Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie "Die besten Sportfilme", Platz 3:Ein Lehrstück über Gier, Ungeduld und Großkotzigkeit

In "Haie der Großstadt" und "Die Farbe des Geldes" zocken Billardspieler ihre Opfer ab. Sind das überhaupt Sportfilme? Nun, Tricks und Bluffs gehören auch zum Fußball oder Boxen - und es geht natürlich um Aufstieg und Absturz.

Von Johannes Schnitzler

Sportfilme haben es von Natur aus schwer: Der geneigte Sportfan erkennt sofort, dass selbst begnadete Schauspieler nicht zwingend Topathleten sind und Topathleten noch seltener begnadete Darsteller. Doch in den vergangenen Jahren ist die Auswahl gelungener Filme immer größer geworden: Die SZ-Sportredaktion stellt 22 von ihnen vor und kürt damit die - höchst subjektiven - 22 besten. Diesmal Platz 3 mit zwei Filmen - "The Hustler (Haie der Großstadt)" und "The Color of Money (Die Farbe des Geldes)".

Ein Auto fährt an eine Tankstelle. Zwei Männer steigen aus. Der Jüngere gibt dem Tankwart ein paar Anweisungen. Dann gehen sie in eine Bar gegenüber, trinken, spielen Poolbillard. Sie seien Vertreter für Staubsauger, sagt der Ältere, und der Jüngere darin ein echtes Ass; im vergangenen Monat habe er für 17 000 Dollar Staubsauger verkauft. Aber "anscheinend verträgt er nicht viel", sagt einer der Umsitzenden. Denn der Jüngere kippt einen Whisky nach dem anderen, "JTS Brown", immer JTS Brown, und als ihm ein besonders schwieriger Stoß gelingt, wettet er mit seinem Mitreisenden, dass er denselben Stoß noch mal so hinbekommt. Er scheitert. Promilleprotzig will er eine Revanche, um 150 Dollar, so viel, wie er in einer Woche verdiene. Der Ältere winkt ab: "Du bist betrunken." Ein Zuschauer sagt: "Schade um ihn. Netter Kerl." Doch dann meldet sich der Barmann: "Soll ich einsteigen?" Er wittert leichte Beute. Und die Falle schnappt zu.

Wenig später übergibt der Jüngere, Eddie, dem Älteren, Charlie, draußen im Auto ein pralles Portemonnaie. Sie haben die naiven Trottel in der Bar abgezockt. Eddie Felson, der "schnelle Eddie", hat sie an den Haken bekommen.

Randvoll mit Bourbon und Selbstüberschätzung

Die Anfangssequenz zu "The Hustler" (Haie der Großstadt) führt so unvermittelt ins Geschehen wie der Anstoß in eine Partie Poolbillard. Boom! Der Film von 1961 (Regie: Robert Rossen) ist ein Lehrstück über die Gier nach Anerkennung, über Ungeduld und Großkotzigkeit, Aufstieg und Absturz. Ein Sportfilm? Nun, das Tricksen, die Finte, der Bluff - all das gehört zum Billard wie zum Fußball, zum Boxen oder zum Schach (nur heißt es dort Strategie). Paul Newman als Eddie Felson ist darin ein Seelenverwandter von Eric Stoner, dem 1965 angetretenen "Cincinnati Kid" mit Steve McQueen in der Rolle eines jungen Poker-Profis. Beide drängen zum schnellen Ruhm, beide wollen es den alten Platzhirschen zeigen: Eddie dem feisten "Minnesota Fats", Eric dem bockbärtigen Lancey Howard. Jackie Gleason als blasierter Billard-Altmeister in "The Hustler" strahlt nichts von der Bedrohlichkeit des Mobster-Mimen Edward G. Robinson ("Little Caesar") aus, unter dessen opahafter Oberfläche der kalte Killerinstinkt eines Raubtiers lauert.

In "Cincinnati Kid" zerstört Robinson McQueen am Ende mit einem einzigen Satz: "Du bist gut, Kid. Aber solange es mich gibt, wirst Du die Nummer zwei sein." In "The Hustler" dagegen kommt es früh zum vermeintlichen Showdown. Eddie führt Fatty zunächst vor; randvoll von zu viel Bourbon und Selbstüberschätzung geht er danach aber kolossal unter. Dieses Ende ist freilich erst der Auftakt zur wahren Katastrophe. Als er am Boden ist, trifft Eddie die Trinkerin Sarah, zwei labile Seelen, die aneinander Halt suchen und doch nicht geben können. Einmal weist Sarah Eddie ab: "Du bist mir zu hungrig." Dieser Hunger wird sie beide verschlingen.

Eddie lässt sich mit Bert Gordon ein (sinister wie immer: George C. Scott), Fattys Manager, der ihn erpresst, ihm die Daumen brechen lässt und ihn als "Verlierer" provoziert. Trotzdem jagt Eddie seinen alten Partner Charlie fort, weil er sich vom skrupellosen Gordon das große Geld verspricht. Auch die nach echter Liebe hungernde Sarah stößt er immer wieder weg, bis sie irgendwann nicht mehr kann. Sie nimmt sich das Leben. Zu spät erkennt Eddie, was er aufs Spiel gesetzt und verloren hat. Er fordert noch einmal Minnesota Fats heraus und besiegt ihn - eine Randnotiz. Mit Gordon aber gibt es keinen Kompromiss: Eddie will sich nicht länger kompromittieren lassen, um keinen Preis. Sein Leben als Pool-Profi ist vorbei.

