Syrien hofft:Goldene Tore in Zeiten des Krieges

Iran - Syria

Syriens Spieler feiern in Teheran.

(Foto: AFP)
  • Mit einem Tor in der 93. Minute sichert sich Syrien einen Punkt gegen den Iran und hat nun noch Hoffnung, sich für die Fußball-Weltmeisterschaft zu qualifizieren.
  • Eine Teilnahme im Land von Präsident Assads engstem Verbündeten Wladimir Putin wäre für die Regierungs-Propaganda ein Geschenk.
  • Dabei waren einige Spieler der Mannschaft offen gegen Assad. Der Erfolg des Team wird auch von den Rebellen gefeiert.

Von Moritz Baumstieger

Das Wort "ausgerechnet" ist bei Sportkommentatoren beliebt, der Fußball hat oft einen Hang zum großen Drama. Der syrische Kommentator des katarischen Sportsenders beIn schrie am Dienstagabend so etwas wie die arabische Entsprechung dieser Floskel in sein Mikrofon, wieder und wieder, bis er schließlich in Tränen ausbrach und nur noch Schluchzer zu vernehmen waren: Die 93. Minute des WM-Qualifikationsspiels zwischen Iran und Syrien lief, als der Spieler mit der Nummer 9 auf dem rechten Flügel auf das Tor des Gastgebers Iran zulief. Der Pass kommt an, und der Spieler schiebt dem Torwart den Ball zwischen den Beinen durch.

2:2, Ausgleich: Syrien hat sich in letzter Sekunde auf Platz drei der Qualifikationsgruppe A des Asienverbandes gerettet und darf nun in den Playoffs versuchen, den Traum von der ersten WM-Teilnahme wahr zu machen. Der größte Erfolg des syrischen Fußballs, errungen in Zeiten der größten Krise, während eines schon sechs Jahre andauernden Bürgerkriegs. Doch damit nicht genug: "Wer hat es geschossen? Wer hat es geschossen?", fragte Kommentator Masen al-Hindi immer wieder - um dann seine Version des "ausgerechnet" folgen zu lassen: "Soma! Es musste Soma sein. Es musste Soma sein! Keiner hätte dieses Tor schießen können außer Soma!"

Dieser Satz stimmt schon deshalb, weil dieser Soma unbestreitbar der beste Spieler Syriens ist. Kein Teamkollege hätte den Ball so elegant verarbeitet wie der Stürmer, der in 102 Spielen 105 Tore für den saudi-arabischen Klub al-Ahli Dschidda schoss. Vor allem aber war sein wichtiges Tor eine kitschige Pointe, die erstmals seit langer Zeit dafür sorgte, dass die Menschen in ganz Syrien jubelten - in den vom Regime gehaltenen Landesteilen genauso wie in den Rebellengebieten.

Wenige Stunden vor seinem Tor war es der syrischen Armee gelungen, den Belagerungsring um Somas Heimatstadt Deir ez-Zor zu durchbrechen, die drei Jahre vom IS belagert worden war. Soma dürfte das wie die meisten anderen Syrer frenetisch gefeiert haben, obwohl er sonst nur wenig für Assads Regime übrig hat: 2012 outete er sich als Anhänger der Opposition und feierte mit der grün-weiß-schwarzen Flagge der Rebellen. Danach war Schluss für ihn im Nationalteam - Soma flüchtete, Berichten zufolge stand er 2014 sogar auf den Verhaftungslisten des Geheimdiensts.

Die Risse, die seit der blutigen Niederschlagung der ersten Proteste gegen Syriens Machthaber Baschar al-Assad 2011 durch das Land gingen, spalteten auch das Nationalteam: Firas al-Khatib, der Kapitän der Mannschaft, trat zurück und schwor mit einem Banner der Revolution über den Schulter, nie wieder für sein Heimatland anzutreten, "solange dort Bomben fallen". Khatib stammt aus Homs, der ersten aufständischen Stadt, die Assad mit jener Taktik in die Knie zwang, die er später auch in Aleppo anwandte: gnadenlose Belagerung und Bombardierungen, bis die Bewohner aufgeben. Der Nationalverteidiger Firas al-Ali floh aus einem Trainingslager, nachdem sein 13-jähriger Cousin bei Protesten erschossen wurde. Anstatt weiter mit der Mannschaft in Hotels zu logieren, lebt er in einem Zelt im türkischen Flüchtlingslager.

