Talentsichtung per Gentest:Blicke in die Buchstabensuppe

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Ein US-Unternehmen bietet Talentsichtung an - indem sie die DNA von Jugendlichen nach einem bestimmten Gen untersucht. Doch die Vorhersagen sind umstritten, denn die Ergebnisse sind dünn. Die Frage ist: Was ist der Nutzen? Was weiß man überhaupt, wenn man weiß, wie die DNA aussieht?

Thomas Hahn

Cheick-Idriss Gonschinska will nicht den Eindruck erwecken, als lebe er hinterm Mond. Er ist im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) Cheftrainer für die Laufdisziplinen, und gerade wenn es um die Sichtung von Talenten geht, hat er aufgeschlossen zu sein für neue Gedanken und Trends. Aber jetzt hört er zum ersten Mal, dass es in den USA ein Unternehmen gibt, zu dessen Geschäftsmodell es gehört, das athletische Talent von Kindern per DNA-Test einzugrenzen, und damit kann er wenig anfangen.

Eine Frage der Gene? Jugendliche in Jamaika im Wettkampf (Foto: REUTERS)

Die Firma Atlas Sports Genetics gibt es seit 2008, und tatsächlich kann man bei ihr für 169 Dollar ein Testset bestellen, einen Abstrich der Mundschleimhaut einsenden und untersuchen lassen. Wenige Wochen später hat der Kunde dann schwarz auf weiß, ob er eher ein ausdauernder Typ ist, eher ein schnellkräftiger oder ob sich die athletischen Talente die Waage halten. Gonschinska weiß nicht recht, was das soll.

Sportliches Talent heißt doch nicht nur, dass einer schnell oder ausdauernd rennen kann. "Es gibt viele, auch persönlichkeitsstrukturelle Merkmale, die man vielleicht nicht einfach nur vermessen kann", sagt er, "der Begriff Talent hat für mich einen wirklich sehr komplexen Charakter."

Die Wissenschaft kann seit über zehn Jahren in den Erbanlagen des Menschen lesen. Im Juni 2000 präsentierten die amerikanischen Wissenschaftler Francis Collins und Craig Venter mit dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton in Washington ihre Ergebnisse auf dem Weg zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Clinton sagte damals: "Heute lernen wir die Sprache, in der Gott das Leben erschaffen hat."

Im Februar 2001 meldeten Collins und Venter Vollzug: Der Code des menschlichen Lebens lag vor. Die Forscher hatten den Aufbau des Biomoleküls Desoxyribonukleinsäure (DNA), jenes Erbinformationsträgers, den jeder Mensch in seinen Zellen trägt, in lateinische Buchstaben übersetzt, genauer gesagt in die Anfangsbuchstaben der DNA-Bausteine Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin.

Heute ist die Bestimmung menschlicher DNA mit sogenannten Sequenziermaschinen keine Schwierigkeit mehr. Ein Wettbewerb ist entbrannt um die billigste und schnellste Art, Genome zu entschlüsseln, schon ist die Rede davon, in nicht allzu ferner Zukunft die Erbinformationen von jedermann binnen einer halben Stunde aus einem Blutstropfen herausscannen zu können. Das ist toll. Die Frage ist nur: Was ist der Nutzen? Was weiß man überhaupt, wenn man weiß, wie die DNA aussieht?

In der Medizin ist es durch den Blick in die Gene des Menschen jedenfalls noch nicht zu den ganz großen Durchbrüchen gekommen, wenn man an Krebs- oder Alzheimer-Therapien denkt. Im Sport wiederum wirkt das Geschäft mit den Genen wie ein lukrativer Zukunftsmarkt, der allerdings umstritten ist und ethisch grenzwertig. Die Manipulation des Erbguts kursiert schon seit Jahren als düstere Prophezeiung der Dopingindustrie, von der noch keiner so genau weiß, ob sie nicht längst in hohem Maße Wirklichkeit ist.

Und was die Talentsichtung angeht, so ist ein kommerzielles Angebot wie das von Atlas Sports Genetics auf zweifelhafte Art reizvoll. Ihr Testangebot "gibt Eltern und Trainern frühe Informationen über die genetische Prägung ihres Kindes für Team- oder Einzelsport, Schnellkraft/Kraft- oder Ausdauersport", heißt es auf der Homepage der Firma. Atlas tut nicht so, als könne man aus seinen Tests sichere Karriere-Pläne ablesen.

"Es ist wirklich nur ein Werkzeug in einem ganzen Werkzeugkasten eines Athleten, um ein Szenario zu analysieren", hat Geschäftsführer Nat Carruthers zuletzt im Sender CBS gesagt. Und Atlas verwahrt sich dagegen, dass der Test jemanden auf etwas festlegen solle. Aber um eine Vorauswahl geht es im Grunde schon.

Einzelkritik FC Bayern
:Ja, is denn heit scho' Ostern?

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Talentsichtung ist das Kerngeschäft von Verbänden und Vereinen, der Sport finanziert sich am Ende vor allem über die Leistungen seiner Athleten, und auch Eltern träumen gerne von einer einträglichen Sportkarriere ihres Nachwuchses. Da würde mancher schon gerne die DNA eines Kindes aufschlagen und darin lesen, ob es eher die Anlagen zu einem 9,6-Sekunden-Sprinter hat, zu einem Nationalstürmer mit Torgarantie oder zu einem künftigen Marathon-Gewinner, um die Sportler-Karriere rechtzeitig in die richtige Richtung zu lenken.

