Süddeutsche Zeitung

Tatjana Maria:Die Mama mit der Sense

Tatjana Maria erreicht in Wimbledon überraschend erstmals das Achtelfinale. Die 34-jährige Mutter zweier Kinder ist eine Weltreisende in Sachen Tennis, geachtet auf der Tour - und praktiziert einen sehr ungewöhnlichen Spielstil.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Im Aorangi Park herrscht in den Stoßzeiten Gedränge am Eingang. Ab 9.30 Uhr marschieren die ersten Profis auf die Trainingsplätze im All England Club, Teams in Mannschaftsstärke tauchen auf, Team Djokovic, Team Gauff, Team Tsitsipas. Dann werden Tonnen von Taschen geschleppt und übereinander gestapelte Schläger getragen.

Wenn Tatjana Maria auftaucht, schiebt sie erst mal den Kinderwagen rein.

Cecilia, 15 Monate alt, schaut sich neugierig um. Charlotte, die achtjährige erste Tochter, ist schon mal flitzend unterwegs. Die meisten hier kennen sie, so kommt es schon mal vor, dass jemand zu ihr sagt: "Na, Champion!" Tatjana Maria findet oft auch nicht sofort den Weg zu ihrer Übungsstätte. Ständig wird sie begrüßt, eine Umarmung hier, ein freundlicher Satz dort.

Die Frau, die einen der giftigsten, unangenehmsten Schläge im Tennis nahezu perfekt beherrscht, ist zweifellos eine nette Person. Das sagen, wenn man sich umhört, auch viele Kolleginnen. Zumindest jene, die nicht mit Maria auf den Platz müssen.

Tatjana Maria aus Bad Saulgau, aber längst eine Weltreisende mit ihrer Familie, hat nun in Wimbledon mal wieder auf sich aufmerksam gemacht. Drei Siege in Serie bei einem Grand-Slam-Turnier, das war ihr in ihrer Profikarriere, die 2001 unter dem Mädchennamen Malek begann, noch nie geglückt. Sie stand auch noch nie im Achtelfinale. Bis jetzt. Am Freitag bezwang sie in der dritten Runde überraschend Maria Sakkari, die Weltranglisten-Fünfte aus Griechenland, die reihenweise die Bälle, die Maria mit ihrer gesensten Vorhand abschickte, ins Netz stach. Nein, an ihrer Spielweise hat sich auch mit vergrößerter Familie nichts geändert.

Im März gewann Maria das Finale in Bogota, es war ihr zweiter Titel auf der großen Tour.

Gemeinhin gilt die Amerikanerin Serena Williams als die berühmteste Mutter der Tennistour, die 23-malige Grand-Slam-Siegerin bekam 2017 Tochter Olympia. Doch im Grunde müsste Marias Geschichte viel mehr Beachtung finden. Sie fliegt nicht nur sporadisch zu Turnieren ein, sie tingelt auch auf vielen ITF-Turnieren herum, jener Serie unterhalb der WTA Tour, bei denen sie schon 16 Titel errang. Alle Jahre wieder taucht Maria aber auch auf größeren Bühnen auf, erst im März gewann sie in Bogota ihr zweites WTA-Turnier, im Einzel. Doppel kann sie ja auch gut, in dieser Disziplin holte sie vier Siege.

Ihr Erfolg in Wimbledon ist auch deshalb so besonders, weil dieser Ort eng verknüpft ist mit ihrem eigenen Weg. Sie spielte an der Church Road in der ersten Runde, als sie mit Charlotte schwanger war. Bei ihrer ersten Wimbledon-Teilnahme, nachdem die Tochter geboren war, kam sie 2015 in die dritte Runde. Jetzt, mit zweitem Kind, läuft es wieder, was Maria vor ihrer Partie gegen Sakkari zu der schlüssigen Erkenntnis verleitete: "Ich sollte mehr Kinder kriegen." Sie lachte laut auf. Sie strahlt schon eine herrliche Leichtigkeit aus.

Wobei sie auch die Schattenseiten des Lebens kennen gelernt hat. 2008 erlitt sie aufgrund einer Thrombose eine Lungenembolie, kurz darauf verstarb ihr Vater Heinrich, zu dem sie ein enges Verhältnis hatte, an Krebs. Ihre Karriere als Tennisprofi kam nicht recht voran, bis sie 2012 den privaten Tenniscoach Charles Edouard Maria kennen lernte. Diese Beziehung hatte große Auswirkungen, es war, als hätte Maria nach Momenten, in denen sie mit ihrem Beruf gehadert hatte, ihre Bestimmung gefunden.

