Zum Beispiel der Jubel, der ist neu. Hansi Flick hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren mit dem Zelebrieren von Toren oft eher zurückgehalten. Er machte zwar manchmal die Säge, er turnte sogar gelegentlich wild durch die Coaching-Zone, aber das waren die Ausnahmen; mit Sportvorstand Hasan Salihamidzic klatschte er sich bekanntlich eher pflichtschuldig ab.
Julian Nagelsmann dagegen boxt brüllend in die Luft, ein wenig so, als hätte er selbst getroffen. Und er ruft "Vamos!", spanisch für "Los!", was sich unter den Fußballern seiner Generation im Triumph etabliert hat.

FC Bayern in der Einzelkritik:Neuer nimmt Haaland in Manndeckung
Der Nationaltorwart gewinnt das Privatduell mit dem Ausnahmestürmer, Niklas Süle wagt sogar einen Ausflug - und Müller ehrt Müller. Der FC Bayern in der Einzelkritik.
Zwei Pflichtspiele ist diese Saison des FC Bayern nun alt, und man konnte nach dem 3:1 im Supercup in Dortmund schnell den Eindruck gewinnen, dass beim deutschen Rekordmeister alles beim Alten ist. Manuel Neuer zeigt spielentscheidende, krakenartige Paraden und hebt einen Pokal hoch (schon seinen sechsten Supercup), Robert Lewandowski schießt zwei entscheidende Tore (nun 24 in 24 Spielen gegen Dortmund), das war alles in den vergangenen Jahren schon der Fall und dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit so bleiben. Doch in den Details ist auch etwas anders. Ein wenig zumindest.
Wie Nagelsmann, 34, die Tore zu seinem ersten Sieg beim FC Bayern und damit gleichbedeutend seinen ersten Titel feierte, das zeigte noch etwas: Allen Beschwichtigungen über die Aussagekraft des Supercups für die nun folgende Saison zum Trotz, bedeutete ihm dieser Erfolg ganz schön viel. Dass er danach mit dem Verweis auf seine "Hamsterzähne" sagte, er würde von nun an gern ein "Titel-Hamster" sein, das könnte ein ikonisches Zitat für sein erstes Bayern-Jahr werden. In jedem Fall wird man es ihm in Zukunft noch mal vorlesen.
Nagelsmann lobt insbesondere seine Abwehr
Es waren bislang nicht ganz unkomplizierte Wochen für den an seiner Ablöse gemessen teuersten Trainer der Bundesliga-Geschichte an seinem neuen Arbeitsplatz. Der lange Urlaub der Nationalspieler, die davon beeinflusste Vorbereitung, die vier Testspiele ohne Sieg, der so feine wie kleine Kader, der Corona-Transfermarkt, bislang noch keine Einkäufe im Sommer - die kleineren Unannehmlichkeiten summierten sich so langsam.
Nagelsmanns Aussagen konnte man dabei oft so interpretieren, als würde er seine Zuhörer vorsorglich auf eine holprige Frühphase der Saison einstimmen wollen: Seine neuen Ideen werde er zu Beginn noch nicht einbringen können, er übernehme ja eine funktionierende Mannschaft, sagte er. Oder: Das Gewöhnen aneinander müsse im laufenden Betrieb geschehen, für Training fehle die Zeit. Und der beim 1:1 zum Auftakt gegen Mönchengladbach wenig überzeugende Dayot Upamecano, der Königstransfer für 42,5 Millionen Euro, der wie Nagelsmann von RB Leipzig kam? Der neue Abwehrchef? Die Bezeichnung sei nicht mehr "en vogue", sagte der Trainer. Und es werde vergessen, dass der Franzose noch ein junger Spieler sei.
Nun aber, nach dem Sieg gegen einen der stärksten Konkurrenten, nach diesem deutlichen Signal zum frühen Saisonzeitpunkt, konnte die Bewertung all der kleinen Probleme schon weitaus zuversichtlicher ausfallen. Insbesondere lobte Nagelsmann die Abwehr, die Innenverteidiger Upamecano und Niklas Süle, die gemeinschaftlich Dortmunds gefürchteten Stürmer Erling Haaland so kontrolliert hatten, dass er für seine Verhältnisse wenig in Erscheinung trat.
Beide hätten nach dem Auftaktspiel "nicht die besten Kritiken bekommen", sagte Nagelsmann, beide hätten ein "großes Erbe auf den Position anzutreten, wo zwei Weltklassespieler Bayern verlassen haben". Die Abwehr, das ist schließlich der einzige im Sommer rundum erneuerte Münchner Mannschaftsteil, weil David Alaba und Jérôme Boateng den Verein verließen. Doch Süle und Upamecano, sagte der Trainer, hätten "sehr gut" gespielt, "deutlich fehlerfreier, auch in der Offensive", im Spielaufbau. Gerade für Süle, bis zur EM im Sommer wohl Deutschlands meistkritisierter Verteidiger, scheint die Formkurve nach oben zu zeigen. Einmal wagte er sich dribbelnd gar bis zum gegnerischen Strafraum vor.
Der Trainer berichtet von einer Video-Analyse mit Goretzka und Kimmich im Hotel
Ein weiterer Spieler, der einen deutlich besseren Eindruck machte als zum Auftakt, war Leon Goretzka - und das hatte dann auch mit Nagelsmann zu tun. Gegen Gladbach hatte sich der Nationalspieler oft in den falschen Räumen bewegt: Er habe dem offensiveren Serge Gnabry auf den Füßen gestanden, so sagte es Goretzka selbst. Diesmal schien die Raumaufteilung zu passen. Und Nagelsmann berichtete von einer Video-Analyse mit Goretzka und Joshua Kimmich im Hotel am Tag vor dem Spiel.
Er werde "jetzt nicht alles erzählen", sagte der Trainer, doch es gehe um die richtige Position bei eigenem Ballbesitz, damit im Spielaufbau nicht zu viel Personal aus der Zentrale "verschenkt" werde, sondern sich stattdessen schon weiter vorne fürs Gegenpressing postiere. Alles dafür, um künftig weniger Gegentore zu kassieren als in der Vorsaison. Da waren sie also doch schon, die neuen Ideen, die er zu implementieren versucht.
Nagelsmann sprach nach dem Sieg in Dortmund nicht nur über das schwierige Erbe seiner Verteidiger, er sprach auch über das Erbe, das er selbst angetreten hat. Vorgänger Flick saß am Dienstag als Bundestrainer auf der Tribüne. Nagelsmann sagte: "Der Titel ist eine Belohnung für die letzte Saison. Das ist ein Titel, der Hansi und der Mannschaft gebührt." Allerdings fügte er hinzu: "Ich freue mich trotzdem. Ich glaube, das darf ich auch."