Süddeutsche Zeitung

Tauziehen:Es knarzt wie auf dem Segelboot

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Andreas Reisacher hat mit dem Allgäuer Tauziehclub in Kapstadt an der Weltmeisterschaft einer verkannten Sportart teilgenommen - doch nach der Gruppenphase war Schluss.

Von Tarek Barkouni

Wer auf Youtube nach Tauziehen sucht, der findet Videos von Männern mit kolossalen Bäuchen und kleinem Standvermögen. Filme von Teams, in denen viel gebrüllt und geflucht wird. Und am Ende landen alle gemeinsam im Dreck. Für Andreas Reisacher ist das kein Tauziehen. Er sagt: "Rum und num und im Kreuz ist nicht Tauziehen. Das ist blödes Hin- und Hergereiße." Tauziehen, das vergisst man leicht, war von 1900 bis 1920 sogar olympische Disziplin. Seit 1981 ist Tauziehen zumindest noch im Programm der World Games. Dazu gibt es die Weltmeisterschaft, die alle zwei Jahre stattfindet. Andreas Reisacher, 33, war gerade dort.

In Kapstadt, fast 10 000 Kilometer von München entfernt, hat in dieser Woche ein Verein aus Bayern um den Weltmeistertitel gekämpft. Am Montag ist Reisacher gemeinsam mit dem Tauziehclub Allgäu Power Zell nach 15 Stunden Flug in Südafrika angekommen. Von überall her sind seine Gegner angereist, aus Australien, Schweden oder Sri Lanka. Reisacher hat in dieser Woche einerseits mit der Mannschaft um die Klub-Meisterschaft gekämpft. Zusätzlich war er Teil der deutschen Nationalauswahl, die gleichzeitig im Nationenwettbewerb angetreten ist. Am Montag hatte Reisacher noch große Hoffnung. "Ich hoffe auf einen Platz im Viertelfinale", sagte er. Die Mannschaft spiele gut zusammen, sie habe viel trainiert. Zu neunt waren sie angereist, um sich mit knapp 70 anderen Athleten zu messen. In einem Sport, der kaum Beachtung findet.

Tauzieher tragen Schlittschuhe ohne Kufen an den Füßen

Tauziehen findet in Deutschland fast nur im Süden statt. 25 Vereine zählt der Deutsche Rasenkraftsport- und Tauzieh-Verband, nur ein einziger findet sich außerhalb von Bayern oder Baden-Württemberg: die Tauziehgruppe 1982 Philippinenburg und -thal aus Hessen. In der Schweiz und den Niederlanden ist der Sport deutlich populärer. Diese Nationen sind neben Südafrika auch die Favoriten dieser Weltmeisterschaft, die an diesem Samstag endet. Deutschland hat den Weltmeistertitel erst einmal gewonnen, 2006.

Für Südafrika hat Reisacher mit seinem Team viel trainiert. Auf staubigen Wiesen und nassen Äckern. Zum Beispiel in Schwäbisch Gmünd, wo Anfang August das fünfte Landesliga-Turnier stattfand. 200 Zuschauer waren gekommen, um fünf Vereine anzufeuern. Wer das wirkliche Tauziehen sehen wollte, nicht das von Youtube, musste ihm dabei zusehen.

Es ist kein weiter Weg, den die achtköpfigen Teams beim Tauziehen überwinden müssen: vier Meter in die eigene Richtung. Aber es kann fast eine halbe Minute dauern, bis der erlösende Pfiff des Schiedsrichters ertönt. Zwischen den Matches hatten die Schiedsrichter Steine aus dem Boden gesammelt, um die Entfernungen zu markieren. An diesem Tag dürfen die starken Frauen und Männer ran. Zug um Zug arbeiten sie sich Zentimeter um Zentimeter im Gleichschritt vor. In solchen Momenten wird Tauziehen laut. Dann bejubeln die Zuschauer jeden Schritt.

Wenn zwei gleich starke Mannschaften aufeinander treffen, kann ein Match auch mal für Minuten still stehen. Dann ist der Blick starr auf den Gegner gerichtet und 16 Menschen aus zwei Teams hängen in Rückenlage im Seil. Die Adern an den Armen treten hervor, die Beine sind fest im Boden verankert. In solchen Momenten ist Tauziehen sehr leise. Das einzige Geräusch kommt vom gespannten Seil, das wie auf einem Segelboot knarzt. "Das ist für den Zuschauer nicht immer interessant, aber das macht das Tauziehen aus", sagt Reisacher.

Weil keine Firma die besonderen Schuhe herstellt, die man fürs Tauziehen braucht, muss improvisiert werden. Die Sportler schleifen von Schlittschuhen die Kufen ab. Dann kleben sie an der Sohle mit Epoxidharz eine Stahlplatte fest. Damit graben sich die Tauzieher in den Boden. Und einen festeren Griff zu haben, reiben sie sich die Hände mit Harz ein. Die Hornhaut muss trotzdem dick sein, wenn fast 600 Kilo Mensch auf der anderen Seite hängen und ziehen. "An der gröbsten Stelle wird die Hornhaut schon einen halben Zentimeter dick sein", sagt Reisacher.

Und dann gibt es beim Tauziehen eigentlich nur eine Taktik: nicht loslassen.

In Südafrika bei der Klub-Meisterschaft ließen Reisacher und seine Mannschaftskollegen vom Tauziehclub aus dem Allgäu allerdings etwas zu oft los, schon nach der Gruppenphase war Schluss. Mit der Nationalmannschaft lief es etwas besser. Die Deutschen schafften es immerhin bis ins Viertelfinale. Dann zogen die Engländer härter.

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SZ vom 22.09.2018
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