Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Spielfelder:Gegen das Chaos

Sechs Fußballfelder, 60 Parkplätze und 16 Wasserhähne für 82 Mannschaften: In München-Trudering befindet sich Bayerns überfüllteste Bezirkssportanlage - 2018 wird sich die Lage noch einmal deutlich verschärfen.

Von Christoph Leischwitz

Selbst wenn einmal nichts los ist, wird es auf dieser Bezirkssportanlage immer irgendwo eng. In der Woche vor Weihnachten hatten die Platzwarte an der Feldbergstraße im Osten Münchens zwar die Rasenplätze gesperrt. Doch eine D-Jugendmannschaft hat Weihnachtsfeier in der Gaststätte "Friends" neben dem Hauptplatz. Zwischen Lichterketten und Schnitzel mit Pommes herrscht Riesentrubel. Gemütlich sieht das aus, positiv formuliert - auch hier ist nicht gerade viel Platz. Man bekommt eine Ahnung davon, wie schnell hier im Sommer die Sitzplätze ausgehen. Und auf dem Feld die Spiel-Plätze.

Stefan Dengler vom TSV Trudering und Matthias Berndt vom FC Stern sitzen in einem Nebenraum der Gaststätte. Hier treffen sie sich oft, diesmal ging es unter anderem um ein Hallenturnier am Ende der Weihnachtsferien. "Wenn wir drei Vereine nicht zusammenarbeiten würden, wir hätten hier auf der Anlage das völlige Chaos", sagt Berndt. Auf keiner anderen städtischen Anlage in München, vermutlich in ganz Bayern nicht, sind mehr Fußballmannschaften beheimatet als hier, zurzeit sind es laut Vereinsangaben 82. Knapp die Hälfte gehört zum FC Stern, der dritte Klub ist der FC Dreistern-Neutrudering. Sie teilen sich insgesamt sechs Plätze, einer davon ist noch ein Ascheplatz, drei haben Flutlicht. Die Sporttaschen oder zumindest die Wertsachen nehmen viele Spieler mit an den Platz, denn bei der hohen Fluktuation ist es nicht denkbar, die Kabinen abzusperren. Zusätzliche Wartezeiten sind einzurechnen an der Schuhputzstation mit seinen 16 Wasserhähnen für insgesamt rund 2000 aktive Fußballer. Oder bei der Parkplatzsuche, denn nur 60 Stellplätze stehen zur Verfügung. Nachdem sich Nachbarn beschwert hatten, weil vor der Anlage so viele Autos kreuz und quer stehen, hat man die Parkzone für die Anwohner auf 20 Uhr nach hinten verlegt. Auch der öffentliche Bus kommt an dieser Engstelle manchmal nicht durch.

Alles wirkt auf Kante genäht. Angesichts der Risse in den arg strapazierten Kunstrasenplätzen sogar im wahrsten Wortsinn. Hier herrscht eine Sieben-Tage-Woche. Auch wenn es unangenehm ist, müssen viele am Montag trainieren, obwohl man erst am Sonntag ein Spiel hatte. Oft geht es nach dem Training sofort ins Bett, weil man sich mit fünf anderen Mannschaften anderthalb Rasenplätze teilt und am Abend einfach als Letzter dran war.

Berndt ist Frauen-Abteilungsleiter beim FC Stern. Er sagt, wenn in seltenen Fällen die Mädchen an einem Wochenende spielen, das eigentlich den anderen Vereinen gehört, und wenn dann auch noch eine Schiedsrichterin pfeift, dann wird es wegen der Regularien besonders kritisch. Dann nämlich stehen für die Jungs nicht ausreichend Kabinen zur Verfügung.

Vieles davon dürfte anderen Vereinen in Bayern bekannt vorkommen, vor allem in Ballungszentren und Gegenden mit enormem Zuzug. "Die Situation hier ist absolut unbefriedigend", sagt Dengler, sie sei schon ein Dauerzustand. Er ist seit 42 Jahren Mitglied beim TSV. Damals hatte Trudering ungefähr 20 000 Einwohner, heute sind es über 70 000. Damals war die Gegend geprägt von großen Häusern und Wald, Dengler selbst ist in der so genannten "Batschka-Siedlung" aufgewachsen, benannt nach einer Region, aus der viele Flüchtlinge kamen. Die Einfamilienhäuser sind modernen Neubauten gewichen. Was sich aber kaum verändert hat, das ist die Bezirkssportanlage.

