Domenico Tedesco:Fünf Sprachen für Leipzig

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Domenico Tedesco wird aller Wahrscheinlichkeit nach RB Leipzig übernehmen.

(Foto: imago/Christian Schroedter)

Alles deutet darauf hin, dass der ehemalige Schalke-Trainer Domenico Tedesco RB Leipzig übernehmen wird. Seine neue Mannschaft holt sich beim Sieg gegen Manchester City Selbstvertrauen und bleibt zumindest in der Europa League.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Vor gut zwei Wochen erschien in der italienischen Gazzetta dello Sport ein Interview mit dem Fußballtrainer Domenico Tedesco, und es schloss mit einem fast schon beiläufig formulierten Traum. "Ich verspüre keine Hast", sagte Tedesco, 36, als er nach seinen Zukunftsperspektiven gefragt wurde. Und er fügte hinzu, dass er auf ein Projekt warte, das ihm gefalle - "wo auch immer". Der Traum war in einen Anakoluth gekleidet, einen abgebrochenen Satz: "Wenn mir das erlauben sollte, in mein Land zurückzukehren ...", lautete Tedescos nicht zu Ende formulierter Gedanke. Wozu man wissen muss, dass er 1985 in der Region Kalabrien geboren wurde, im südlichen Teil Italiens.

Ein Traum ist keine Obsession, und so gesehen dürfte es nicht allzu schlimm sein, dass die Eroberung Italiens für den jungen Trainer Tedesco erst mal vertagt sein dürfte. Am Mittwoch verdichteten sich die Anzeichen, dass der frühere Schalke-Coach, der zuletzt bei Spartak Moskau tätig war und dort im Frühjahr nicht nur ehrenhaft als russischer Meisterschafts-Zweiter, sondern auch mit großem Herzschmerz verabschiedet wurde, neuer Trainer bei RB Leipzig werden soll. Tedesco soll vielleicht sogar schon am Samstag (15.30 Uhr) gegen Borussia Mönchengladbach auf der Bank sitzen, als Nachfolger des von Leipzig am vergangenen Sonntag beurlaubten US-Chefcoachs Jesse Marsch.

Eine offizielle Bestätigung dafür war zunächst nicht zu erhalten, aber nach SZ-Informationen waren die Meldungen über Tedesco überaus belastbar. In jedem Fall passten sie auch zu einer Äußerung, die der RB-Geschäftsführer Oliver Mintzlaff am Vorabend getätigt hatte, als Leipzig gerade gegen Manchester City am letzten Spieltag der Champions-League-Gruppe A überraschend mit 2:1 (1:0) gewonnen hatte und damit zumindest für die K.o.-Runde der Europa League qualifiziert ist. Die Verpflichtung des neuen Trainers würde "zeitnah" erfolgen, hatte Mintzlaff bei Dazn gesagt. "Wir sind in guten Gesprächen und haben ein gutes Gefühl, dass der kommende Trainer sehr gut zur Mannschaft passt", betonte Mintzlaff.

Mit dem Heimsieg gegen den englischen Meister hatte RB Leipzig am Dienstag einerseits das Mindestziel erreicht, andererseits das veranschlagte Maximum herausgeholt. Dass City die Vorrundengruppe vor Paris, Leipzig und Brügge gewann, war schon bei der Auslosung ein absehbarer Tipp. Aber so ein Sieg gegen City gibt etwas her - auch wenn Manchester als bereits feststehender Tabellenerster Mühe hatte, in Leipzig vor leeren Rängen und bei eisigen Temperaturen auf Betriebstemperatur zu kommen.

Das 2:1 lag auch an einer Art Selbstverwaltung der RB-Spieler.

"Es ist immer schwierig, wenn du schon qualifiziert bist", sagte City-Trainer Pep Guardiola nach der Niederlage, die seine Elf auch durch das späte Anschlusstor von Riyad Mahrez (76.) nicht abwenden konnte. Dennoch: Der Auftritt der Leipziger war überzeugend genug, um den von Dominik Szoboszlai (24.) und André Silva (71.) herausgeschossenen Sieg als verdient zu bezeichnen. Er verschaffte der RB-Belegschaft eine Steigerung des Selbstwertgefühls, denn das hatte zuletzt gelitten. "Wir haben gegen eine der besten Mannschaften der Welt gewonnen", freute sich etwa Mittelfeldspieler Kevin Kampl. Und diese Freude war umso größer, als sie ein Ergebnis von Leipziger Selbstverwaltung war.

