Big-Wave-Surfen:Eine Frau bezwingt das größte Monster

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Maya Gabeira stellt mit ihrer Fahrt durch eine 22,4 Meter hohe Welle einen Weltrekord für Surferinnen auf und hängt in dieser Saison auch jeden Mann ab. Dabei hätte einer der Riesenbrecher sie einst fast das Leben gekostet.

Von Anna Dreher, München/Nazaré

Der Moment, als sie das Seil losgelassen hatte, fühlte sich gut an, sagte Maya Gabeira später. So gut, dass sie dachte: Diese Welle könnte eine besondere sein, vielleicht sogar diese eine, auf die sie schon seit langem wartet. Der Jetski, der sie auf die Welle gezogen hatte, verschwand hinter dem Kamm. Für Gabeira ging es bergab. Sie wählte eine mutige Linie für die holprige und schnelle Fahrt, die ihr nun bevorstand, diagonal über die Wassermassen hinunter. Ihr Surfbrett machte immer wieder kleine Sprünge, wie auf einer Buckelpiste im Schnee. Die brasilianische Big-Wave-Surferin hielt voller Adrenalin die Balance. Und dann hörte sie dieses irre laute Rauschen der Welle, so groß wie ein mehrstöckiges Haus, die über ihr zerbrach und sie kurz danach in tosende Gischt hüllte, bevor Gabeira aus dem Verborgenen auftauchte und wieder eingesammelt wurde.

"Der Lärm der Welle, als sie gebrochen ist, machte mir klar, dass das wahrscheinlich die größte gewesen ist, die ich jemals geritten bin", sagte Gabeira auf worldsurfleague.com über den 11. Februar im wilden Meer vor dem portugiesischen Küstenort Nazaré. Seit Donnerstag steht fest: Es war nicht nur ihre, sondern überhaupt die größte je von einer Frau gesurften Welle, die gemessen wurde - 22,4 Meter hoch. Gabeira hat an diesem Tag mit ihrem Ritt einen neuen Weltrekord aufgestellt. 2018 war ihr das bereits mit einer 20,7 Meter hohen Welle gelungen. "Ich war mutiger, als ich es sonst bin. Ich habe mehr riskiert als normalerweise", sagte sie. "Diese Welle war etwas ganz Besonderes, aber auch ziemlich erschreckend."

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Ihr Weltrekord wurde im Rahmen der wichtigsten Auszeichnung des Big-Wave-Surfens ermittelt, den Big Wave Awards. Anhand von Foto- und Videomaterial wird die Größe der Welle unter anderem in Referenz zum abgebildeten Menschen gemessen. Bei den von der World Surf League (WSL) vergebenen Preisen werden in verschiedenen Kategorien jeweils Frauen und Männer ausgezeichnet. Die Entscheidung um den Weltrekord war eng, sogar ein Team aus Wissenschaftlern wurde letztlich hinzugezogen. Denn am 11. Februar 2020 hat auch Justine Dupont, 29, eine Welle bezwungen, die nach den Messungen kaum einen Meter kleiner war als jene von Gabeira. Die Französin wurde für den Ritt und die beste Performance, die Brasilianerin für die größte Welle des Jahres ausgezeichnet.

Maya Gabeira (Mitte) bei einer Pressekonferenz in Nazaré 2015. (Foto: imago sportfotodienst; imago/imago/GlobalImagens)

Für Gabeira, 33, ist ihre neue Bestmarke aber nicht nur an sich etwas Besonderes. Sie hat an diesem Tag zudem eine Welle bezwungen, die größer war als die größte in dieser Saison von einem Mann gesurfte. Diese wurde dem Hawaiianer Kai Lenny, 27, zugesprochen und auf 21,3 Meter bemessen. "Das bedeutet, dass eine Frau tatsächlich die größte Welle des Jahres geritten ist", sagte sie, wobei man wissen muss, dass "Jahr" hier die Surf-Saison von Herbst bis Frühjahr meint. "Davon habe ich seit Jahren geträumt, aber nicht geglaubt, dass es möglich sein könnte", sagte Gabeira. "Nun zu sehen, dass genau das passiert ist, ist unglaublich." Sie arbeitet mit dem Big-Wave-Surfer Sebastian Steudtner aus Nürnberg zusammen, der sie im Februar mit dem Jetski auch auf die Rekordwelle gezogen hat. "Maya hat das Big-Wave-Surfen für Frauen und Männer damit aufs nächste Level gehoben", sagte Steudtner der SZ. "Sie hat sich extrem gepusht, alles gegeben und alle Vorstellungen übertroffen."

Gabeira hat sich damit endgültig durchgesetzt in einer stark von Männern dominierten Extremsportart, zu deren Besten sie seit Jahren gehört. Big Wave ist eine extreme Art des Surfens, die viel mit dem Warten und der präzisen Vorbereitung von Körper und Ausrüstung auf einen Tag verbunden ist, von dem man nie so genau weiß, wann er überhaupt kommt. Wellen von 20 bis 30 Metern gibt es nicht an vielen Orten auf der Welt. Bekannt dafür sind Küstenabschnitte vor Portugal, Irland und Hawaii. Und auch dort treten diese Wellen nur bei bestimmten Wetterbedingungen auf.

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Interview von Anna Dreher

Nazaré stellt dabei eine besondere Herausforderung dar. Hier ist das Kontinentalschelf durch eine tiefe Schlucht gespalten, die weit ins Meer reicht, weshalb sich die Wellen auf eine ganz eigene Weise gigantisch auftürmen und mit etwa 70 km/h der Küste entgegen preschen. Der malerische Fischerort mit dem ikonischen roten Leuchtturm ist zum Mekka der Big-Wave-Surfer geworden. Und als eine der wenigen Surferinnen der Szene wagt sich Gabeira auch in die Monster von Nazaré. Wie gefährlich dieser Sport hier jedoch ist, hat die Frau aus Rio de Janeiro selbst bereits erfahren.

Im November 2013 konnte sie die Balance auf einer der Riesenwellen nicht halten. Als ihr Surfbrett einen Schlag abbekam, brach Gabeira sich den Knöchel, stürzte und wurde von den Wassermassen begraben. Und weil diese Wellen meist in einem kurz aufeinanderfolgenden Set von mehreren kommen, ist es noch schwieriger als ohnehin, sich daraus zu befreien. Nicht nur werden Surfer unter Wasser wild hin und her geschleudert und können sich kaum aus dem starken Sog befreien - wenn sie es geschafft haben, kommt von oben direkt die nächste Lawine. Gabeiras Schwimmweste ging kaputt, sie verlor das Bewusstsein und konnte gerade noch so von dem Brasilianer Carlos Burle gerettet werden, der sie mit einem Jetski an Land brachte. Dort wurde sie wiederbelebt. "Ich war praktisch tot", sagte sie später dem Spiegel.

Für manch bekannten Surfer war das der Beweis: Diese extremen Bedingungen sind nichts für Frauen. Aber Maya Gabeira hat sich zurückgekämpft und sich zwei Jahre nach ihrem Unfall wieder in die Wellen von Nazaré gewagt. Sie hatte Angst, das schon, sagte sie damals. Aber eben auch das Gefühl, zurückkommen zu müssen, um weiter ihrer großen Leidenschaft nachzugehen und irgendwie auch, um zu zeigen: Sie kann es eben doch.

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