Am Donnerstagfrüh, um sieben Uhr, kam Sepp Blatter in sein Büro auf dem Zürichberg. Das haben zumindest seine PR-Berater erzählt. Früh morgens antreten, im Andachtsraum vielleicht noch ein "Großer Gott, wir loben dich" singen und dann den lieben langen Tag über den Weltfußball regieren: So hat der Schweizer das gern gehalten, seit er 1998 an die Spitze der Fifa gerückt ist. Aber dieser Tag ist Blatters vorerst letzter gewesen im Chefbüro des Weltverbandes.
Am Donnerstagmittag verschickte die Ethikkommission des Verbandes eine Mitteilung von sporthistorischer Dimension: Fifa-Boss Sepp Blatter sowie Michel Platini, Präsident von Europas Fußballunion (Uefa) und größter Favorit auf Blatters Nachfolge, sind für jeweils 90 Tage für sämtliche Fußball-Aktivitäten gesperrt. Allerdings teilte das Uefa-Exekutivkomitee am Abend mit, dass es weiterhin hinter Platini stehe. Der Franzose legt Einspruch gegen die Sanktion ein und möchte weiter die Amtsgeschäfte führen. Neben Blatter und Platini bannte die Ethikkommission den intern schon suspendierten Generalsekretär Jérôme Valcke ebenfalls für 90 Tage. Der langjährige Fifa-Vorstand Chung Mong-Joon aus Südkorea, der auch eine Kandidatur fürs Präsidentenamt anpeilte, wurde für sechs Jahre gesperrt.
Zig Affären hatte Sepp Blatter, 79, im Amt unbeschadet überstanden. Seit Mai haben ihm aber die Ermittlungen von amerikanischen und Schweizer Behörden rund um den Weltverband zugesetzt. Die Einschläge rückten sukzessive näher. Vor zwei Wochen eröffnete die Bundesanwaltschaft in Bern ein Strafverfahren gegen Blatter wegen "ungetreuer Geschäftsbesorgung sowie - eventualiter - wegen Veruntreuung". Ein maßgeblicher Punkt dabei ist eine Zahlung von zwei Millionen Schweizer Franken, die Blatter im Februar 2011 für seinen langjährigen Zögling und heutigen Widersacher Platini anweisen ließ.
Eine plausible Erklärung lieferten die beiden bis heute nicht. Sie verweisen auf eine Beratertätigkeit Platinis für die Fifa in den Jahren 1998 bis 2002; die Überweisung sei die abschließende Rate dafür gewesen. Dass er das Geld neun Jahre lang nicht einforderte, erklärt Platini wenig glaubhaft mit Verweis auf angebliche damalige Finanznöte der Fifa. Die Schweizer Behörden gehen jedenfalls von einer "treuwidrigen Zahlung" aus. Daher konnte die Ethikkommission des Verbandes nun kaum noch anders reagieren als mit Sperren. Die US-Justizbehörden führen Fifa-Ermittlungen auch auf Basis ihres "Rico"-Gesetzes: Das stuft zu untersuchende Organisationen als Mafia-ähnlich ein. Wer da nach Kräften mitmischt, riskiert im Zweifel selbst etwas.
Formal übernimmt bei der Fifa nun Blatters erster Stellvertreter Issa Hayatou das Präsidentenamt. Der Kameruner, 2001 Blatters Herausforderer und seit Langem schwer krank, war selbst in diverse Affären verwickelt. Er zählte zu den Sportfunktionären, die vom früheren Sportrechtevermarkter ISL Schmiergeld erhielten; vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) gab es dafür noch unter Leitung des Belgiers Jacques Rogge eine Rüge. Bei der Fifa passierte ihm nichts. Zudem steht Hayatou im Verdacht, einer der afrikanischen Wahlmänner gewesen zu sein, die für ein Votum bei der WM-Vergabe 2022 an Katar Geld kassiert haben sollen; er streitet das ab.
Blatter macht jetzt erst einmal Urlaub
Für Blatter ist das Kapitel Fifa mit dem Verdikt der Ethikkommission noch nicht erledigt - trotz aller Rücktrittsforderungen, die es gab. Blatter mache jetzt halt 90 Tage Urlaub, tat sein PR-Berater Klaus Stöhlker jovial kund, dann käme er wieder zurück. Das zeigt, welche Wahrnehmung der Schweizer hat: Offenbar denkt er wirklich noch immer nicht daran abzutreten. Er hat nun zwei Tage Zeit, Berufung einzulegen, wird darauf aber wahrscheinlich verzichten. Zudem deutet manches darauf hin, dass seine Lobbyisten den Plan verfolgen, den Ethikern Unregelmäßigkeiten bei ihrem Vorgehen zu unterstellen.