Taktik in der Bundesliga:Wie sich der Fußball in Deutschland verändert hat

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Meister der Taktik: Pep Guardiola beim Training des FC Bayern. (Foto: AFP)

Teamfußball statt Heldenfußball: Ist die Bundesliga durch Ideen wie das Gegenpressing besser oder schlechter geworden?

Von Tobias Schächter, München

Hans-Dieter Flick gab in der vergangenen Woche Einblick, wie der Fußball in Deutschland weiterentwickelt werden soll. In der Ausbildung müsse der Fokus mehr als bisher auf die individuelle Qualität gelegt werden, schrieb der Sportdirektor des Deutschen Fußball Bundes auf der DFB-Homepage: "Wir benötigen technisch versierte Spieler, die über die Fähigkeiten verfügen, auch unter Druck die besten Lösungen zu finden und umzusetzen."

Im Kern geht es Flick darum, Spieler und Mannschaften in die Lage zu versetzen, Spiele zu dominieren. Als Co-Trainer von Joachim Löw gewann Flick 2014 mit Deutschland den Weltmeistertitel. Der Erfolg des deutschen Nationalteams wird vor allem der Entwicklung in den Nachwuchsleistungszentren (NLZ) der Bundesligisten zugeschrieben, die zur Jahrtausendwende eingeleitet wurde. Nach dem vorzeitigen Aus bei der EM 2000 galt der deutsche Fußball als altbacken und unmodern. Heute gilt er weltweit als Innovationsschmiede, dessen Konzept viele Verbände abkupfern wollen.

Flick denkt an die Zukunft, Stillstand ist für ihn Rückschritt. Er reist viel, schaut von Nachwuchsturnieren bis zu Premier-League-Spielen so viel Fußball wie möglich, um am Puls der Entwicklung zu sein. Nach seinen vielen Beobachtungen rund um den Globus, kommt Flick zur Erkenntnis: "Der Fußball ist global, aber er wird nicht global identisch gespielt." Interessant ist also die Frage: Was für einen Fußball sehen die Zuschauer Woche für Woche in den Bundesliga-Stadien? Und: Wie hat sich das Spiel in Deutschland tatsächlich verändert?

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"Die Trainer in Deutschland sind innovativ"

Julian Baumgartlinger, der Kapitän von Mainz 05, hat das NLZ von 1860 München durchlaufen. Der 28 Jahre alte österreichische Nationalspieler spielt seit 2011 in Mainz in der Bundesliga. Er sagt, die Leistungsdichte in der Liga habe in den vergangenen zwei, drei Jahren noch einmal zugenommen: "Die Bundesliga bleibt nicht stehen in der Entwicklung der Systeme und Spielweisen. Es gibt Ligen, die sich modernen Ansätzen eher verschließen. Deutschland ist auch Weltmeister geworden, weil alle Klubs und Trainer immer auf dem neuesten Stand sind. Hier wird schon überlegt, was vielleicht nach dem Gegenpressing kommt."

Gegenpressing, das ist ein Signalwort für modernen Fußball. Fast alle Mannschaften - außer den absoluten Topteams - könnten in den Abstiegskampf kommen, sagt Baumgartlinger und findet, das sei Ausdruck der gestiegenen Qualität. Hauptgrund dafür sei vor allem die Verinnerlichung des Gegenpressings bei fast allen Mannschaften.

Weil viele Teams Wert auf die direkte Balleroberung nach Ballverlusten legten, sei das Spiel unberechenbarer geworden, glaubt der Österreicher. Die Zahl der intensiven Sprints gerade auf den Außenbahnen habe extrem zugenommen, weiß Baumgartlinger von den Analysen seines Trainers Martin Schmidt, der wie viele andere Fußballehrer seiner Generation sehr viel Wert auf die computergesteuerte, wissenschaftliche Auswertung des Spiels und des Trainings legt.

