Dirk Gieselmann
Gesichter der WM
Guten Tag, liebe Fans. „Wann zeigt Müller sein WM-Gesicht?“, so lautet eine von vielen Fragen im Vorfeld des Spiels gegen Südkorea, in diesem Fall gestellt vom "Kicker". Ich bin wie immer optimal vorbereitet, hatte heute Morgen im Bad u.a. die Wahl zwischen meinem WM-Gesicht 1986, Modell „Tor zum 2:3 durch Burruchaga“, meinem WM-Gesicht 1998, „Modell Berti Vogts allein auf der Frühstücksterrasse“, und meinem WM-Gesicht 2006, Modell „Kahn auf der Bank“.
Auf Anraten meiner Frau („Wie siehst du denn aus? Hast du getrunken?“) entschied ich mich jedoch in letzter Minute für das allerneueste Modell, nämlich „Philipp Lahm am Tegernsee“. So möchte ich diesem Spiel entgegenblicken: als wäre es der Weltspartag und mein Schweinchen das vollste von allen.
Und das kann mir, egal wie es ausgeht, niemand mehr nehmen. In diesem Sinne: viel Glück uns allen. Und unseren Gesichtern.
Dirk Gieselmann
Vom Feeling her ein gutes Gefühl
Es sei, schreibt der "Kicker" außerdem, ein „gefühltes K.o.-Spiel“. Das würde ja heißen: Wenn die deutsche Mannschaft ausscheidet, dann wäre auch das nur ein Gefühl und nicht unbedingt etwas, das auf Tatsachen beruhen muss.
Gefühle aber, das haben wir in jüngster Zeit gelernt, sind durchaus manipulierbar. Warum reden wir uns im Falle einer Niederlage nicht einfach mal ein, dass die Situation gar nicht so mies ist, wie die Vorrundenstatistiker behaupten? Positiv denken! Positiv fühlen!
Wie wäre es also, wenn wir nach einem „gefühlten“ Knockout einen Niederlagen-Korso initiierten und einfach hupend weiterfahren ins Achtelfinale?
Treffpunkt um 18 Uhr bei mir vorm Haus, liebe Fans.
Dirk Gieselmann
Apropos Feelings, liebe Fans,
WM-Vorrunden sind wie die Jugendjahre eines Menschen: Man sieht Verzweiflung und Hoffnung, Euphorie und Lethargie dicht beisammen, und erst in der Rückschau, wenn der Zyklus abgeschlossen ist, kann man sie vollends deuten. Wer einmal als strahlende Gestalt in die Geschichte eingehen wird, wer als Fußnote und wer überhaupt nicht, das ist nach nur 20 Lebensjahren beziehungsweise drei Gruppenspielen längst nicht abzusehen. Eltern wissen das. Und Leute, die mehr als zwei Weltmeisterschaften erlebt haben, die wissen es auch.
Dirk Gieselmann
Leise Warnung an England, Kroatien und Belgien
So sortierte das Achtelfinale immer wieder Mannschaften aus, die in den ersten Spielen, wie man so sagt, für Furore gesorgt hatten. Es tat dies mit dem kalten Lächeln eines Caesaren, der über einem Gladiator den Daumen senkt. Denken wir nur an die Dänen 1986, die Nigerianer 1994 oder die Kolumbianer 2014, die heute nurmehr als namenlose Artisten in Rückblicken auftauchen. Ihr kurzer Traum vom Titel weht als dünne Rauchwolke durch längst vergangene Jahre. Das nur als leise Warnung an England, Kroatien und Belgien.
Zugleich aber können strauchelnde Helden, haben sie die Gruppenphase überstanden und die lästigen Emporkömmlinge abgeschüttelt, sich im weiteren Verlauf zu ihrer wahren Größe erheben. Ja, erst durch die Erfahrung von Schrecken und Schauder der Vorrunde wird ihr Weg durch die WM zu einem Drama, wie es die Zuschauer lieben.
Katharsis, so nennen das die Deutschlehrer.
Erst mal reinkommen ins Turnier, so nennen es die Fußballexperten.