Nicht, dass der RB-Kader die Macht-Verhältnisse komplett über den Haufen geworfen oder gar eine Räterepublik ausgerufen hätte. Aber es war vielsagend, was Kampl antwortete, als er gefragt wurde, wie viel Einfluss die Spieler auf den gut funktionierenden Matchplan von Interimstrainer Achim Beierlorzer gegen City genommen hätten: "Natürlich haben wir uns zusammengesetzt und auch gesprochen ...", betonte Kampl. Dass er nicht ausdrücklicher wurde, lag womöglich daran, dass der verbliebene Repräsentant des alten Regimes, der bisherige Marsch-Assistent und kurzfristige Chef Beierlorzer, in der Pressekonferenz direkt neben ihm saß.

Interessante Untertöne waren dennoch zu vernehmen. Zum Beispiel, als Kampl sagte, dass Fußball "Freude machen" müsse: "Das muss man auf dem Platz sehen - und das hat man heute auch gesehen." Das hieß im Umkehrschluss wohl auch, dass man ebendiese Freude zuletzt vermissen lassen und selber vermisst hatte - oder wäre sogar die umgekehrte Reihenfolge korrekter?

Als Kampl sagte, dass man zuletzt "nie eine ruhigere Phase im Spiel" gehabt habe und sich nun gegen City durch Ballbesitz erholt habe, um Angriffe vorzubereiten, bewegte sich das am Rande einer Abrechnung mit dem fußballphilosophischen Ansatz von Marsch. Der wollte und sollte zum "Corporate-Identity"-Fußball von RB zurückkehren, wieder weg von jenem Ballbesitz-Stil, den sein Vorgänger Julian Nagelsmann installiert hatte. Gegen City wurde eine Vierer-Abwehr formiert - Marsch spielte gern mit Dreierkette -, und hinter Stürmer André Silva wurden gleich drei Zehner aufgeboten: Emil Forsberg, Dominik Szoboszlai und Christopher Nkunku. Dies sind Spieler, die am liebsten mit dem Ball kommunizieren - und ganz gut wissen, wann man sich auf dem Platz verlabern darf und sollte, und wann die Notwendigkeit da ist, umzuschalten.

Besonders augenscheinlich war dieses Umschalten beim 1:0, als der später ebenfalls über "Freude" philosophierende Konrad Laimer im Mittelfeld den Ball abfing und dann im Rücken der Abwehr Citys einen großen, breiten Raum entdeckte, in den er Szoboszlai schickte. Ob das ein einstudierter Spielzug gewesen sei, wurde Szoboszlai gefragt, und er sagte: "Ehrlich gesagt, nein", man könne im Fußball nicht alles vorab trainieren. Dass auch Silvas 2:0 einem Umschalt-Moment nach Balleroberung folgte, war wohl ebenfalls mehr eine Frage des Instinkts als eines reißbrettartig entworfenen Plans. Diesmal war es Forsberg, der die Vorarbeit leistete, Silva vollstreckte. Beierlorzer sagte: "Die Mannschaft hat gezeigt, dass sie mit und gegen den Ball eine unheimliche Qualität hat."

Zu den Kuriositäten seines Engagements bei RB zählt, dass Beierlorzer eine hundertprozentige Siegquote in der Champions League vorweisen kann. Er saß beim 5:0 in Brügge, als Marsch Corona hatte, und nun gegen City auf der Bank. Doch obwohl er Bundesliga-Erfahrung (Köln und Mainz) und RB-Stallgeruch besitzt (2015 war er sogar knapp ein halbes Jahr Leipzigs Cheftrainer), stand nie zur Debatte, dass er Marschs Nachfolge antritt.

Alles läuft auf Tedesco zu, der fünf Sprachen perfekt spricht und wohl auch die Sprache der RB-Spieler verstehen wird. Er verwandelte Spartak in das Team mit dem meisten Ballbesitz der Liga, und er lernte in Moskau so gut Russisch, dass er sogar TV-Interviews gab.

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Domenico Tedesco

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Der frühere Schalke-Trainer war zuletzt bei Spartak Moskau angestellt. Er könnte bereits am Samstag auf der Leipziger Bank sitzen.

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