Aber hier und da, in den weniger ausgeleuchteten Szenen, deutete sich an, dass sich ohne Neuer die Statik im Bayern-Spiel ein kleines, kleines bisschen verschieben könnte. Da war zum einen eine Szene aus der Anfangsphase: Von rechts schwirrte eine Flanke in den Strafraum, Ulreich wollte zugreifen, ließ den Ball aber fallen, was das Schalker Publikum stattlich amüsierte. Nichts Großes, nichts war passiert. Aber hätte Manuel Neuer...? Auch was seine Qualitäten als Aufbauspieler angeht, ist Ulreich womöglich, vielleicht, eventuell nicht ganz so gut wie Neuer.
Das räumte er selbst ein. Es sei bei seiner Ankunft "ungewohnt gewesen, wenn man von einer Mannschaft kommt, wo lange Bälle gefordert werden", sagte Ulreich, bis 2015 im Dienst des VfB Stuttgart, über die in München geforderten Fertigkeiten am Ball. Im Spiel mit dem Fuß habe er sich verbessert, das schon. Aber hätte Manuel Neuer in der ersten Halbzeit wirklich diesen einen Pass Richtung Tribüne gespielt?
Es spricht für Ulreich, dass diese kleineren Wackler am Dienstag im allgemeinen Jubel über seine Paraden untergingen; und es spricht für seine Mitspieler, dass sie den Ersatztorwart nicht mit Erwartungen überfrachten. Sie wissen: Ändern können sie die Situation ohnehin nicht. Und wenn man sich einen Ersatztorwart wünschen könnte, einen, der schon hinreichend gut, zugleich aber gewillt ist, sehr viel Zeit auf der Bank zu verbringen - brächte dieser Torwart nicht genau die Qualitäten von Sven Ulreich mit?
Es gehört zu den fast schon ironischen Pointen in Ulreichs Karriere, dass er jetzt plötzlich monatelang im Tor steht, dass er derjenige sein wird, der sich in der kommenden Woche letztinstanzlich gegen Paris den Neymars, Cavanis und Mbappés dieser Welt entgegenstellen muss. Im Sommer hatte er noch über einen Fortgang aus München nachgedacht, er litt unter dem typischen Ersatztorhüterproblem, dass Rotation im Tor eher zu den Ausnahmen gehört; dass man die meisten Samstage und Dienstage mit Zuschauen verbringt. "Wir haben uns dann aber entschieden, dass wir erstmal zusammenbleiben", sagte Ulreich nun. Er freue sich jedenfalls auf seine Chance, und er wisse, "dass auch nicht so gute Spiele kommen werden". Einerseits. Andererseits sagte er: "Ich weiß, was ich kann, ich weiß, dass ich Manu gut vertreten kann."