In den Folterknästen sterben auch Fußballer

Die Krise, die zum Krieg wird, erfasst auch den Fußball in Syrien: Internationale Spiele werden wegen der Sanktionen unmöglich. Weil die Kämpfe immer weitere Teile des Landes ergreifen, bestand die Liga irgendwann nur noch aus Teams aus Damaskus und Latakia - der Küstenstadt im Norden, in der hauptsächlich die Minderheit der Alewiten ansässig ist, der auch der Assad-Clan angehört. Das Regime, die Rebellen und schließlich auch die Terrormiliz Islamischer Staat verwandeln Stadien in Militärstützpunkte oder Gefängnisse.

In den Folterknästen sterben auch Fußballer: Nach Recherchen des aus Aleppo stammenden Sportjournalisten Anas Ammo wurden insgesamt 38 Spieler aus der ersten und zweiten Liga vom Regime erschossen, zu Tode gefoltert oder bei Bombenangriffen getötet. In ihrer Pseudo-Hauptstadt Raqqa köpfen IS-Schergen vier Spieler des Klubs al-Shabab.

Doch während das alte Syrien aufhört zu existieren, eilt der übrig gebliebene Teil der Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation von Erfolg zu Erfolg: spielt Unentschieden gegen Südkorea und Iran, siegt gegen China und Usbekistan - immer fern der Heimat. Weil Länderspiele dort nicht möglich sind, hat das Team Asyl in Malaysia gefunden. Seine Heimspiele trägt es 7500 Kilometer von Syrien entfernt in den Städten Malakka und Paroi aus, oft vor nicht mal einem Dutzend syrischer Fans.

Anfang 2017 versucht der syrische Fußballverband, wieder mit den oppositionellen Spielern in Kontakt zu kommen. Für Assads Propaganda wäre eine WM-Teilnahme im Reich seines Verbündeten Wladimir Putin das größtmögliche Geschenk - um es wahr zu machen, ist der Präsident sogar bereit zu verzeihen. Um Leistungsträgern wie Khatib und Soma die Entscheidung zu erleichtern, wird Trainer Fajer Ebrahim abberufen, der den Präsidenten bei jeder Gelegenheit öffentlich pries, die Spieler müssen auch nicht mehr mit Assad-Porträts posieren. "Jede Nacht, bevor ich einschlafe, denke ich ein, zwei Stunden über die Entscheidung nach", sagt al-Khatib im Februar dem US-Sportsender ESPN. "Egal, wie ich mich entscheide: Zwölf Millionen Syrer werden mich lieben, und zwölf Millionen werden mich töten wollen".

Während Firas al-Ali nie wieder für Assad auflaufen will, sind Firas al-Khatib und Omar al-Soma zurückgekehrt. Im entscheidenden Spiel am Dienstag trug al-Khatib wieder die Kapitänsbinde. Und Iran, der zweite wichtige Verbündete Assads, ließ sich von Omar al-Soma in der 93. Minute der Nachspielzeit das erst zweite Gegentor der Qualifikationsrunde einschenken. Der Jubel in Damaskus kannte keine Grenzen, aber auch aus Oppositions-Hochburgen wurden Feiern gemeldet.

In den Playoffs wird Syrien nun gegen Australien antreten. Sollten sie das Spiel gewinnen, geht es gegen ein Team aus Mittel- oder Nordamerika. Zurzeit stehen dort die USA auf dem entsprechenden Tabellenplatz - unter Obama Assads größter Feind, unter Donald Trump ein Land, das allen Menschen und damit auch Fußballspielern aus Syrien die Einreise verboten hat. Ausgerechnet.

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