Süddeutsche Zeitung

"Tanking" im Basketball:Warum NBA-Teams absichtlich verlieren

  • Die beste Basketballliga der Welt hat ein ungewöhnliches Problem, zahlreiche Mannschaften verlieren absichtlich.
  • Ziel des sogenannten "Tankings" ist es sich eine bessere Ausgangslage bei der jährlichen Talenteziehung zu verschaffen.
  • Auch die Teams der deutschen Nationalspieler Dennis Schröder, Maxi Kleber und Paul Zipser sind betroffen.

Von Mario Jonas Ködel

Aus deutscher Sicht die gute Nachricht zuerst: Der Basketballer Maxi Kleber, 26, erzielte im letzten NBA-Saisonspiel seiner Dallas Mavericks gegen die Phoenix Suns zehn Punkte. Das ist für den Nationalspieler aus Würzburg ein sehr erfreulicher Wert - Kleber beendet die aktuelle Spielzeit also formstark, nachdem er in den Partien zuvor elf, sieben, neun und sogar zwölf Zähler gesammelt hatte. Die schlechte Nachricht: Klebers Ausbeute zum Abschluss der regulären Saison ist eigentlich nichts wert. Es hätten auch 30 Punkte sein können, seiner Mannschaft wäre damit nicht geholfen: Sie ist einfach zu schlecht.

Trotz Kleber und Dirk Nowitzki, der nach einer Operation am Knöchel noch ein letztes Jahr dranhängen will (wie er vergangene Nacht bekannt gab), ist Dallas nicht mal annähernd ein Team mit Chancen auf die Playoffs. Nur 24 Siege bei 58 Pleiten sind eine verheerende Bilanz, so wenige Erfolge gab es bei den "Mavs" seit 20 Jahren nicht mehr. Und so ging es gegen Phoenix noch einmal hübsch um gar nichts. Beide Teams listeten insgesamt 18 Ausfälle auf, es war ein Spiel aus der Kategorie "Resterampe". Ein belangloses Auslaufen der Saison, nach der nur wenige Fans Vorfreude auf die nächste haben dürften.

Das liegt an der um sich greifenden Langeweile in der NBA. Szenen wie beim Dallas-Ausstand sind kein Einzelfall im amerikanischen Profi-Sport. Die beste Basketballliga der Welt hat ein Problem mit Mannschaften, die absichtlich verlieren, um bei der nächsten Talenteziehung im Sommer, dem sogenannten "Draft", eine höhere Chance auf die besten Collegespieler zu haben. "Tanking" heißt diese Strategie. Sie hat nichts mit der Zufuhr von Kraftstoff zu tun. Es bedeutet "baden gehen", oder "Schiffbruch erleiden" - also eher: den Tank leer machen. Sich selbst leerlaufen, damit Neues entstehen kann, diese Marschroute wird neuerdings von einem Drittel aller Klubs verfolgt. Wo früher zwei bis drei Teams Richtung Neuaufbau dümpelten, tummeln sich heute viel mehr Mannschaften im Pool der Verlierer. Und das hat System, zufälligerweise auch bei den Teams der meisten deutschen NBA-Profis.

Neben den Mavericks sind auch Dennis Schröders Atlanta Hawks (schlechteste Mannschaft in der Osttabelle) und Paul Zipsers Chicago Bulls (drittschlechteste Mannschaft des Ostens) fleißig im Tanking-Modus durch die Saison geschlittert. Doch die Verliersucht wuchert auch anderswo. Die Auswüchse des Pleitenbasketballs gingen am 23. März sogar so weit, dass ein Verein seine Unlust kaum noch verbergen konnte: Damals gewannen die keinesfalls dominanten Charlotte Hornets mit 61 Punkten Vorsprung gegen Memphis - ein Team, das ähnlich mies da steht wie Dallas, Atlanta oder Chicago. Solch hohe Siege gibt es sonst nur in der B-Jugend.

Die Liga verliert durch "Tanking" an Glaubwürdigkeit

Häufig ist "Tanking" ein Prozess, der sich während einer Saison einschleicht, wenn Klubs ihre Konkurrenzfähigkeit verlieren. Zum Beispiel dann, wenn Schlüsselspieler plötzlich ausfallen und obskure Pleitenserien beginnen. Doch aktuell tendieren so viele Teams wie selten zum Verlieren - teilweise auch von Saisonbeginn an. Für die Liga ist das ein gehöriges Problem, schließlich verwässern Mannschaften ohne jeden Anspruch den Wettbewerb des globalen Produkts NBA.

Ausgerechnet da, wo es funkeln und glitzern soll, schicken Nacht für Nacht Klubbesitzer ambitionslose Teams ins Rennen, die in Wahrheit nur Staffage im Rennen um die Meistertrophäe sind. In der laufenden Saison hat die Selbstaufgabe ein nie da gewesenes Ausmaß erreicht. Neun Mannschaften haben die Saison mit weniger als 30 Siegen abgeschlossen - so viele wie nie.

Die Mavs um Nowitzki waren erwartungsgemäß aussichtslos in dieser Spielzeit, und damit dies auch so bleibt, schont Coach Rick Carlisle schon mal den ein oder anderen hilfreichen Akteur. Im sogenannten "tankathon" geht es darum, die Bilanz zum Saisonende möglichst dürftig zu gestalten. Der Draft, an dem auch der gebürtige Berliner College-Basketballer Moritz Wagner teilnehmen könnte, gilt in diesem Jahr als ausgesprochen gut besetzt.

Was längst Praxis ist, kommt bei den Offiziellen gar nicht gut an. In der NBA sei kein Platz für "Tanking", kritisierte kürzlich Ligaboss Adam Silver, alle offensichtlichen Fälle würden bestraft. Die Frage ist nur: Wie lässt sich absichtliches Verlieren beziffern und letztlich beweisen? Offen zugeben mag den Trend keiner der Verantwortlichen aus den Looserteams. Alles bleibt im Vagen. Einzig Dallas-Besitzer Marc Cuban, ein ligaweit notorischer Lautsprecher, hatte es Mitte der Saison gewagt, das Gemauschel zu konkretisieren: "Verlieren ist unsere beste Option."

Die Liga verdonnerte ihn darauf zu einer heftigen Strafe von 600 000 Dollar (die der Geschäftsmann locker bezahlte) und auch sein ewiger Teamleader Nowitzki sparte nicht mit einem Appell an die Sportlerehre: "Ich werde nie dafür stehen, absichtlich zu verlieren. Das ist nicht, wer ich bin." Auch Paul Zipsers Chicago Bulls wurden bereits verwarnt, da sie reihenweise etabliertes Personal schonten und stattdessen auf vermeintliche Perspektivspieler setzten. Ihre Ausrede, dass man dem Nachwuchs eine Chance geben wolle, glaubte ihnen niemand.

Immerhin eine gute Nachricht gibt es aber: Die NBA beschäftigt sich mittlerweile intensiv mit einer Veränderung des Draft-Systems, so dass Anreize zum Verlieren verringert werden. Die aktuelle reguläre Saison ist jetzt nach vielen mäßig interessanten Partien zwischen mäßig talentierten Teams vorbei. Für alle anderen Mannschaften beginnen am Wochenende die Playoffs. Wer dort "tankt", dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.

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