Süddeutsche Zeitung

Super Bowl:Der blamable Abend der Rams

Lesezeit: 3 min

Von Felix Meininghaus, Atlanta

Eine der vielsagendsten der tausend Zahlen, die von den statistikbesessenen Amerikanern im Vorfeld des Super Bowl verbreitet wurden, war jene, dass mehr als eine Million Arbeitnehmer am Tag nach dem Mega-Ereignis nicht arbeiten gehen. Das Ereignis elektrisiert ein Mal im Jahr das ganze Land, die USA sind von der Ost- bis zur Westküste so sehr vom weltgrößten Einzelsport-Event fasziniert, dass selbst der Broterwerb in den Hintergrund rückt.

Seit Tagen befand sich Atlanta im Ausnahmezustand: 1,5 Millionen Menschen - so die Schätzung - machten sich auf in die Gastgeberstadt des Super Bowl. Dabei kamen lediglich 70 000 in den Genuss, das Spiel live im Stadion verfolgen zu dürfen. Für die, die sich Downtown durch die Straßen schoben, konnte das Spektakel gar nicht laut, grell, bunt und überbordend genug sein. Tausende freiwillige Helfer wiesen den glücklichen Kartenbesitzern den Weg zum gigantischen Stadion, das im August 2017 seiner Bestimmung übergeben wurde und als modernste Sportarena der USA gilt. Dutzende Laienprediger teilten den vorbeihastenden Menschen mit, dass nur der Glaube den Weg weise und Jesus nie lüge.

Auf dem Boden lagen T-Shirts, auf denen vor allem der Anführer der vielfach verhassten New England Patriots verunglimpft wurde. "Tom Brady sucks" und "Tom Fuckin Brady". An einer Rolltreppe sprang eine junge Dame wie ein Flummi auf und ab und schrie die Botschaft heraus: "Have fun, guys, have fun." Weiter unten versuchte eine Blaskapelle, sich Gehör zu verschafen. Die Geräuschkulisse war ohrenbetäubend.

Ein echtes Problem für die NFL?

Die überwiegende Mehrheit der Fans bekannte sich zu den Patrioten aus Neuengland, Trikots der Los Angeles Rams waren überraschend wenig zu sehen, die Anhänger des Teams aus Kalifornien kaum zu hören. Es gab ja auch keinen Grund für sie, vor Begeisterung zu schreien. Eher, vor Entsetzen zu stöhnen - angesichts einer Leistung, die eines Finalisten nicht würdig war. Die Mannschaft von Trainer Sean McVay und Quarterback Jared Goff erwischte einen düsteren Abend, wie es ihn in der 53-jährigen Geschichte des Super Bowl noch nicht gegeben hat.

Am Ende stand eine 3:13-Niederlage, mit der die Rams neue Negativrekorde aufstellten: Keinen einzigen Punkt in der ersten Hälfte, ein Fieldgoal in der zweiten, keinen Touchdown im ganzen Spiel - blamabler hätte die Vorstellung kaum ausfallen können. "Es tut mir weh", klagte Quarterback Jared Goff: "Es ist unser Job, Punkte zu erzielen, und den haben wir nicht erledigt."

Auch Rams-Trainer Sean McVay gab sich sehr selbstkritisch: "Ich habe uns keine Chance gegeben, heute zu gewinnen. Ich weiß nicht, wie man jemals darüber hinwegkommen sollte. Ich wurde heute definitiv outcoached."

Überhaupt war der Super Bowl keine Veranstaltung, die das riesige Bohei im Vorfeld auch nur ansatzweise rechtfertigen konnte: 21 Punkte beim Super Bowl Nummer VII und 22 beim Super Bowl Nummer IX, das waren bislang die Tiefstwerte, die nun mit 16 Punkten locker unterboten wurden. Es gab noch sechs weitere Negativrekorde zu vermelden bei einem Event, das während des Matches kaum Adrenalin freisetzte. Terence Moore aus Atlanta, der in den Vereinigten Staaten zu den profiliertesten Sportjournalisten gehört, fand drastische Worte zum faden Spiel. Dies sei "der mit Abstand langweiligste Super Bowl überhaupt" gewesen, sagte Moore und verzog sein Gesicht: "Das war echt brutal, wenn es solche Spiele öfter gibt, hat die NFL ein echtes Problem."

Immerhin produzierte das größte Sportspektakel, das der Globus zu bieten hat, am Ende noch ein paar Helden, die vorgezeigt werden konnten. Allen voran Tom Brady und Bill Belichick. Der ewige Quarterback und der ewige Trainer der New England Patriots gewannen ihren sechsten Super Bowl während ihrer unglaublichen Liaison. Diese beiden Männer seien "die zwei Konstanten durch die letzten 18 Jahre", sagte Klubeigner Robert Kraft bei der Siegerehrung: "Sie sind das Beste, was Football zu bieten hat."

Was die Anzahl der Titel angeht, sind Belichick bei den Trainern und Brady bei den Spielern alleinige Rekordhalter. Der 41-jährige Brady machte gegen die Rams nun wirklich nicht das beste Spiel seiner einzigartigen Laufbahn. Das war auch nicht nötig, weil dem Gegner gar nichts gelang, und weil sich Brady auf seine wichtigsten Mitarbeiter verlassen konnte.

Neun Minuten vor Spielschluss, als das Spielgeschehen beim Stande von 3:3 träge vor sich hinplätscherte, forderte das Volk den Spielgestalter mit Sprechchören auf, endlich das Zepter in die Hand zu nehmen. Und siehe da, Brady lieferte. Sein Pass, den Tight End Rob Gronkowski zwei Yards vor der Endzone fing, war die Szene, die das Spiel entschied. Kurz danach legte Sony Michel den Ball hinter der Linie ab und sorgte für den einzigen Touchdown der Begegnung.

Wichtig war allerdings auch das jahrelang erprobte Zusammenspiel zwischen Brady und Wide Receiver Julian Edelman, der immer wieder vom Quarterback gesucht und gefunden wurde. Am Ende hatte Edelman 141 Yards zurückgelegt, der Mann mit dem mächtigen Bart wurde folgerichtig zum wertvollsten Spieler gewählt. Edelman, den Brady gerne als seinen "kleinen Bruder" bezeichnet, brachte eine Saison zum krönenden Abschluss, die für ihn gar nicht schön begonnen hatte: Wegen eines Doping-Vergehens musste der 32-Jährige eine Sperre von vier Spielen absitzen und startete verspätet in die Spielzeit. Der Held des Abends empfand die Eindrücke, die auf ihn einprasselten, als "ziemlich surreal" und hatte zu seinem Comeback die passenden Worte parat: "Harte Zeiten gehen vorbei, harte Typen bleiben."

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