SV Werder Bremen:Sechs-Punkte-Gelassenheit

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Ich war‘s! Bremens Torschütze Leonardo Bittencourt hebt stolz den Finger, die Mitspieler eilen zur Gratulation hinzu. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Die Bremer gehen recht entspannt in den Transfer-Endspurt.

Von Ralf Wiegand, Bremen

So laut war es das ganze Spiel über im Weserstadion nicht gewesen. Frank Baumann stand für das späte Briefing lange nach Schlusspfiff der Partie des SV Werder Bremen gegen Arminia Bielefeld (1:0) zu Füßen der Haupttribüne. Hinter ihm versank der Rasen im Halbdunkel der teilerloschenen Flutlichter, die Tribünen lagen in pandemischer Leere, und wer doch ins Stadion hatte kommen dürfen, war längst wieder auf dem Heimweg, sofern er nicht, wie Baumann, Sportchef des SV Werder war oder irgendwas mit Medien machte. Es hätte ganz muckelig sein können, hätten nicht drei Rasenpfleger gerade jetzt die Stadtmeisterschaft der Motormäher unter sich ausgeknattert.

Aber so ist das auch in diesen irren Zeiten, an denen man mittwochs noch nicht weiß, ob am Samstag 300, 3000, 8500 oder gar keine Zuschauer im Stadion Einlass finden werden - das Drumherum geht weiter wie immer. Rasen will gemäht, Spiele wollen gespielt, Transfers gemacht werden. Also sagte Frank Baumann mit seinem sibyllinischen Frank-Baumann-Lächeln in das 1,5-PS-Gedröhne hinein unter anderem diesen schönen Satz: "Überraschungen sind überraschend, deswegen sind es ja Überraschungen." Gefragt worden war er, ob statt der wechselwilligen Spieler Davy Klaassen und Milot Rashica überraschenderweise vielleicht noch ein ganz anderer den Verein verlassen könnte.

Baumann hat die Gabe, sich nie vom Lärm um ihn herum beeindrucken zu lassen, egal, ob er von Rasenmähern kommt oder von Fans, die dem Defätismus frönen: Wenn Rashica doch einen Klub findet, der 20 Millionen Euro gegen ihn tauschen möchte, wenn nun die Not von Ajax Amsterdam im Mittelfeld die Zwölf-Millionen-Grenze übersteigt, weshalb man Landsmann Klaassen nach Hause holt, wenn dazu in Bremen kein Ersatz gefunden wird - dann war's das aber echt für Werder.

Die Tabelle spricht seit dem glücklichen 1:0 gegen Aufsteiger Bielefeld eine andere Sprache. Sie führt Werder im oberen Drittel, weit weg von jenem Relegationsrang, der zuletzt den Klassenerhalt gebracht hat. "Wir müssen uns Selbstvertrauen neu erarbeiten", sagt Trainer Florian Kohfeldt dennoch, er kennt die Defizite seiner Elf. Man sei dabei, etwas aufzubauen; die Spieler sprechen davon, man "lerne". Diese Lesart ist überraschend angesichts der Erfahrung, die im Kader steckt. In der Startelf ist allein Jean-Manuel Mbom ein Bundesliga-Anfänger, alle anderen Spieler gehören mindestens schon eine Saison, die meisten viel länger, zur Belegschaft.

Von denen, die entweder neu oder als Ausleihe-Rückkehrer an die Weser gekommen sind, ist nur Außenstürmer Tahith Chong nah an der Mannschaft. Der Ex-Nürnberger Patrick Erras etwa steht nicht einmal im Kader, obwohl er für die Baustelle in der Spiel-Zentrale geholt wurde. Da ist die Gewissheit, den eifrigen Mittelfeldrenner Klaassen zu verlieren, betrüblich.

Das alles aber ficht Frank Baumann nicht an, er sieht mehr Breite, "mehr Konkurrenzkampf" im Kader, nur deswegen täten sich die Neuen so schwer. Viele Verletzte kehrten zurück, es gebe dadurch "interne Neuzugänge". Von daher müsse auch diese Elf, obwohl sie sich schon lange kennt, Automatismen eben doch erst wieder lernen. Dennoch werde Ersatz für Klaassen kommen - dessen Wechsel fast fix ist: Sportchef Baumann bestätigte am Sonntag, dass nur noch "die letzten Details und Formalitäten" geklärt würden.

Den Bedarf hat das Spiel gegen die wackere Arminia definiert, das jenseits des feinen Siegtreffers durch Leonardo Bittencourt wenig Fußball bot. Werder fehlen Führung auf dem Platz und die Souveränität, trotz spürbarer Überlegenheit sichtbare Dominanz zu schaffen. So durften die Bielefelder später zu Recht klagen, unglücklich zum ersten Mal 2020 ein Punktspiel verloren zu haben. Schiedsrichter Robert Schröder hatte in der Nachspielzeit Foul gepfiffen, als Mike van der Hoorn den Ball mit dem gestreckten Bein voraus ins Tor bugsiert hatte. "Er trifft den Ball zuerst, das ist keine 100-prozentig klare Situation", sagte Arminia-Trainer Uwe Neuhaus, damit aber wohl auch keine grobe Fehlentscheidung. Der Videoassistenten hätte eh nur einschreiten dürfen, wenn die Szene zunächst nicht abgepfiffen worden wäre.

So konnte Frank Baumann später mit einer Sechs-Punkte-Gelassenheit all die skeptischen Fragen nach der Zukunft parieren. Er werde jetzt nicht "sorgenbepackt durch die Gegend laufen", versprach er - egal, wie überraschend die Überraschungen im Transfer-Finale auch ausfallen sollten.

© SZ vom 05.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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