Süddeutsche Zeitung

Suspendierter Footballer Ray Rice:Hektik in der Macho-Welt

Lesezeit: 3 min

Nach einer Gewalt-Attacke gegen seine Verlobte wird Football-Profi Ray Rice von seinem Klub entlassen und gesperrt. Dabei war der Vorfall längst bekannt. Die Nachlässigkeit der Verantwortlichen führt dazu, dass Amerika jetzt über häusliche Gewalt diskutiert.

Von Joachim Mölter, München

Das Video dauert drei Minuten und 34 Sekunden, aber das Entscheidende ist schon nach 34 Sekunden vorbei. Man sieht eine Frau und einen Mann in einen Aufzug gehen, die Tür schließt, es gibt einen Schnitt ins Innere der Kabine, die beiden geraten aneinander, ein kurzes Handgemenge, der Mann schlägt der Frau die linke Faust ins Gesicht, die Frau geht bewusstlos zu Boden. In den restlichen drei Minuten ist zu sehen, wie die Tür sich wieder öffnet, der Mann versucht, die Frau aus dem Aufzug zu zerren, wie Leute dazukommen, die Frau allmählich wieder zu sich kommt.

Das Ganze hat sich am 15. Februar diesen Jahres ereignet, die Aufnahme stammt von Überwachungskameras eines Spielcasinos in Atlantic City. Das auf Skandale spezialisierte amerikanische Internet-Portal tmz.com hat das Video am Montag online gestellt und damit wieder einmal für Aufregung in der amerikanischen Sportszene gesorgt.

Denn bei dem Paar handelt es sich um den American-Football-Profi Ray Rice, 27, und seine damalige Verlobte Janay Palmer, 26. Wenige Stunden nach der Veröffentlichung wurde Rice von seinem Klub, den Baltimore Ravens, kommentar- und fristlos entlassen und von der Profiliga NFL auf unbestimmte Zeit gesperrt.

Der Fall Ray Rice hat die sportlichen Ereignisse am ersten Spieltag der neuen Saison in den Hintergrund verdrängt. Dabei trifft die einhellige Empörung der Öffentlichkeit nicht den Sportler allein, sondern auch dessen Klub sowie die Führungsspitze der National Football League (NFL), insbesondere deren Geschäftsführer Roger Goodell, 55. Ihnen wird Untätigkeit, Verharmlosung und Verschleppung vorgeworfen.

Denn der Zwischenfall, auf den sie am Montag so hektisch reagiert haben, war ja nicht unbekannt: tmz.com hatte bereits vor einem halben Jahr ein Video davon veröffentlicht, allerdings eins, das bloß die Kameraperspektive aus dem Flur zeigt - auf dem man also nur sieht, wie Rice seine Verlobte aus dem Aufzug zieht.

In der Macho-Welt der NFL gilt häusliche Gewalt offenbar nur als Kavaliersdelikt

Die örtliche Polizei hatte das Paar damals vorübergehend festgenommen, der Vorwurf lautete "tätlicher Angriff in einem minderschweren Fall und häusliche Gewalt". Auch gegen Janay Palmer gab es ein Verfahren, es wurde eingestellt. Die Anklage gegen Ray Rice ist ausgesetzt mit der Vorgabe, dass er sich einem einjährigen Hilfs- und Therapieprogramm unterzieht; im US-Bundesstaat New Jersey können Ersttäter damit eine juristische Strafe umgehen. Die Ermittler gingen zudem wohl zu Recht davon aus, dass Palmer nicht gegen Rice aussagen würde: Die beiden haben im März geheiratet, sie hätte die Aussage vor Gericht verweigern können.

Klub und Liga hatten die ganze Zeit versucht, den Fall herunterzuspielen. Die Ravens stärkten ihrem Ballträger demonstrativ den Rücken, schließlich war er einer der Leistungsträger in der Meistermannschaft von 2013. Im Mai gaben sie Ray Rice in ihrem Hauptquartier sogar die Möglichkeit, bei einer Pressekonferenz seine Sicht des Streits zu schildern. Dabei gab er sich reumütig: "Ich und Janay wünschten, wir könnten diese 30 Sekunden unseres Lebens ungeschehen machen." Seine frisch angetraute Ehefrau stand ihm zur Seite mit den Worten: "Ich bedauere zutiefst die Rolle, die ich in der Nacht dieses Zwischenfalls gespielt habe."

Dass die Ravens diesen Satz über den Twitter-Account des Klubs verbreiteten, nehmen die Kritiker der NFL nun als Beleg für die Einstellung in der Macho-Welt des Footballs: als Bagatellisierung der Gewalt, die in diesem Sport herrscht, auf dem Spielfeld und abseits davon auch. Viele NFL-Profis kommen ja immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt: durch Drogendelikte, mit unerlaubtem Waffenbesitz, sogar durch die Verwicklung in Mordfälle. Häusliche Gewalt gilt da offenbar als Kavaliersdelikt.

Die mangelnde Sensibilisierung dafür ist jedenfalls der Hauptvorwurf, mit dem nun der Rücktritt von NFL-Chef Goodell gefordert wird. Der hatte ja erst Ende Juli eine Strafe gegen Rice verhängt - zwei Spiele Sperre. Weil die vielen als zu gering erschien, setzte ein Proteststurm ein, angesichts dessen Goodell Ende August eine Verschärfung des Strafenkatalogs ankündigte: mindestens sechs Spiele Sperre (samt dazugehörigen Gehaltseinbußen) beim ersten Vergehen. Dass er jetzt so rigoros durchgegriffen und Ray Rice auf unbestimmte Zeit gesperrt hat, besänftigt seine Kritiker nicht.

Ein NFL-Sprecher dementierte zwar, dass die Liga das Video aus dem Aufzugs-Inneren vor diesem Montag gesehen habe. Aber das glauben Szenekenner nicht. Nach ihren Erfahrungen wird die sehr auf ihr Image bedachte NFL nur dann aktiv, wenn etwas an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Anstatt die Probleme zu bekämpfen, sorge Roger Goodell dafür, dass sie verschwiegen und verharmlost werden.

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Quelle:
SZ vom 10.09.2014
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