Bronze im Wasserspringen:Dreieinhalbfacher Vorwärtssalto ins Glück

Tokio 2020 - Schwimmen

Voller Körperspannung zu Bronze geflogen: Deutschlands Wasserspringerinnen Tina Punzel (r.) und Lena Hentschel.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die Bronzemedaille für die Synchronspringerinnen Tina Punzel und Lena Hentschel erzählt die Geschichte eines Plans, der zu hundert Prozent aufgegangen ist. Die beiden haben aber auch von der Corona-Pause profitiert.

Von Claudio Catuogno, Tokio

Meistens ist es im Sport so, dass selbst die tollsten Pläne nicht aufgehen. Weil es halt immer mehr Pläne als erreichbare Ziele gibt. Wenn man sich zum Beispiel als 17-jährige Wasserspringerin überlegt, dass man für seinen Traum von einer Olympiamedaille zu einem neuen Trainer in eine andere Stadt ziehen könnte, von Berlin nach Dresden, wenn man sich entscheidet, den Freundeskreis und die Familie zurückzulassen, wenn man freiwillig die elfte Klasse wiederholt und das Abitur nach hinten schiebt, und das alles, um mit seiner Synchronpartnerin noch ein bisschen synchroner zu werden - dann heißt das noch lange nicht, dass dieser Plan auch aufgehen muss.

In China ziehen vermutlich täglich junge Menschen von einer Stadt in eine andere, um erfolgreiche Wasserspringer zu werden, von den meisten erfährt die Welt niemals ihre Namen. Und dann sind da ja auch noch die vielen Sprungkünstler in Italien, USA, Kanada, Japan, Großbritannien...

Aber nun bogen am Sonntagnachmittag zwei junge deutsche Frauen im Keller des Tokio Aquatics Centre um die Ecke und stellten sich mit dem vorgeschriebenen Abstand an die Absperrung zu den Reportern. "Tu nicht so klappern", sagte die eine, die inzwischen 20-jährige Lena Hentschel, früher Berlin, jetzt Dresden. "Womit klappere ich denn?", fragte die andere, die 25-jährige Tina Punzel, ihre Partnerin im Synchronspringen vom Drei-Meter-Brett. Und Hentschel entgegnete: "Na, mit deiner Medaille."

Die Gewinnerin der ersten deutschen Tokio-Medaille heißt: Lena Corona Hentschel

Tina Punzel und Lena Hentschel sind es nun also geworden, die in Tokio die erste Medaille für Deutschland gewonnen haben, Bronze im Synchronspringen, hinter China und Kanada. Um 15:49 Uhr Ortszeit war es so weit, eine gute halbe Stunde vor den Bogenschützinnen. Das hätte sich schon deshalb nicht trefflicher fügen können, weil Lena Hentschel mit ihrem zweiten Vornamen, der an eine Träumerei ihres Ururgroßvaters erinnert, ganz wunderbar passt zu diesen pandemischen Spielen von Tokio. Hentschels Vorfahre schwärmte für die Sängerin und Schauspielerin Corona Schröter, geboren 1751 in Guben. Die Gewinnerin der ersten deutschen Tokio-Medaille heißt deshalb mit vollem Namen: Lena Corona Hentschel.

Und nun standen sie da also hinter ihren Masken auf dem Siegerpodest, Hentschel und Punzel, und blickten ins Corona-bedingt leere Aquatics Centre. "Ich hab' rumgeguckt und dachte, okay, wie wäre das jetzt, wenn die ganzen Ränge voll wären", sagte Hentschel später - "aber es war ja nicht ganz leer!" Das deutsche Sprungteam jubelte auf der Tribüne, vollzählig versammelt. Und dann hängte Punzel Hentschel die eine Medaille um den Hals und Hentschel Punzel die andere, weil das in Tokio, ebenfalls Corona-bedingt, nicht die Funktionäre machen dürfen. Die liefern das Edelmetall bloß an. In diesem Fall war das sogar noch schöner, fanden Punzel und Hentschel - sich gegenseitig zu belohnen für alles, was man miteinander durchlebt und durchlitten hat.

