SZ-Serie: Spielfelder (3):Hausmeister in der Heimat

Wenn in Straubing Eishockey gespielt wird, sind die Eismeister stets die ersten, die kommen, und die letzten, die gehen. Blut auf dem Eis, kaputte Plexiglasscheiben - irgendwas ist immer.

Von Johannes Kirchmeier

"Der blutet aufs Eis!", ruft Sascha Schneeweis in den Raum. Sein Kollege Edin Ramic springt ruckartig auf, huscht durch die erste Tür. Und als er gerade die zweite zum Stadioninnenraum aufschwingt, hört er schon über die Lautsprecher die Stimme des Stadionsprechers: "Eismeister, bitte!"

Nach nicht einmal einer Minute Spielzeit muss Ramic schon eingreifen im Spiel der Straubing Tigers in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) gegen Düsseldorf kurz vor Weihnachten. Er schnappt sich auf dem Weg zur Spielfläche im Straubinger Eisstadion am Pulverturm noch eine Schaufel und einen Besenstiel, an dem statt der Borsten eine Schlittschuhkufe angebracht ist, und rennt damit aufs Spielfeld. Ein paar Mal hackt er aufs Eis ein, schabt die Blutflecken vom Straubinger Stürmer René Röthke weg, plaudert noch mit dessen Angreiferkollegen Mike Connolly. Aber schon kurz darauf tappt und gleitet er dann wieder vom Eis, das Spiel geht weiter. Ramic kippt die rot gefärbten Eisklumpen weg und stützt sich neben der Eisbearbeitungsmaschine auf seinem Besenstiel ab.

Dort hatte er noch kurz vor Spielbeginn mit einem Lächeln gesagt: "So, und jetzt darf 60 Minuten nichts passieren." Ramic und sein Kollege Schneeweis wissen aber natürlich, dass im Eishockey eher ein anderer Grundsatz gilt: Irgendetwas wird garantiert passieren.

Die beiden sind Eismeister - zwei von fünf, die bei der Stadt, dem Stadioneigentümer, angestellt sind. An diesem Abend schieben sie gemeinsam Dienst, das ist Usus in ihrem Job. Denn es kann ja mal passieren, dass einer auf dem Spielfeld ausrutscht oder von der Eismaschine fällt. "Hat's alles schon gegeben", sagt Ramic - wenn auch nicht alles in Straubing. Zudem lässt sich die Arbeit zu zweit auch leichter koordinieren.

Schneeweis flitzt vor dem Spiel mit der Eismaschine zu den Klängen von DJ Bakermat über die Spielfläche. Eigentlich hat man ja das Gefühl, dessen Gedudel in diesem Jahr ein bisschen zu oft im Radio gehört zu haben. Doch als Begleitung der 22 Stundenkilometer schnellen und mehr übers Eis schwebenden als fahrenden Eismaschine schmiegt sich das Lied "Living" durchaus wohlig an. Ramic schnappt sich derweil die Tore und zieht sie zur Seite, damit sein Kollege alle Stellen spielfrisch bekommt. Dazu trägt Schneeweis mit der Eismaschine die oberste Fläche ab und überzieht das Eis dann mit warmen Wasser, das in Sekundenschnelle eine neue Schicht bildet. Einer fährt, einer schiebt - beim nächsten Mal tauschen sie wieder.

Straubing Tigers - Eisbären Berlin

Die DEL ist hart, auch für das Eis: Die Spielfläche im Straubinger Stadion am Pulverturm wird beansprucht, so wie hier beim Zweikampf zwischen Mike Zalewski und Maximilian Adam von den Eisbären Berlin.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Edin Ramic ist geboren und aufgewachsen in Straubing, und eishockeyverrückt wie so viele am kleinsten, aber stolzen DEL-Standort. Für den EHC hat er bei den Junioren gespielt, inzwischen betreut er eine Jugendmannschaft. Wenn er sich vor oder während der Partie einmal kurz neben das Spielfeld stellt und innehält, schütteln ihm Dutzende Zuschauer die Hand, Kinder tollen um ihn herum. Andere klopfen ihm auf die Schulter, ratschen eine Weile mit ihm. Ein Kumpel schickt ihm nach dem Einsatz zu Spielbeginn die Nachricht: "Warst aber hübsch langsam." Ein anderer leitet ihm ein Bild von der Szene aufs Handy weiter. Ramic schüttelt den Kopf heftig und sagt: "Na, na, na", "nein, nein, nein" auf Niederbairisch. Dazu grinst er aber, er ist glücklich. Es sind diese Minuten der Ruhe, in denen man Edin Ramic anmerkt, wie sehr der 23 Jahre junge Mann in diesem 50 Jahre alten Stadion daheim ist.