Ein Mozart am Billardtisch

25 Jahre später.

Eddie ist als Schnapsverkäufer zu Geld gekommen und trinkt noch immer gern JTS Brown. In seiner Stammbar, mit deren Besitzerin Janelle er ein eher beiläufiges On/off-Verhältnis pflegt, entdeckt er den jungen Vincent Lauria. "Der Junge hat ja einen ersten Stoß wie eine Dampframme", entfährt es Eddie. Auf einmal spürt er das alte Kribbeln. Vincent ist ein Wunderkind, ein Mozart am Billardtisch, sein Taktstock ist das Queue, mit dem er seine Symphonien auf das grüne Tuch tupft. Was ihm fehlt, ist Lebenserfahrung - bezeichnenderweise arbeitet er als Verkäufer bei "Child World". Er will einfach nur spielen, besser als alle anderen, und das sollen alle sehen.

Vincent fehlt das Wissen um die großen und kleinen Tricks, wie man mit Zocken Geld macht. Wie man die Beute erst anlockt und sie dann an den Haken bekommt. Eddie, fasziniert von diesem unverformten Spielkind, will es ihm beibringen. Und Vincent, zu Beginn ein schüchterner Bursche, entwickelt sich. Allerdings mutiert er im Zeitraffer zum selben von sich selbst besoffenen Schnösel, wie der "schnelle Eddie" einst einer war: Er glaubt, er kann nicht verlieren - und ist doch nur ein schlechter Verlierer.

In Martin Scorseses "The Color of Money" ("Die Farbe des Geldes", 1986) gibt Tom Cruise diesen Vincent - nur fünf Monate nach seinem Blockbuster-Erfolg in "Top Gun" - mit kindlich-verspielter Bockigkeit. Er ist der perfekte Spiegel für Vincents wachsenden Narzissmus, dabei ständig angefeuert von Michael Ballhaus, dessen Kamera bewundernd um Cruise kreist, der sich wiederum um die eigene Selbstverliebtheit dreht (wer danach in den Achtzigern einen Billard-Salon betrat, konnte viele, viele Cruise-Kopien sehen, die gerne so cool gewesen wären, sich aber nur der Lächerlichkeit preisgaben, wenn sie - wie Vincent - mit ihrem Queue herumfuchtelten wie mit einem Samuraischwert).

Die Lust am Spiel und auf das Leben erwacht mit einem Boom!

Wie "The Color of Money" wurde kurioserweise auch "The Hustler" von einem Deutschen fotografiert: dem Kamera-Pionier Eugen Schüfftan, dessen großartige Schwarz/Weiß-Tableaus dem Film eine ganz eigene Tiefe verleihen (und ein Gastauftritt des Boxers Jake LaMotta als Barkeeper einen ganz eigenen tragischen Oberton).

Sowohl "The Hustler" als auch "The Color of Money", erzählen von Vater-Sohn-Konflikten: Eddie lehnt sich gegen seinen Partner Charlie auf, gegen Minnesota Fats und gegen Bert Gordon, Vincent rebelliert gegen Eddie. Der Bruch ist programmiert. Beide Filme, gedreht nach den Romanvorlagen von Walter Tevis, tragen autobiografische Züge des Autors: Tevis arbeitete als junger Mann in Billardhallen - und war Alkoholiker. In "The Hustler" verliert Eddie gegen Fatty nur deshalb, weil er "blau war", zumindest redet er sich das ein; schön, wenn man für alles eine Ausrede hat, knallt ihm Gordon an den Schädel.

In "The Color of Money" erwacht in Eddie mit einem Boom! wieder die Lust am Spiel und auf das Leben (vielleicht sogar ein Leben mit Janelle?). Er will es Vincent zeigen beim großen Turnier in Atlantic City. Er beginnt wieder zu trainieren - und verfällt in alte Fehler. Der scheinbar unbedarfte Amos, gespielt vom blutjungen Forest Whitaker, zockt ihn nach allen Regeln der Kunst ab. Wieder einmal fragt Eddie sich: "Wie konnte ich mich nur so vorführen lassen?" Und stellt fest: "Es passt alles zusammen: Ein bisschen zu viel Schnaps, ein bisschen zu eitel." Ist dieser Eddie Felson also doch ein Verlierer, wie Gordon es ihm prophezeit hat?

In Atlantic City erteilt Vincent ihm eine Lektion in Zynismus. Gewinnen durch Verlieren, Hauptsache, die Wettquote stimmt. Wieder fordert Eddie, wie einst gegen Minnesota Fats, Revanche. Warum, fragt Vincent. "Hey", antwortet Eddie im Original: "I'm back!" Man weiß nicht recht, was gemeint ist: Zurück unter den Lebenden, nach 25 Jahren innerer Erstarrung? Oder zurück in der Tragödie seines Lebens?

Bereits erschienene Rezensionen:

Platz 22: "Free Solo"

Platz 21: "Rush"

Platz 20: "Die nackte Kanone"

Platz 19: "Slap Shot"

Platz 18: "Foxcatcher"

Platz 17: "The Wrestler"

Platz 16: "Nowitzki. Der perfekte Wurf"

Platz 15: "Le Grand Bleu"

Platz 14: "White Men Can't Jump"

Platz 13: "I, Tonya"

Platz 12: "Battle of the Sexes"

Platz 11: "Jerry Maguire"

Platz 10: "Rocky III"

Platz 9: "The Rider"

Platz 8: "Moneyball"

Platz 7: "Million Dollar Baby"

Platz 6: "Senna"

Platz 5: "Bull Durham"

Platz 4: "Diego Maradona"

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