Die Geschichte dieser Bronzemedaille erzählt von der Kraft einer in Deutschland florierenden Nischensportart - wie auch schon die Wahl des Springers Patrick Hausding zum Fahnenträger bei der Eröffnungsfeier. Aber vor allem ist es die Geschichte eines Plans, der zu hundert Prozent aufgegangen ist.

Der Cheftrainer Lutz Buschkow war es, der Hentschel 2019 den Vorschlag machte, sich in Dresden der Trainingsgruppe von Boris Rozenberg anzuschließen. Irgendwann stellt sich diese Frage im Synchronspringen, wo man jedes Detail der komplizierten Bewegungen aufeinander abstimmen muss, Sprung für Sprung für Sprung. Ist Hentschel die Entscheidung damals schwergefallen, mit 17? "Ich hatte Lust drauf", sagte sie nun und lachte - aber so eine Bronzemedaille um den Hals strahlt manchmal vielleicht bis hinein in die Erinnerungen.

Gelohnt hat sich der Schritt nach Dresden definitiv, und in diesem Fall hatte Corona auch mal was Gutes: "Die Corona-Pause war zwar nicht schön", sagte Punzel, "aber für uns war sie gut. Wir sind noch synchroner geworden, auch stabiler in unseren Sprüngen. Wir hatten noch ein Jahr mehr Zeit, zusammenzuwachsen." Im Mai 2021 wurden sie dann zusammen Europameisterinnen, das war schon mal ein guter Anfang.

China gewinnt, wie immer in diesem Sport, vor Kanada

Und so gingen sie nun also selbstbewusst in ihren bisher wichtigsten Wettkampftag: "Na, gut geschlafen?" - "Ja. Du?" - "Ja. Gut. Los!" Zunächst zwei Pflichtsprünge, Delfin-Kopfsprung gehechtet, Rückwärts-Kopfsprung gehechtet, danach waren Punzel/Hentschel Fünfte. Dann die Kürsprünge, zweieinhalbfacher Vorwärtssalto mit Schraube, zweieinhalbfacher Auerbach - das ist häufig der Sprung, an dem sich für die beiden der Wettkampf entscheidet. Der Auerbach, Absprung vorwärts, Drehung rückwärts, kann klappen oder nicht. Dann noch der dreieinhalbfache Vorwärtssalto. Sie schauten sie sich an und sagten: Eigentlich ist nicht viel schiefgelaufen.

China führte, wie China immer führt in diesem Sport, diesmal: Shi Tingmao und Wang Han. Die Kanadierinnen Jennifer Abel und Melissa Citrini Beaulieu waren Zweite. Die Italienerinnen waren noch an der Reihe, mit einem schwierigen Sprung, der, wenn alles gutgeht, viele Punkte bringt. Aber Tina Punzel wusste: "Die können den nicht so stabil. Und dann haben wir's bei denen spritzen sehen." Spritzen ist im Wasserspringen nie ein gutes Zeichen.

"Ich hab' dann auf die Anzeigetafel geguckt, weil Tina kann die leider nicht sehen...", erzählte Lena Hentschel, die Worte sprudelten nun aus ihr heraus, "und da stand: Italien, vorher Platz drei, jetzt Platz sieben. Da dachte ich: Na dann müssen wir wohl Dritte sein." Tina Punzel, auch so eine Geschichte am Rande, ist kurzsichtig, wenn sie wissen will, was auf der Anzeigetafel steht, fragt sie immer Hentschel. "Ich hab' mir die Augen lasern lassen", sagte Hentschel. "Hat sich gelohnt", sagte Punzel. Und so war es: Man muss eine Bronzemedaille ja nicht nur gewinnen, man muss auch erkennen, dass man sie gewonnen hat, und auch in dieser Kunst sind Tina Punzel und Lena Corona Hentschel ein Paar, das sich aufs Wunderbarste ergänzt.

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