"Die Familie kommt an erster Stelle. Und Tennis kommt an zweiter Stelle", so umschreibt Maria ihre Herangehensweise im Alltag

Serena und Venus Williams waren ihre Nachbarn in West Palm Beach, als Charlotte auf die Welt kam, die berühmten Tennis-Schwestern der Szene hielten sogar eine Babyparty für Maria ab. Sie ist gut vernetzt und respektiert im Tenniskosmos, auch als Spielerin aus der dritten Reihe. "Die Familie kommt an erster Stelle. Und Tennis kommt an zweiter Stelle", so umschrieb Maria am Freitag ihre Herangehensweise im Alltag.

Sie und ihr Mann sind immer wieder bemüht, mehr Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die WTA Tour mehr für Mütter unternehmen müsse. Sie sprach auch in Wimbledon über manches Problem, so würde bei den Match-Ansetzungen kaum Rücksicht auf die Uhrzeit genommen. Mit Kindern gilt es ja stets, deren Betreuung zu sichern, die nur bei Grand Slams angeboten wird. Auch so ein Punkt, den Maria bedauert.

Sie findet es "schade, dass es nicht bei den größeren Turnieren wie in Indian Wells oder Miami Kinderbetreuung gibt". Den Kindern der Profis würde das auch guttun. "Es wäre schön, wenn sich alles so ein bisschen ändern würde", sagte Maria. "Man könnte Familien helfen, zurückzukommen. Ich denke, dass ich da ein ganz gutes Vorbild bin, mit zwei Kindern wieder zurück auf der Tour zu sein. Und wieder Tennis zu spielen auf einem hohen Niveau."

Auch dass Spielerinnen, die aufgrund einer Schwangerschaft pausieren, wie verletzte Spielerinnen behandelt werden, kann Maria nicht nachvollziehen. Ihre Kritik trägt sie aber nie mit dem Tonfall einer Klage oder Anklage vor. Vielmehr klingt sie pragmatisch. Bezeichnend auch, wie sie Tennis und Familie trennt. "Ich würde nicht vor meinen Kindern anfangen zu heulen wegen eines Tennismatchs", sagte sie mit einem Lächeln.

Nach dem Sieg gegen Sakkari aber flossen schon ein paar Tränen. Dieser Augenblick ging ihr nahe. Und sie würde auch nie mit ihrem Mann Charles Edouard, der auch ihr Coach ist, wegen Tennis streiten. "Er gibt die Linie vor, ich versuche es umzusetzen", sagte sie nach dem Sakkari-Match, bei dem sie taktisch blendend agierte.

Ihr Tennisspiel unterscheidet sich von 99 Prozent auf der Tour. Maria traktiert ihre Kontrahentinnen nicht immer wieder mit ihren Slice-Schlägen, weil sie den Topspin nicht kann. Sie hat nur gemerkt, dass sie so erfolgreicher spielt. "Im Allgemeinen weiß ich, dass alle gestresst sind", erklärte sie. Die Gegnerinnen sind ein Tennis wie das ihrige nicht gewohnt. "Deswegen ist es für mich natürlich von Vorteil." Vor allem auf Rasen, auf diesem schnellen, so speziellen Belag könne sie den anderen "weh tun". Sakkaris Mini-Kommentar nach dem Match sprach Bände: "Lob an Tatjana. Sie spielte sehr gut. Sie spielte ihr Spiel. Ich hab meinen Spielplan nicht auf die Reihe gekriegt." Sie war richtig schlecht gelaunt. Tatjana Maria hatte zugeschlagen, die Spielplan-Zerstörerin.

Auch in ihrem ersten Grand-Slam-Achtelfinale gegen die Lettin Jelena Ostapenko wird sie ihrem Stil treu bleiben, das wird nun wieder interessant werden: Ob die schnell ungeduldig werdende Lettin, die eine Art Tischtennis-Tennis praktiziert, mit dem Tai-Chi-Tennis Marias klarkommt. Maria selbst stößt immer dann an ihre Grenzen, wenn andere sie überpowern, zu schnell spielen. Ihren Paradeschlag indes müsse sie nicht extra jedes Mal schulen, "den Slice kann ich auch nachts spielen. Den muss ich nicht unbedingt trainieren", sagte Maria und betonte: "Mein Slice", die scharfe Sense, "wird bleiben."

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