2018 wird sich die Lage noch einmal deutlich verschärfen

Das mag Fußball-Nostalgiker auf den Plan rufen. Die Anlage mit urigen Kabinen und einer mit Aufklebern übersäten Holztür, auf der ein altes Schild "Dienstraum des Platzwartes" angebracht ist, versprüht mehr Pöhler-Charme als eine der vielen Multifunktionsanlagen im reichen Münchner Umland. Sie ist aber eben auch unpraktisch. Der Stadt machen sie deswegen keinen Vorwurf, bei Anfragen werde vieles recht schnell erledigt. Freilich nicht immer. Im Dezember 2015 zum Beispiel hatten die Klubs angefragt, zwischen Gaststätte und Kabinentrakt zwei Material-Container aufstellen zu dürfen, auf einem komplett verschenkten Stück Grund, das keiner nutzt. Knapp zwei Jahre später kam die Antwort, dass dies nicht möglich sei, unter anderem müsse man dafür eine Baugenehmigung einholen. Dengler wünscht sich bei der Stadt bisweilen einen zentralen Ansprechpartner, um Probleme pragmatischer und ganzheitlicher angehen zu können. Die Stadt sagt, für die Feldbergstraße gebe es immerhin nur zwei feste Ansprechpartner im Sportamt. Für Umbauten beispielsweise ist aber nun mal das Baureferat zuständig, dann müssten andere Personen in die Entscheidung einbezogen werden. Ein so genannter Campus-Manager, der auch regelmäßig vor Ort ist, wird im Normalfall nur bei deutlich größeren Projekten bereitgestellt, wie etwa an der Regatta-Anlage in Oberschleißheim.

Im Jahr 2018 wird sich die Lage für die drei Klubs noch einmal deutlich verschärfen. Einerseits sind die Klubs dafür sehr dankbar. Denn der Stadtrat hat 3,38 Millionen Euro für eine Sanierung bewilligt. "Das ist eine super Sache", sagt Dengler. Der ungeliebte Ascheplatz wird zu Kunstrasen, die anderen beiden Kunstrasenplätze werden komplett neu gemacht, dazu kommen Ballfangzäune und ein neues Flutlichtlicht. Das bedeutet aber auch: Für ein halbes Jahr wird sich alles auf den drei Rasenplätzen abspielen. Natürlich können manche Teams vereinzelt mal an einen anderen Ort ausweichen. Doch andere Bezirkssportanlagen platzen auch aus allen Nähten. Und Vereine mit eigener Anlage verlangen meist Miete, für 60 Minuten Training zwischen 75 und 90 Euro. "Das ist für uns nicht zu machen", sagt Dengler.

Und auch, wenn die Stadt von einem "reibungslosen Bauablauf" ausgeht, tut das aufgrund der Erfahrungen in Nachbar-Stadtteilen sonst niemand. Sollte der Umbau im November nicht fertig sein, erwartet Dengler einen Rückgang der Mitgliederzahlen im Jugendbereich von rund 20 Prozent. Was paradox ist, weil in vielen Altersbereichen regelmäßig ein Aufnahmestopp ausgesprochen werden muss.

Praktisch ist nur, dass der TSV und der FC Dreistern zumindest für das nächste Kreisklassen-Derby keinen anderen Ort suchen müssen. Rein zufällig treffen die beiden einen Tag vor dem Baustart aufeinander, am 15. April. Wenn es gut läuft für den TSV, der momentan klare Tabellenführer in der Gruppe 5 München ist, dann kann er danach schon den Aufstieg feiern. Auch wenn er in der ersten Kreisliga-Saison den eigenen Platz wohl gar nicht so oft nutzen kann.

In dieser Serie erzählt die SZ Geschichten rund um bekannte und ungewöhnliche Orte, an denen Sport getrieben wird. Bisher erschienen Beiträge über die Curlinghalle in Garmisch-Partenkirchen (27. Dezember), einen Groundhopper aus Bamberg (28. Dezember) und die Eismeister der Straubing Tigers (29. Dezember).

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Quelle:
SZ vom 04.01.2018
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