SZ-Aktion "Coaches' Challenge":Angekommen

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Ausdauertraining für den Aufstieg: Wenn im Sommer die neue Saison beginnt, will der FC Mainaustraße, ein Flüchtlingsverein aus München-Aubing, den Aufstieg in die B-Klasse angehen. (Foto: oh/privat)

Aus der Tristesse eines Asylbewerberheims ist der FC Mainaustraße entstanden. Sein multikulturelles Team nimmt am Ligabetrieb teil und setzt sich für Integration ein.

Von Stefan Galler, München

Alles begann im Innenhof einer Flüchtlingsunterkunft: Der eintönige Alltag, die Warterei auf einen Bescheid der Behörden - triste Langeweile trieb die Bewohner des Asylbewerberheims in der Mainaustraße im westlichen Münchner Stadtteil Aubing dazu, gemeinsam zu kicken. Die jungen Männer kamen aus Afghanistan, Syrien und verschiedensten afrikanischen Ländern, und sie machten das richtig gut, fand Boubacar Tangara, der die Jungs beobachtete. Tangara war mal Profi bei Al-Ahly Tripolis in Libyen, er startete anschließend bei Espérance Tunis in Tunesien eine Trainerausbildung. Als er zurück in seine Heimat Mali wollte, tobte dort der Bürgerkrieg. Ihm gelang die Flucht nach Deutschland, mittlerweile ist sein Asylantrag gebilligt, er lebt allerdings weiterhin mit seiner Frau und zwei Töchtern in der Aubinger Unterkunft und sucht einen Job.

In der Zwischenzeit betreut der 41-Jährige nun also jenes Team, das er selbst gegründet hat und das mittlerweile unter dem Namen FC Mainaustraße nicht mehr in der Freizeitliga, sondern unter dem Dach des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV) antritt. Im vergangenen Herbst nahm es für drei Liga- und drei Pokalspiele am regulären Spielbetrieb teil, ehe die zweite Welle der Pandemie den Amateurfußball ausbremste.

"Sie waren einfach zu gut für die Freizeitliga."

Was die Mannschaft dort bot, konnte sich sehen lassen, sie blieb ungeschlagen, feierte einige spektakuläre Siege. Vorstandsmitglied Stefan Lenz hält den Aufstieg aus der C- in die B-Klasse kommende Saison für realistisch: Als er 2018 in den Helferkreis kam, hätten die Jungs in der Royal-Bavarian-League reihenweise Kantersiege gelandet: "Sie waren zu gut für die Freizeitliga. Sogar während des Ramadan haben sie ohne Essen und Trinken bei über 30 Grad die Gegner in Grund und Boden gerannt."

Boubacar Tangara trieb die Gründung eines eingetragenen Vereins voran, Lenz und andere aus dem Helferkreis unterstützten ihn. Der langjährige BFV-Funktionär Bernhard Slawinski half ihnen bei rechtlichen Fragen. "Der Aufwand war beträchtlich, da gibt es schon Fallstricke. Jetzt sind wir froh, dass wir organisiert kicken können", sagt Stefan Lenz, der mit Tangara und Präsident Aristidis Koultsiakis beim FC Mainaustraße die Fäden zieht. So entstand hier ein multikulturelles Kleinod, wofür Präsident und Coach von der Stadt bereits die Auszeichnung "München dankt!" erhalten haben.

Eingeschworener Haufen: Die Spieler verstehen sich prächtig, obwohl sie aus verschiedenen Ländern und Kulturkreisen stammen. (Foto: oh/privat)

Das Integrationsprojekt entwickelt sich derweil stetig weiter. "Der Kader umfasst bis zu 30 Leute, 20 sind eigentlich immer im Training, wenn nicht gerade Lockdown ist", sagt Lenz. Auch Asylbewerber, die mittlerweile anerkannt sind, bleiben dem FC Mainaustraße treu. In Abdou Diaby schloss sich ihnen sogar ein Stammspieler des Bezirksligisten SV Herakles an, er ist nun Kapitän. "Dieser Verein lebt vom Teamgeist, es hat noch nie einen echten Konflikt gegeben", sagt Lenz. Und das, obwohl hier so viele Mentalitäten aufeinandertreffen - und teils erschütternde Schicksale. Einer habe seinen Bruder verloren auf der Flucht, erzählt Stefan Lenz, ein anderer sei schwer am Bein verletzt worden, wurde in Libyen operiert und spielt jetzt mit einer Stahlplatte im Knochen. "Er hält keine 90 Minuten durch, ist aber immer positiv und zieht die anderen mit." Die Männer aus Gabun, Sierra Leone, Senegal, Eritrea, Guinea und Somalia sprechen Französisch, Englisch oder Afrikaans miteinander, in der Whatsapp-Gruppe ist die "Amtssprache" jedoch Deutsch. Auch das sei gelebte Integration, betont Lenz: "Praktisch alle haben schon einen Sprachkurs belegt. Einige machen derzeit eine Berufsausbildung."