Stillstand gibt es kaum noch während eines Bundesligaspiels. In jeder Situation aktiv zu sein, auch beim Verteidigen, ist eine der großen, neuen Ansätze der letzten Jahre gewesen. Ballannahme und -verarbeitung geschehen unter großem Druck des Gegenspielers - oft schon im Spielaufbau. Das hat dazu geführt, dass die Abwehrspieler sich technisch enorm verbessern mussten und oft zu verkappten Spielmachern geworden sind. Völlig verschwunden sind technisch schwache Spieler, die den Ball höchstens dem Gegner abgrätschen sollten, dem Spielgerät aber ansonsten gefälligst aus dem Weg zu gehen hatten.

Eine große Stärke des deutschen Fußballs sei es, dass jungen Trainern und jungen Spielern eine Chance gegeben wird, sagt Baumgartlinger. Mittlerweile spielten die Jugendmannschaften so dynamisch und modern wie Männerteams, so dass der Übergang zur ersten Mannschaft für viele taktisch und läuferisch weniger problematisch sei als früher. Entscheidend für diese Entwicklung, sagen viele Trainer und Spieler, die man danach fragt: Das Gegenpressing.

Ralf Rangnick hat den Stil 2008 mit der TSG Hoffenheim zu einem Modell für viele in der Liga etabliert. Andreas Beck, 28, mittlerweile bei Besiktas Istanbul, war damals in Hoffenheim dabei. Unter Rangnick sei diese Spielweise "ein Novum" gewesen, sagt Beck. Danach habe Dortmund mit Jürgen Klopp diesen Fußball mit dem aggressivem Anlaufen des Gegners perfektioniert; schließlich sei eine Welle mit jungen Trainern gekommen, die diese Art des Fußballs verinnerlicht und verfeinert hätten, glaubt Beck. Thomas Tuchel zum Beispiel, der ihm schon als Nachwuchstrainer Anfang der 2000-Jahre beim VfB Stuttgart die Spielweise lehrte.

Aber sind die Spiele in der Bundesliga durch das Gegenpressing tatsächlich "spannender" geworden, wie Baumgartlinger findet? Beck resümiert: "Das Spiel ist auf jeden Fall fehlerhafter geworden. Aber nicht aufgrund dessen, dass die Spieler schlechter geworden sind, ganz im Gegenteil. Es hat eher damit zu tun, dass immer mehr Trainer die aggressive Spielweise bevorzugen. Egal gegen wen man spielt, die Mannschaften stellen vorne zu, sind aktiv. Das macht es für die Spieler nicht einfacher."

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Es klingt seltsam in einer Zeit, in der einzelne Spieler so penetrant vermarktet werden wie nie, doch es stimmt wohl: Die erhöhte Komplexität des Spiels hat bei den meisten Bundesligisten dazu geführt, dass das Teamspiel den Heldenfußball abgelöst hat, der bis in die späten 90er Jahre gefördert wurde. Nimmt man die absoluten Spitzenteams aus, ist bei vielen Bundesligaspielen zu beobachten, wie schwer sich die Mannschaften mit Ballbesitz tun.

Deshalb will Hans-Dieter Flick künftig Spieler ausbilden, die "dominieren" können. Die Professionalisierung wird weiter zunehmen, die Trainerstäbe dürften auch in den Nachwuchsabteilungen mit Spezialisten für die Offensive oder die Defensive erweitert und die Spieler noch besser geschult werden. Diese Entwicklung wird die Anforderungen an die Spieler in Bundesligaspielen künftig noch weiter erhöhen. Manchmal aber, das zeigen viele Spiele der Vorrunde, wirken die Spieler durch die Dynamik des Spiels und seinen physischen und psychischen Anforderungen überfordert.

Doch das geschieht nicht - und das ist vielleicht eine versöhnliche Antwort für Zuschauer, die sich in den Stadien die Haare raufen - weil die Spieler schlechter geworden wären. Sondern weil das Spiel und die Spieler viel besser geworden sind.

© SZ vom 10.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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