stehen nun an: Bei den Turnieren in Madrid, Rom und den French Open hat Zverev im Vorjahr fast 2000 Punkte gesammelt, also fast den Gegenwert eines Grand-Slam-Sieges. Scheidet Zverev weiterhin früh aus, könnte er in der Weltrangliste abrutschten und die den Spitzenspieler vorbehaltenen Privilegien verlieren: dass er bei vielen Turnieren in der ersten Runde ein Freilos bekommt, dass er auf die besten Gegner erst in den späten Turnierphasen trifft. Schon die Auslosung in Madrid liest sich anspruchsvoll: Es droht eine frühe Begegnung mit Roberto Bautista Agut, dem zähen Spanier, der in München im zweiten Halbfinale steht (gegen Matteo Berrettini), das jedoch wegen Regens auf diesen Sonntag (11 Uhr) verschoben wurde.

Wenn Zverev schwächelt, hat das deutsche Männertennis in der Regel ein Problem. Zum ersten Mal seit 2008 hat es in München kein Deutscher ins Halbfinale geschafft. Philipp Kohlschreiber, Finalist aus dem Vorjahr, scheiterte ebenfalls im Viertelfinale. Jan-Lennard Struff, der zuletzt die stabilste Form gezeigt hatte, war schon in der ersten Runde ausgeschieden. Auch aus der zweiten Reihe ragte keiner überraschend hervor wie 2018, als Maximilian Marterer bis ins Halbfinale vordrang. Oder 2017, als Yannick Hanfmann sich aus der Qualifikation bis ins Viertelfinale vorspielte. "Wir Deutschen haben gerade eher eine schwierige Phase", hatte Davis-Cup-Kapitän Michael Kohlmann zu Beginn des Turniers gesagt - die Woche hat diesen Eindruck verfestigt. Auch wenn zumindest Zverevs Niederlage fast ein Sieg gewesen wäre.

Was man dagegen tun könne, gegen diese aggressive Form von Matchballphobie? "Nichts", sagte Zverev, nur zum nächsten Turnier fahren. Als er sich kurz darauf in Richtung Ausgang schob, klatschten einige Zuschauer. Ein Mädchen hielt ihm ein paar Tennisbälle und einen Stift hin in der Hoffnung auf ein Autogramm. Doch Zverev war schon draußen, in der Kälte.

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Quelle:
SZ vom 05.05.2019
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