Der Flügelflitzer, Warum Fußballer auf Ostern stehen (Video: sde)

Schon in der DDR wurden die Kinder nach Körpermessungen auf die verschiedenen Sportarten verteilt, und einen Blick in die Gene der Jugend hätten die Staatssportplaner bestimmt auch gerne unternommen. Denn gerade wenn es um körperliche Anlagen geht, die auf außergewöhnliche Prägungen einzelner Gene zurückzuführen sind, kann man durch die DNA ganz gut in die Zukunft schauen.

"Der Leistungssport ist da ein besonderes Feld", sagt Thomas Meitinger, Humangenetik-Professor an der TU München, "im Leistungssport geht es um Extreme, und die Extreme sind oft stark genetisch bedingt."

So richtig lässt sich sportliches Talent trotzdem nicht über die Gene vorbestimmen, schon deshalb nicht, weil "die Sprache, in der Gott das Leben erschaffen hat", eine etwas unübersichtliche Grammatik besitzt. Die DNA eines menschlichen Genoms besteht aus 3,3 Milliarden Basenpaaren, wenn man die Erbinformation übersetzt, bekommt man also zunächst einmal einen schwer zu überschauenden Buchstabensalat.

Aus der Übersetzung ergibt sich sozusagen gleich die nächste Übersetzungsaufgabe, und Atlas Sports Genetics betrachtet bei seinem Test in dieser ganzen Buchstabenmasse nur einen winzigen Teil, nämlich das Gen ACTN3.

Gene sind Abschnitte der DNA, der Mensch hat etwa 20.000 davon, und in der Tat bewirken die verschiedenen Varianten eines Gens verschiedene Talente beim Menschen. Menschen mit einer häufig vorkommenden ACTN3-Variante haben einen hohen Anteil an schnell kontrahierenden Muskelfasern und damit eher ein Talent zum Sprinten. Menschen mit der zweiten ACTN3-Variante verfügen über eine bessere Ausdauer. Und die Mischung der Varianten steht für eine Mischung beider athletischer Grundmuster. Atlas testet bei seinen Kunden also auf die Varianten von ACTN3 und leitet daraus ab, ob die getestete Person eher Anlagen zum Sprinten, zum Ausdauerlaufen oder zu beidem hat.

Das ist etwas dünn, um wirklich die sportliche Zukunft eines Kindes abstecken zu können. Aus den Genen den künftigen Spitzenstabhochspringer oder Meisterbasketballer herauslesen? "Das geht nicht", sagt Thomas Meitinger, "wenn es um komplexe Tätigkeiten geht, kann man nach der Genanalyse überhaupt nichts sagen."

Und für Aussagen über athletische Basistalente brauche es keinen Gentest. "Das kann ich billiger haben, indem ich die Kinder hundert Meter laufen lasse. Für Eltern ist es Blödsinn. Und wenn das für Diagnostik vor der Geburt angewandt würde, müsste man sich fragen: Habt ihr sie noch alle?"

Der Mensch ist zu kompliziert gebaut, als dass man in ihm lesen könnte wie in einem Buch. Die wenigen Wahrheiten, die man in der DNA lesen kann, werden leicht ungültig vor den Wahrheiten, die man aus der DNA nicht lesen kann.

Cheftrainer Gonschinska ist gegen die Talentsichtung im Labor, er braucht mehr Informationen, wenn er einschätzen soll, ob ein Kind zwischen acht und zwölf grundsätzlich das Zeug zum Spitzenläufer hat. Um absolute Werte geht es dabei auch, zum Beispiel um Fußaufsatz-Geschwindigkeiten bei bestimmten Sprungformen oder um Distanzen, die Kinder in einer bestimmten Zeit zurücklegen, aber eben nicht nur.

Gonschinska und die anderen DLV-Trainer betrachten auch das Verhalten bei sich verändernden Bedingungen, bei Sprüngen über verschiedene Höhen, bei Sprints in sehr engen Abständen, bei turnerischen Aufgaben oder Spielen wie Basketball oder Handball. "Man versucht, das komplexe Bewegungsbild eines jungen Sportlers zu betrachten." Und selbst dabei lassen sich nur Trends erahnen.

Ob einer den Ehrgeiz, die Risikobereitschaft, Begeisterungsfähigkeit und Lernfähigkeit mitbringt, um ein Spitzenathlet zu werden, ist wieder eine andere Frage. Talentsuche per Gentest? "Ich finde mich da als Trainer nicht wieder und lehne persönlich solche Verfahren auch unter ethischen Aspekten ab", sagt Gonschinska.

Ob die Menschen durch ihre DNA jemals in die ganze Vielfalt ihrer Zukunft schauen können? Humangenetiker Thomas Meitinger ist sich nicht sicher. Die Forschung wird weitergehen, die Menschen werden das Entschlüsselte weiter entschlüsseln, und auf dem Jahrmarkt der Geschäftsideen wird es weiterhin Wahrsager geben, die mit der Illusion spielen, Karrieren vorempfinden zu können. Der Fortschritt wird voranschreiten, und zumindest im Sport wird nicht ganz klar sein, ob dieser Fortschritt wirklich ein Fortschritt ist.

© SZ vom 07.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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