2014 Getty Images
Dirk Gieselmann
Apokalyptischer Zorn
Was die WM 2006 noch für ihn bereit hielt, das ahnte nicht einmal Zinedine Zidane, der sonst doch alles ahnte, den Weg des Balls, die dürren Gedanken der Manndecker, die unmittelbare Zukunft. Doch an diesem 18. Juni 2006, im zweiten Gruppenspiel Frankreichs gegen Südkorea im Leipziger Zentralstadion, war seine Intuition getrübt von der normativen Kraft des Faktischen. Tatsache war: In der 85. Minute sah er seine zweite Gelbe Karte des Turniers und war damit für die entscheidende Partie gegen Togo gesperrt. Nun hatte er bereits vor dem Turnier erklärt, dass er danach seine Karriere beenden würde. Und plötzlich schien es so, dass Zizou, die weiße Katze, das Genie seiner Generation, mit einem müden 1:1 gegen Südkorea abtreten müsste. Ohne ihn schien das von Otto Pfister trainierte Togo, es war ja schließlich die Vorrunde, ein geradezu unbezwingbarer Gegner.
Zidane also schritt zum letzten Mal, wie er in diesem Augenblick annahm, vom Platz, durch die Katakomben, gefangen im stillen, apokalyptische Zorn auf den Schiedsrichter, die quirligen Südkoreaner, sich selbst und die Endlichkeit des Seins. Wer ihn kannte, wusste, dass er des Todes sein würde, hätte er den Versuch gewagt, ihn aufmuntern. Auch die Kabinentür wollte ihm ausweichen, doch es war zu spät. Zinedine Zidane, der große Schöpfer und Zerstörer des Weltfussballs, trat sie mit den Stollen voran kaputt.
Und lange hallte der Knall wider in den Fluren des Leipziger Zentralstadions, wie ein Donner aus der Zukunft.
2006 Getty Images
Dirk Gieselmann
Es ist Winfried Lonzen zu verdanken, dass uns dieser Stollenabdruck erhalten geblieben ist. Der Leipziger Stadionmanager, offenbar ein Mann mit Sinn für Geschichte, ließ ihn golden einrahmen. Und so kann man ihn noch heute betrachten, diesen Moment des unbändigen Zorns, eingefroren in der Zeit wie der Tintenfleck in der Lutherstube auf der Wartburg.
Was sagt uns nun dieses Mahnmal an der Kabinentür, gerade heute, da wir dem dritten Gruppenspiel entgegenblicken?
Erstens: In einer WM-Vorrunde schlägt die Urteilskraft, wie in der Jugend, die irrsten Kapriolen. Man weiß oft nicht, wo oben und wo unten ist.
Zweitens: Es ist nicht vorbei, bevor es vorbei ist. Zidane drang bekanntlich bis ins Finale vor und bewies der Welt, dass er längst nicht fertig war mit seinem Zorn.
Drittens: Jemand sollte schleunigst die Laterne am Strand von Sotschi unter Denkmalschutz stellen, an der Jogi Löw so gern lehnt. Vielleicht wird sie eines Tages von historischer Wichtigkeit sein. Und viertens: Gegen Südkorea spielen auch die Allergrößten manchmal nur 1:1. Aber das ist ein ein eher lästiger Gedanke.
Reden wir lieber nicht weiter darüber.
Was sagt uns nun dieses Mahnmal an der Kabinentür, gerade heute, da wir dem dritten Gruppenspiel entgegenblicken?
Erstens: In einer WM-Vorrunde schlägt die Urteilskraft, wie in der Jugend, die irrsten Kapriolen. Man weiß oft nicht, wo oben und wo unten ist.
Zweitens: Es ist nicht vorbei, bevor es vorbei ist. Zidane drang bekanntlich bis ins Finale vor und bewies der Welt, dass er längst nicht fertig war mit seinem Zorn.
Drittens: Jemand sollte schleunigst die Laterne am Strand von Sotschi unter Denkmalschutz stellen, an der Jogi Löw so gern lehnt. Vielleicht wird sie eines Tages von historischer Wichtigkeit sein. Und viertens: Gegen Südkorea spielen auch die Allergrößten manchmal nur 1:1. Aber das ist ein ein eher lästiger Gedanke.
Reden wir lieber nicht weiter darüber.
Dirk Gieselmann
Ein Herr namens Behlau
Reden wir lieber nicht weiter darüber: Das sollte auch die Losung sein für die Büromenschenausschreitung nach dem Abpfiff des Spiels gegen Schweden.
Aber.
