Super Bowl:Ein kleines Lehrstück in Sportpsychologie

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Duell beim Händeschütteln: Rams-Coach Sean McVay (links) und Patriots-Trainer Bill Belichick. (Foto: dpa)
  • Vor dem Super Bowl werden die Los Angeles Rams mit vielen Fragen zur Klasse und Erfahrung der New England Patriots konfrontiert.
  • Die Rams um den sehr jungen Trainer Sean McVay nehmen es ein wenig genervt zur Kenntnis.
  • Eigentlich galten die Rams als das talentiertere Football-Team - sind nun aber bei den Wettbüros Außenseiter.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Sehr gemein ist das, was da gerade mit den Akteuren der Los Angeles Rams passiert, und wer nicht glaubt, wie hinterhältig es ist, der sollte die Wettquoten für das große Football-Finale betrachten. Die Rams galten bei den Buchmachern von Las Vegas zunächst als Favorit, weil sie im Vergleich zu den New England Patriots als talentierter gelten. Dann aber folgten der "Media Day" und die "Opening Night", und die Fragen an die Spieler aus Los Angeles lauteten: Ist Patriots-Coach Bill Belichick der beste Footballtrainer der Geschichte? Wie ist das eigentlich, wenn man weiß, dass New Englands Spielmacher Tom Brady jede Partie drehen kann, weil er das schon so oft und besonders oft beim Super Bowl getan hat? Seid ihr gegen diese Patriots besonders nervös?

Es fehlte nur noch, dass sie auf der Videowand die Tennisspielerin Venus Williams mit ihrem Satz über die Sportpsychologie zeigten: "Es gewinnt nicht immer der Bessere. Die meisten haben schon verloren, bevor sie auf den Platz kommen." Es kann einem zusetzen, wenn man vor einem wichtigen Spiel ständig mitgeteilt bekommt, wie toll der Gegner ist, und mittlerweile haben so viele Leute auf New England gesetzt, dass die Rams in den Wettbüros von Las Vegas als Außenseiter gelten.

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"Das ist schon ermüdend", sagte Rams-Trainer Sean McVay über diesen Medienabend, bei dem er derart viel reden musste, dass er am Ende heiser war: "Unsere Spieler dürfen den Rummel genießen, aber jetzt müssen wir uns zurückziehen und einen Plan für Sonntag erarbeiten." Das ist natürlich geflunkert, in Wirklichkeit haben sie bereits seit zwei Jahren einen Plan erarbeitet in Los Angeles, und auch wenn die Patriots nun als grimmige Erfolgsmaschine gezeichnet werden, so lässt sich doch feststellen: Die Rams haben die Teilnahme am Endspiel, so weit das in diesem Sport mit Gehaltsobergrenzen, Umverteilung über Draft-Picks und Transfer-Geschachere möglich ist, akribisch geplant, und sie sind nun überhaupt nicht überrascht, dass es geklappt hat.

McVay war erst 30 Jahre alt, als ihn die Rams vor zwei Jahren als Cheftrainer verpflichteten. Sie hatten nach dem Umzug aus St. Louis eine 4:12-Spielzeit hingelegt und brauchten einen, der diesen Laden ordentlich auseinandernimmt. McVay galt als mutig und visionär, als einer, der statt einer NFL-Franchise auch ein Silicon-Valley-Start-up leiten könnte. Sein wahres Können zeigte sich aber darin, dass er wusste, dass jugendlicher Elan und verrückte Spielideen nicht ausreichen, dass er ausgebuffte Erfahrung brauchte - also lockte er den damals bereits 70 Jahre alten Wade Phillips als Chef der Defensive nach L.A.

Phillips holte die Passverteidiger Marcus Peters und Aqib Talib, und dann stellte er dem besten Defensivspieler der Liga, Aaron Donald, den furchtlosen Veteran Ndamokung Suh an der Verteidigungslinie zur Seite. Die Strategie: immenser Druck auf den gegnerischen Quarterback und gleichzeitiges Abschirmen der Passoptionen. Immer noch sind die Rams anfällig gegen das Laufspiel und kurze Pässe in die Mitte - doch insgesamt lassen sie meistens so wenige Punkte zu, dass ihre Offensive, übrigens die spektakulärste der Liga, eine Chance hat, das Spiel zu entscheiden.

Im Angriff hatten sie für den jungen Spielmacher Jared Goff den Passempfänger Brandin Cooks geholt, von den Patriots übrigens, und der ist nun umso wichtiger, weil sich Kollege Cooper Kupp schwer verletzt hat. Und sie verpflichteten nach der Verletzung ihres besten Laufspielers Todd Gurley den Running Back C. J. Anderson, der nun so richtig durchstartet und gegnerische Defensiven einfach überrennt.

Die Rams haben diesen Kader explizit für diese Spielzeit geplant, und dabei hatten sie freilich auch Glück. Von allzu vielen Verletzungen blieben sie verschont. Wichtige Akteure wie Talib sind rechtzeitig in Bestform, Ersatzleute erwiesen sich als Verstärkung. Manchmal half auch der Zufall oder wie im Halbfinale in New Orleans eine Fehlentscheidung der Schiedsrichter - und wer wüsste das mit dem Glück besser als die Patriots, die Spielmacher Brady einst als Ersatzmann des Ersatzmanns des Ersatzmanns verpflichteten, und mittlerweile gilt er als bester Quarterback der Geschichte.

Die Rams haben das Kontrollierbare kontrolliert, und sie sind wegen cleverer Verträge auch langfristig gut aufgestellt. Bleibt dieses Spiel am Sonntag, bei dem sie plötzlich Außenseiter sind und diesen gemeinen Medientag erleben mussten. Der 24 Jahre alte Super-Bowl-Neuling Goff wurde neben den nun neunmaligen Teilnehmer Brady gesetzt, der Patriots-Quarterback sagte: "Der bekommt keine Hinweise von mir!" Coach McVay musste sich mit Belichick treffen, der den Handschlag so aussehen ließ, als würde ein Hund seinem Herrchen die Pfote reichen.

Die Patriots ziehen ihre Motivation auch daraus, dass sie von vielen für zu alt gehalten werden, für verbraucht. Das treibt sie dazu an, es den Nörglern mal wieder zu zeigen. Und was machen die Rams? Preisen die Patriots als Favoriten, Brady als den tollsten Spielmacher überhaupt und Belichick als Genie, das sich nicht übertölpeln wird lassen. Verteidiger Nickell Robey-Coleman sagte zwar über den 41 Jahre alten Brady, dass man dessen Alter nun doch sehen könne, stellte jedoch gleich klar: "Reißt mir das nicht aus dem Zusammenhang! Ich habe gesagt, wie großartig es ist, wie er trotz seines Alters noch auf diesem Niveau spielt. Er ist der Beste aller Zeiten!"

Nur so ein Gedanke: Könnte es vielmehr hinterhältig sein, was die Rams mit den Patriots gemacht haben? Könnte dieses einlullende Lob genau so geplant gewesen sein?

© SZ vom 01.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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