Deutsche Meisterschaft im Surfen:„Die Surftown ist der Game-Changer in Sachen Leistungsstruktur“

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Spektakel im Wavepool: Drei Tage lang wurde im Airport Business Park so manche steile Welle geritten. (Foto: Johannes Simon)

Camilla Kemp und Leon Glatzer holen die nationalen Titel. Die hohe Wellenfrequenz in der künstlichen Anlage in Hallbergmoos zahlt sich für die hier trainierenden Athleten aus – und gibt dem deutschen Surfen eine ganz neue Perspektive.

Von Thomas Becker

Das Wasser hat 13, die Luft zwölf Grad. Kein Wunder, dass am Wochenende der beliebteste Ort in der Surftown MUC der unter einer der sechs Outdoor-Duschen war. Ein warmer Wasserstrahl, die einzige Möglichkeit für die Surfer, sich zwischen den Läufen kurz aufzuwärmen, bevor es wieder in die Welle geht. Und damit Willkommen bei einer Weltpremiere: den ersten nationalen Wellenreit-Meisterschaften in den künstlichen Wasserbergen eines Wavepools. 

28 Jahre lang waren die deutschen Meisterschaften in Seignosse an der französischen Atlantikküste ausgetragen worden, nun also im Airport Business Park von Hallbergmoos, wo statt Möwen die Flugzeuge fast in Rufweite vorbeisegeln. Überraschungen gab es aus sportlicher Hinsicht nicht: Bei den Frauen setzte sich die in Portugal lebende Olympia-Teilnehmerin Camilla Kemp klar durch, bei den Männern im Duell der Olympioniken der 2021-Teilnehmer Leon Glatzer knapp gegen Tim Elter, der im August vor Tahiti die deutschen Farben vertreten hatte. Dieses auch für Laien sehenswerte Duell bot einen Vorgeschmack auf das, was die Surf-Elite bei den nächsten Sommerspielen erwartet: eine technisch anspruchsvolle Welle, bei der es vor allem darum geht, spektakuläre Sprünge und Drehungen zu zeigen.

Dem 26-jährigen Glatzer gelang das einen Tick besser als dem fünf Jahre jüngeren Elter. Für Glatzers sogenanntes „Air game“ in der sechsten und damit letzten Welle bekam er von den Punktrichtern die Höchstwertung: zehn Punkte. Somit ging schon jetzt sein Kalkül auf: Konzentration auf die Akrobatik. Wegen der verlässlichen Trainingsbedingungen hier war der ursprünglich in Costa Rica beheimatete Glatzer vor einem Jahr nach München gezogen. Für Martin Walz der richtige Schritt zum richtigen Zeitpunkt: „Die Surftown ist der Game-Changer in Sachen Leistungsstruktur.“ 

Beim Deutschen Wellenreitverband ist Walz einer von zwei Co-Bundestrainern, zuständig für High-Performance-Coaching. Nach zig Strand-Jahren in Australien sowie an Portugals Westküste hat er nun einen festen Arbeitsplatz: die Surftown. „Früher hatte ich 220 Reise-Tage im Jahr, habe bei den Qualifying-Series im VW-Bus am Strand gepennt, weil das Geld vorn und hinten nicht gereicht hat.“ Was nun mit der Surftown und den Trainingsmöglichkeiten am Olympiastützpunkt Bayern zur Verfügung stehe, „davon hat man vor zehn Jahren nicht mal zu träumen gewagt“. Konkret geändert habe sich die Skalierbarkeit: „Man kann jetzt strukturierter und nachhaltiger arbeiten.“ In zwei Wochen Trainingslager in Costa Rica oder El Salvador sei die Wellenausbeute einfach nicht so hoch wie hier, wo man eine ganz andere Wiederholungs-Schlagzahl erreiche: „Ein Weltklasse- oder ein Nachwuchs-Surfer braucht diese Schlagzahl in der Welle. Im Spitzensport gibt es die 10 000-Stunden-Regel“, sagt Walz und spielt darauf an, wie wichtig es ist, komplexe Abläufe immer wieder zu wiederholen: „In der Surftown kannst du in einem Monat so viele Wellen surfen wie sonst in eineinhalb Jahren.“ 

„Den Ozean lesen zu können“, bleibt „eine der wichtigsten Fähigkeiten“

Auch eine deutsche Meisterschaft in den Kategorien U14-, U16-, U18-Jugend, Frauen, Männer, Senioren, dazu noch Longboard und SUP in nur drei Tagen bei fairen Bedingungen durchzuziehen? Am Atlantik praktisch unmöglich. Und von den Zuschauerzahlen her dürfte diese Meisterschaft alle Vorgänger in den Schatten stellen: Am teilweise sonnigen Samstag waren alle Parkplätze voll und die Schlangen am Chili-con-carne-Stand lang. Am regennassen Sonntag dominierten Kapuzen und Wollmützen das Bild. „Es ist wie in den 60er-, 70er-Jahren, als die Pistenraupen alles planieren konnten: Zugang für alle! Letztlich haben wir jetzt ein Klubhaus“, jubelt Walz, „die künstliche Welle ist eine Weiterentwicklung, kein Ersatz“.

2025 könnte die Surftown Olympiastützpunkt werden, sagt Walz: „Trainingsstättenförderung gibt es erst nach zwei Olympia-Zyklen, und somit dürfen wir ab 2025 Strukturen aufbauen.“ Derzeit sehe die Kaderstruktur so aus: vier Frauen und vier Männer im Perspektivkader, also potenzielle Olympia-Starter. „Mehr lässt der Talentpool auch gar nicht zu. Es heißt immer noch Leistungssport. Das wird in der deutschen Surfkultur gern mal missverstanden.“ Für den Nachwuchs habe es bislang nur wenig Geld gegeben, da die Wellenreiter sportrechtlich noch auf „vorläufig olympisch“ gesetzt waren. Macht es dann Sinn, mit den Jungen nur im Wavepool zu trainieren? Das reiche nicht, sagt Walz: „Den Ozean lesen zu können, ist eine der wichtigsten Fähigkeiten. Wenn wir hier trainieren, werden die motorisch schnell besser, aber in Hawaii würden sie rauspaddeln und ertrinken, weil sie nicht wissen, wie der Ozean mit seinen Strömungen funktioniert.“ Deshalb müssten Junioren viel mehr am Meer sein. „Danach kann man wieder motorisch-akrobatisch arbeiten, wie Leon Glatzer das tut.“

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Deutsche Meisterschaft im Surfen
:Hallbergmoos statt Costa Rica

Leon Glatzer glaubt, dass er auf der künstlichen Welle in der Surftown besser und effektiver für Olympia trainieren kann als im Pazifischen Ozean. Also nahm er einen Umzug in Kauf, der sich erst einmal komisch anfühlte.

Von Thomas Becker

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