Wäre diesem Georg Behlau als Teilnehmer einer Studiosus-Bildungsreise das Rucksäckchen geklaut worden und hätte er es durch das beherzte Eingreifen der örtlichen Polizei wiedererlangt, hätte man ihm sein Veitstänzchen ja gegönnt, nachts im Hotelzimmer, allein mit sich und seinem Triumphgefühl.
So aber entlud sich am Samstag, vor einem Milliardenpublikum, die kleinherzige Energie eines bis dahin weithin unbekannten Herrn wie eine Flatulenz auf einem Hochzeitsbankett. Und ich fühlte mich ganz zwangsläufig mitgemeint.
Zuletzt habe ich mich so für jemanden geschämt, als Norbert Meier sich fallen ließ. Und das waren immerhin noch unechte Gefühle.
Dirk Gieselmann
Go for Gold
Angesichts der „der sogenannten Fans“ kann die deutsche Mannschaft jede positive Unterstützung gebrauchen.
Und deshalb teile ich dieses Lied mit Ihnen, liebe Fans, das mich ohnehin seit 1988 jeden Morgen weckt, bevor ich dann aufspringe und BÄMM rufe.
Dirk Gieselmann
Am Wochenende rufe ich übrigens ROCK‘N‘ROLL.
Falls es Sie interessiert.
Falls es Sie interessiert.
Dirk Gieselmann
Unter der Laterne
Das Foto von Joachim Löw an der Laterne am Strand von Sotschi steht längst in einer Reihe mit so ikonographischen Urlaubsbildern wie Rudolf Scharping im Pool mit Gräfin Pilati oder Angela Merkel im Sessellift mit Joachim Sauer.Nur dass er eben allein da steht.
Das verleiht ihm etwas ebenso Einsames wie Einladendes.
Wer ist cool genug, mit ihm auf die Mission Titelverteidigung zu gehen? Wer verwegen genug für ein Interview mit Delling? Wer männlich genug für eine Top-Gun-Sonnenbrille.
Dies ist die letzte Wegmarke. Wer geht mit, liebe Fans?
An diesem einen Bild „könnte der Weltmeistertitel hängen“ (Gerd Rubenbauer).
Dirk Gieselmann
MOONWERNER
Es lädt aber auch ein, wenn man Löw da so stehen sieht wie einen James-Bond-Imitator, der sich in Ermangelung von Engagements dem Ensemble der Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg angeschlossen hat, zu den schönsten Überschriften zu diesem Spiel.
LÖW AND LET DIE, wählten wir.
In der Vorrunde ausgeschieden:
FROM RUSSIA WITH LÖW
DIAMONDS ARE FOR BIERHOFF
YOU ÖZIL LIVE TWICE
MOONWERNER
QUANTUM OF GOMEZ
Dirk Gieselmann
Man kann einfach nicht aufhören. Schlimm.
GINTRE
ILKAYFALL
NEUER SAY NEUER AGAIN
OCTORUDY
THE MARVIN DAYLIGHTS
GINTRE
ILKAYFALL
NEUER SAY NEUER AGAIN
OCTORUDY
THE MARVIN DAYLIGHTS
Dirk Gieselmann
So langsam kommt sie, die Angst vor den „listigen Südkoreanern“ (Fritz von Thurn und Taxis). Um mich zu beruhigen, ziehe ich mir jetzt pausenlos dieses Video rein:
Bum Kun Cha fällt hin.
Und die nachfolgende Ecke bringt nichts ein.
Bum Kun Cha fällt hin.
Und die nachfolgende Ecke bringt nichts ein.
Dirk Gieselmann
Papayaentkernung
Was auch beruhigt: Im ZDF läuft noch wohltuend Banales. Im Moment wird dort eine Papaya entkernt.
In etwa so, wie das deutsche Mittelfeld im Spiel gegen Mexiko entkernt wurde.
Wie beunruhigend, wenn man länger darüber nachdenkt.
Was läuft eigentlich auf Radio Paradiso?
Dirk Gieselmann
Bananenfrikadellen
„Das ist nicht das, was ich wollte“, sagt jetzt eine Küchenschlacht-Kandidatin und schaut beklommen auf eine angebrannte Süßkartoffelpommes. Ein Satz wie von Toni Kroos in der Halbzeitpause des Spiel gegen Schweden.
Ist das aufwühlend, liebe Fans. Oder wie Johann Lafer es ausdrückt: „Hier braten die Bananenfrikadellen.“
Hier geht es zu den aktuellen Ergebnissen und Gruppen der Fußball-WM.