Süddeutsche Zeitung

SV Darmstadt 98:Frings tritt an zur Wurzelbehandlung

  • Der Tabellenletzte der Bundesliga stellt seinen neuen Trainer Torsten Frings vor.
  • Der 40-Jährige will den SV Darmstadt wieder zu einem wehrhaften Team formen.
  • Gelänge Frings tatsächlich noch der Klassenerhalt, würden Fußballromantiker wohl von einem Märchen sprechen.

Von Tobias Schächter, Darmstadt

Das erste Profispiel von Torsten Frings war ein trostloses Nullzunull am 8. Oktober 1994 auf dem alten Tivoli für Alemannia Aachen - in der Regionalliga. In der 58. Minute wechselte Trainer Gerd vom Bruch den 17 Jahre jungen Frings gegen den SC Hauenstein ein - als Mittelstürmer für Altstar Angelo Nijskens. Frings damaliger Gegenspieler Ulrich Harde, später selbst bei der Alemannia aktiv und heute Latein-Lehrer in westpfälzischen Dahn, erinnert sich 22 Jahre später noch genau: "Gegen Frings war es schon damals ziemlich unangenehm zu spielen, der konnte im positiven Sinne austeilen und einstecken."

Irgendwie passt diese Beschreibung für das ganze Fußballerleben von Torsten Frings: Seine Kampfkraft und sein Erfolgswille wurden vor allem in Bremen und in der deutschen Nationalmannschaft (78 Einsätze) geschätzt und von Gegnern gefürchtet. Und irgendwie passt es, dass Frings seine Trainerkarriere nun ausgerechnet beim SV Darmstadt 98 beginnt, wo alles noch immer nach Regionalliga riecht, schmeckt und aussieht. Bei den Lilien hatten sie ja das Wort "eklig" als Synonym für Wehrhaftigkeit eingeführt - bei ihrem sagenhaften Aufstieg von der dritten in die erste Liga unter Trainer Dirk Schuster.

Das Pressekabuff im Bauch des "Bölle"-Stadions quoll nun über, als Frings am Donnerstag erstmals auf dem gefährlich engen Podium als Lilien-Cheftrainer Platz nahm. Über eine halbe Stunde lang gab der früher maulfaule Frings mal offen Auskunft ("Ganz ehrlich: So eine Chance bekommt nicht jeder unerfahrene Trainer"), mal humorvoll ("Wir werden nicht nur grätschen im Training"), mal pathetisch ("Wenn jeder sein Herz auf den Platz schmeißt, werden wir es schaffen). Sein vorrangiges Ziel formulierte er so: "Wir wollen wieder eine unangenehme Mannschaft werden." Frings und Darmstadt, so der Eindruck, kehren zusammen zurück zu ihren Wurzeln, um erfolgreich zu sein.

Dabei gibt es für einen Newcomer leichtere Aufgaben als einen Tabellenletzten, der acht Mal hintereinander verloren hat, vor dem Abstieg zu bewahren. Beide Parteien gehen mit der Zusammenarbeit - ligaunabhängig bis Juni 2018 - ein gewisses Wagnis ein, das beide naturgemäß aber als Chance begreifen. Außer berufsbedingten Optimisten glaubt kaum jemand in Fußballdeutschland an den Klassenerhalt der Darmstädter.

Und niemand vermag seriös zu sagen, was den Trainer Frings auszeichnet. Bisher hat der 40-Jährige zweieinhalb Jahre als Assistent von Viktor Skripnik in Bremen gearbeitet, das Duo wurde Anfang der Saison entlassen.

Gelänge Frings die Rettung, würden Fußballromantiker wohl von einem Märchen sprechen. Dabei ist die Fassade der Fußballromantik, die sie in Darmstadt gerne kultivieren, bereits im Sommer eingestürzt. Erfolgstrainer Schuster sah die Grenzen des Standorts erreicht und ging nach Augsburg, wo er jüngst entlassen wurde. 98-Präsident Rüdiger Fritsch reagierte verärgert ("Jedes Märchenbuch geht mal zu Ende"), Darmstadt installierte in Holger Fach einen Sportdirektor und in Norbert Meier einen neuen Trainer. Beide sind mittlerweile entlassen, sie wirkten im familiären Underdog-Milieu bei 98 fremd.

Frings muss sich mit den Darmstädter Gegebenheiten zurechtfinden. Dazu gehören Budget- und Infrastruktur-Nachteile, aber auch die mächtige Stellung altgedienter Aufstiegshelden wie Kapitän und Abwehrchef Aytac Sulu. Gegen diese Veteranen hatte Trainer Meier einen Kulturkampf verloren, er wollte mehr Fußball spielen lassen. Sulu sagte jüngst: "Wir werden die Punkte nicht mit Schönspielerei holen, sondern mit Kampf, Leidenschaft und Zusammenhalt." Das sind Tugenden, die auch Frings als entscheidend ansieht.

Er telefonierte bereits mit einigen Profis, und der Tenor aus den "sehr ehrlichen Gesprächen" motivierte ihn: "Es hat mich glücklich gemacht, dass alle heiß darauf sind, es besser machen zu wollen", erzählte er. Frings glaubt, wenn die alte Stabilität in der Defensive zurückkomme, sei auch die Qualität vorne wieder da. Wobei die Elf noch immer unter dem Weggang von Torjäger Sandro Wagner (Hoffenheim) leidet, unter Interimscoach Ramon Berndroth fiel zuletzt kein Tor. Frings sagt, er habe immer Toptrainer gehabt, er selbst wolle nah an der Mannschaft sein und einer, mit dem die Spieler flachsen können: "Ich möchte auch mal einen Flachs kassieren. Wenn die Spieler merken, dass ein Trainer ihnen vertraut, gehen sie für ihn durchs Feuer."

Einen Sportdirektor neben Frings wird es nicht mehr geben. Torwarttrainer Dimo Wache bleibt, ein weiterer Co-Trainer kommt, Berndroth arbeitet wieder als Chef des Nachwuchsleistungszentrums. Präsident Fritsch sagte, man habe bewusst keinen Retter geholt, sondern einen, der den Klub weiter mitentwickelt. "Und genau darauf", sagt Torsten Frings, der nicht mehr länger bei seinem ungeliebten Spitznamen "Lutscher" gerufen werden will, "habe ich total Bock."

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SZ vom 30.12.2016
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