Süddeutsche Zeitung

Tempofußball in Frankfurt:Als wären Außerirdische gelandet

Frankfurt und Wolfsburg beweisen mit ihrem Sieben-Tore-Spektakelfußball, dass sich beide Klubs einen Champions-League-Startplatz für die nächste Saison verdient hätten. Trotzdem mehren sich zumindest bei der Eintracht die subtilen Anzeichen des Zerfalls.

Von Ulrich Hartmann, Frankfurt/München

Auf der Otto-Fleck-Schneise hinter dem Stadion war am Samstagnachmittag kaum ein Durchkommen. Ganz anders als drinnen in der Arena in der Abwehr des VfL Wolfsburg. Während Eintracht Frankfurt gegen die zuvor beste Abwehr der Liga vier Tore schoss und eines der spektakulärsten Spiele der Saison mit 4:3 gewann, verstopften hinter der Gegentribüne etwa 200 Frankfurter Fans die schmale Straße. Sie sangen derart laut, dass Zuschauer der Liveübertragung bei Sky den Eindruck bekamen, sie hätten den künstlichen Audiomodus "Stadionatmosphäre" gewählt.

"Die Mannschaften haben begeisternden Fußball gezeigt, und ich mag mir gar nicht ausmalen, was hier los gewesen wäre in einem vollen Stadion", sagte Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic. "Dieses Spiel hätte ein ausverkauftes Haus verdient gehabt", sagte der Trainer Adi Hütter. Man hat sich ja schon so an leere Stadien gewöhnt, dass man große Kunst vor leeren Rängen kaum noch explizit bedauert. Das Duell der beiden Champions-League-Anwärter war so ein Spiel. "Ein Spektakel, ein Husarenritt", schwelgte Hütter.

Es war, als habe ein Restaurantchef die besten Seezungen besorgt - und dann kommt kein einziger Gast. Als spielte Anne-Sophie Mutter Beethovens Violinkonzert mit nie gehörter Raffinesse - daheim im einsamen Wohnzimmer. Als zögen Außerirdische Kreise in ein Maisfeld im US-Bundesstaat New Mexico - und niemand filmte es mit seinem Handy.

Zugegeben: Im Fernsehen immerhin war das Spiel zu sehen, und das war wichtig, damit nun auch der letzte Zweifler weiß, dass Eintracht Frankfurt und der VfL Wolfsburg würdige deutsche Vertreter wären in der europäischen Meisterklasse anstelle von Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen oder Borussia Mönchengladbach.

Für André Silva war das Tor zum 3:2 schon sein 23. Treffer der Saison

"Nach 27 Minuten", sagte Bobic, "habe ich gedacht, dass beide Mannschaften bei diesem Tempo irgendwann umfallen müssen." Nach 27 Minuten stand es 2:1 für Frankfurt. Am Ende summierte sich das Spektakel auf sieben Tore. Es hätten aber auch zwölf werden können, weil zwei sehr kreative Angriffsreihen auf zwei fehleranfällige Abwehrformationen trafen. Jedes Spektakel im Fußball ist immer auch ein willkommenes Trauerspiel für Fehler-Analysten.

Der Stürmer André Silva ist zurzeit das Gegenteil eines Trauerspielers. Das Tor zum 3:2 war sein 23. Treffer in dieser Saison. Vier Tore nur noch in sechs Bundesligaspielen, dann hätte er Bernd Hölzenbein überholt, der 1976/77 mit 26 Treffern binnen einer Saison den bis heute gültigen Eintracht-Rekord markiert.

Obwohl sich Frankfurt erstmals für die Champions League qualifizieren kann und auf ein historisches Jahr zusteuert, gibt es bei der Eintracht subtile Anzeichen des Zerfalls. Bobic wird vermutlich zu Hertha BSC Berlin wechseln. Silva ist ein Kandidat für die reichsten Klubs Europas. Und Hütter gilt hartnäckig als Favorit bei Borussia Mönchengladbach.

Obwohl sein Vertrag bis 2023 läuft, obwohl sportlich alles rosarot ist bei der Eintracht und obwohl man mit derzeit sieben Punkten Vorsprung einen Champions-League-Platz verteidigt, mag der 51 Jahre alte Österreicher auf wiederkehrende Nachfragen das vor einem Monat eigentlich schon formulierte "Ich bleibe!" partout nicht wiederholen. Das irritiert die Öffentlichkeit. "Ich möchte dazu nichts sagen", wehrte er am Samstag auch in der ARD-"Sportschau" ab, sodass es in einschlägigen Fan-Foren der Eintracht Kommentare wie diesen hagelt: "Ich kann nicht verstehen, wie man den Verein verlassen will. Wenn alles so zusammen bleiben würde, dann könnten wir nächste Saison Bäume ausreißen."

"Ich wüsste nicht, warum er nicht in Frankfurt bleiben sollte", sagt Sebastian Rohde über Trainer Hütter

Nun ist Bäumeausreißen in Zeiten des Klimawandels zwar sowieso keine gute Idee, ein mögliches Auseinanderbrechen der Eintracht aber triebe die hinlänglich bekannten Gepflogenheiten der mitunter irrationalen Fußballbranche auf die Spitze. Entlarvend und tröstlich zugleich (weil ja vielleicht doch alles gar nicht so schlimm kommt) klingt da die Stimme des Mittelfeldspielers Sebastian Rode, der mit kindlich anmutender Einfachheit die Gretchenfrage nach Hütters Verbleib durchaus verständlich so beantwortete: "Ich wüsste nicht, warum er nicht in Frankfurt bleiben sollte."

Aber noch stehen ja Wochen der Wahrheit vor den Champions-League-Anwärtern und sechs Spiele, die den Frankfurtern noch Gladbach und Leverkusen gegenüberstellen werden. Deshalb sagt Hütter betont nüchtern: "Noch stehen wir mit keinem einzigen Bein in der Champions League." Vor zwei Jahren stand Frankfurt nach 28 Spielen in vergleichbar komfortabler Konstellation auf Platz vier, holte aus den verbleibenden sechs Spielen aber nur noch zwei Punkte und wurde am Ende Siebter. Es war das traurige Ende von Hütters erster Saison in Frankfurt. Vielleicht auch, weil Erfolg ist wie Sand in den Händen, hält er sich zu seiner Zukunft lieber noch bedeckt.

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