Auch die Spieler des FC Mainaustraße werden immer wieder Opfer von Alltagsrassismus

Die Erfahrungen, die die jungen Männer in und um München machen, sind nicht nur positiv. Vize-Kapitän Bakary Diakité erzählte das vor einem Dreivierteljahr in der Dachauer SZ. Er habe wegen ständiger Beleidigungen und Provokationen zwischenzeitlich mit dem Fußball aufgehört, damals war er bei einem anderen Münchner Verein aktiv. Vor einem Jahr war er am Dachauer Bahnhof bei einem tätlichen Angriff schwer an der Schulter verletzt worden, musste operiert werden. Mittlerweile nimmt er regelmäßig an einem runden Tisch gegen Alltagsrassismus teil, was ihn sehr stolz mache. Mit Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) steht Diakité in regem Austausch.

Spieler und Offizielle des Klubs engagieren sich in vielen Bereichen. Finanziell hat sich der FC Mainaustraße stabilisiert, nachdem er zunächst nicht mal in der Lage war, das Startgeld für die Freizeitliga aufzubringen. Damals hatte sich der Helferkreis finanziell beteiligt, mittlerweile trudeln Spenden ein, etwa vom FC Bayern Hilfe e.V., von der Bundestagsfraktion der Linken oder aus dem Bezirksausschuss 22. "Wir sind nicht auf Rosen gebettet, aber kommen über die Runden", sagt Lenz, der sich darüber freut, dass die künftige Spielstätte gesichert ist: Im Sommer zieht der FC von der Bezirkssportanlage Freiham, wo er bisher trainierte, auf die Bezirkssportanlage Aubing an der Kronwinkler Straße. Diese ist für die Spieler, von denen keiner motorisiert ist, leichter erreichbar. "Mit dem SV Aubing verbindet uns eine Freundschaft. Der Verein hat uns Hilfe angeboten, auch was die Jobsuche angeht", berichtet Lenz. Dennoch wolle man eigenständig bleiben und keine Mannschaft unter dem Dach eines anderen Vereins bilden.

Auch das Team aus der Asylbewerberunterkunft wartet nun ungeduldig darauf, dass es endlich wieder Fußballspielen darf. Bis dahin bleibt nur das Kräftemessen mit Stars wie Messi, Ronaldo oder Lewandowski - an der Spielekonsole.

Herausragendes Engagement sollte honoriert werden, auch und gerade im Nachwuchssport. Deshalb sucht die Süddeutsche Zeitung in Kooperation mit der Dr.-Ludwig-Koch-Stiftung mit der Aktion "Coaches' Challenge" besonders verdiente Münchner Übungsleiter: Für zehn von ihnen wird die Stiftung ein Jahr lang die Finanzierung übernehmen. Noch bis zum 31. März können sich Vereine bewerben. Die Auswahl wird nach Einsendeschluss eine Jury treffen, der neben Vertretern der Dr.-Ludwig-Koch-Stiftung und der SZ-Sportredaktion auch Simone Laudehr angehören wird, Fußball-Weltmeisterin vom FC Bayern München. Ein paar Voraussetzungen gibt es: Die Vereine müssen im Münchner Stadtgebiet beheimatet sein und dürfen nicht mehr als 1000 Mitglieder haben. Die Übungsleiter sollten vor Beginn der Pandemie schon in ihrer Funktion aktiv gewesen sein und müssen einen gültigen Übungsleiter-Ausweis besitzen. Ein Formular zur Bewerbung gibt es im Internet unter www.sz.de/coach . E-Mails zu dieser Aktion an: coaches-challenge@sz.de. Das Ergebnis der Jurysitzung wird im Anschluss in der SZ bekannt gegeben.

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