Anders als seine Freunde ist er ja immer der erste, der kommt - und der letzte, der geht. Von 15.45 Uhr bis Mitternacht dauert an diesem Mittwoch seine Schicht. In Arbeitsschuhen, Arbeitshose und dicker Jacke, auf der auf dem Rücken der Schriftzug "Eismeister" und auf der Brust das Stadtwappen geflockt ist, stapft er an der Eisfläche vorbei. Dann schließt Ramic mit einem Lächeln inmitten seines Dreitagebarts den Rückzugsbereich der Eismeister auf, wo sich neben der Werkstatt auch ein Büro- und Ruheraum befindet. Dort drin steht der Fernseher, auf dem Schneeweis den blutenden Röthke erkannt hat, auf einer Holzkonstruktion hinter der Eckbank mit den abgegriffenen roten Polstern. "Viel sitzen wir hier aber nicht drin", sagt Ramic. So wie es für einen Hausmeister immer was zu tun gibt, gibt es für den Eismeister, der sich um ein mit mehr als 5000 Zuschauern besetztes sehr großes Haus kümmert, erst recht viel zu tun: Ob Kindertraining, Schlittschuhe Schleifen und Ausgeben fürs öffentliche Eislaufen, Eisaufbereitung oder ein gebrochenes Plexiglas - irgendwas ist immer.

Ramic wollte schon immer einen handwerklichen Beruf ausüben, aber Eismeister, das gibt er zu, ist kein Job, den man als Kind als Erstes im Sinn hat. Es ist eher einer, zu dem man im Leben kommt - bei ihm war es im März soweit, "weil ich als Eismeister eins und eins kombinieren kann". Er meint damit: die Freude am Eishockey, bei seiner Arbeit trägt er wie die Fans im Stadion eine Tigers-Mütze, und die Freude am Handwerk.

Zuvor hat Ramic bereits als Mechatroniker für Kältetechnik und Klimatechnik gearbeitet. Er kannte die Klimaanlagen, die das Leben in Großküchen erträglicher machen, nun kennt er die beiden Kältemaschinen - groß wie Wasserkraftwerksturbinen -, die sich Woche für Woche darin abwechseln, das Wasser im gefrorenen Aggregatzustand zu halten und das Stadion zu einem der kältesten der Liga zu machen. In Straubing steht ja noch eine alte Eishalle, in der einem die Füße frieren, und keine klimatisierte und dauerhaft frühlingswarme Multifunktionsarena.

Straubing Tigers DEL Eishockey Eismeister Edin Ramic

Experte für „Sieben-Minuten-Eis“: Edin Ramic auf seiner Eismaschine.

(Foto: oh)

Das ist Ramic durchaus recht. Wenn er aufs Eis will, muss er am Metallverschluss an der abgerundeten Eckbande ein paar Mal kurbeln und dann zwei Banden samt Plexiglas aufziehen. Dann wandert er über die Spielfläche und misst die Temperatur von Hand, woanders gäbe es dafür Temperaturfühler im Eis. Oder er macht sein schnelles "Sieben-Minuten-Eis", benannt in Anlehnung an ein Fertiggericht; die dafür nötige Eismaschine passt gerade so durch die Schiebetür. Beim Rein- und Rausfahren zischt und kracht das mehr als vier Tonnen schwere, elektrobetriebene Fahrzeug, das durch Spikes auf den Reifen Halt findet und auf dem der Fahrer ganz hinten, hinter dem Schneetank, sitzt.

In einem Stadion in der Schweiz fährt schon eine autonome Eismaschine. "Da wäre ich kein Eismeister mehr", sagt Ramic. "Das ist, wie wenn ich bei BMW arbeite und aufpasse, dass der Roboter keinen Fehler macht." In Straubing passt er noch auf, seine eigenen Fehler zu vermeiden. Dazu gehört auch, die Banden wieder richtig zu schließen: Zu Beginn seiner Zeit hat er mal einen Puck ans Schienbein bekommen. So etwas merkt man sich.

Die Straubing Tigers feiern an diesem Abend nach einer spannenden Schlussphase wieder mal einen Sieg - 2:1 endet die Partie, worüber sich auch die Eismeister freuen. Deren Arbeitstag endet auch nach der Ehrenrunde der Spieler noch nicht. Denn dann pflegen sie vor leeren Tribünen noch einmal das Eis. DEL-Eishockey ist hart, auch fürs Eis, das nach einem Spiel viel mehr Risse und Furchen als üblich aufweist. Erst nach einigen Runden mit der Eismaschine ist die alte Qualität wieder hergestellt. "Ich habe schon im Vorstellungsgespräch gesagt, dass ich das nicht ewig machen will", sagt Ramic. Später, wenn er mal eine Familie hat, wären ihm schon angenehmere Arbeitszeiten lieber. Aktuell aber gibt es nichts Schöneres für ihn: "Es gibt Leute, die arbeiten immer noch in der Firma, in der sie gelernt haben. Das würde ich nie tun. Ich will was Neues erleben."

Als Eismeister passiert ihm das jeden Tag: Mal schraubt er eine Lampe aus, mal eine Plexiglasscheibe - und mal sucht er in dem so oft umgebauten Stadion einen Sicherungskasten, von dem nicht mehr viele wissen. An diesem Abend aber schließt er das Stadion nur noch ab. Ruhe am Pulverturm. Bis am nächsten Tag um sieben Uhr morgens die Schicht für den Kollegen beginnt: Er hat ein paar Hundert Schulkinder zu Gast.

In dieser Serie erzählt die SZ Geschichten rund um bekannte und ungewöhnliche Orte, an denen Sport getrieben wird. Bisher erschienen Beiträge über den Streit um die geschlossene Curlinghalle in Garmisch-Partenkirchen (27. Dezember) und die Erlebnisse eines Groundhoppers aus Bamberg (28. Dezember).

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