Super-Bowl-Sieg der Los Angeles Rams:Der große Triumph der Träumer

Die Los Angeles Rams gewinnen den Super Bowl, der so kalifornisch ist, dass die Cincinnati Bengals kaum gepasst hätten als Sieger. Die Partie verläuft wie ein waschechter Hollywood-Thriller.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Als Matthew Stafford nach der Halbzeitpause aus der Umkleide zurück aufs Spielfeld kam, überprüfte er seine rechte Wurfhand. Zwei Mal kurzes Pumpen mit der Faust, ein paar Fingerübungen, Wackler mit dem Daumen, und dann sah er sich diese Hand noch mal genauer an: Ist die Handfläche womöglich voller Schweiß? Er schüttelte, kein Witz, seinen rechten Arm und stellte sicher, dass er nicht zu schwer geworden war. Er verzichtete jedoch darauf zu gucken, ob die Knie wacklig waren, das wäre dann doch zu viel der Symbolik gewesen.

Der Rapper Eminem, aus Detroit stammend, hatte nur ein paar Minuten davor seinen unvergessenen Song "Lose Yourself" während einer grandios-kalifornischen Halbzeitshow dargebracht, in dem es darum geht, diese eine Chance, die einem das Leben bietet, auch zu nutzen - trotz wackliger Knie, schwerer Arme und Schweiß an den Händen. Stafford, zwölf Jahre lang bei den Detroit Lions und nun Quarterback der Los Angeles Rams, wurde vor Jahren mal gefragt: lieber Führung und an der Seitenlinie der Defensive vertrauen - oder Rückstand und den Ball in der Hand? Seine Antwort, ohne Zögern: "Ball in der Hand."

Es passierte beides in diesem Super Bowl, und genau deshalb gewannen die Rams eine angemessen wahnwitzige Partie mit 23:20 gegen die Cincinnati Bengals. Es ist nicht übertrieben zu sagen: L.A. gewann den Cali Bowl. Es war so typisch kalifornisch, was in Los Angeles passierte - von tropischen Temperaturen (30 Grad Celsius) über ein Halbzeit-Spektakel, das (zum ersten Mal in der Geschichte dieses Spiels) kalifornische Rap-Musik und die Lebenskultur von Los Angeles feierte, bis hin zu dieser Partie, die einem Thriller aus Hollywood gleichkam. Geht es noch kalifornischer? Ja, es roch im ganzen Stadion nach Marihuana - hier so legal (und so beliebt) wie Bier in Bayern.

Die Bengals schafften es fast, den Rams ihr "Finale dahoam" so richtig zu vermasseln

Stafford hatte durchaus wacklige Knie, einen schweren Arm und vor allem eine verschwitzte Hand zu Beginn der zweiten Halbzeit. Die Rams hatten geführt, erst 13:3, zur Halbzeit 13:10, doch dann erzielten die Bengals mit dem ersten Spielzug im dritten Viertel einen 75-Yard-Touchdown: 17:13-Führung für Cincinnati. Stafford hatte während der Pause erfahren, dass Odell Beckham Junior - der den ersten Rams-Touchdown gefangen hatte - wegen einer Knieverletzung ausfallen würde. Bei der ersten Serie nach dem weiten Touchdown von Bengals-Spielmacher Joe Burrow auf Tee Higgins warf Stafford einen Pass auf Beckham-Ersatz Van Jefferson, der den Ball in die Hände eines Gegners abfälschte, die Partie war komplett gedreht.

Die Bengals hatten das genauso gewollt, ihre komplette Strategie war darauf ausgelegt, den Rams das "Finale daheim" aber mal so richtig zu vermasseln; und sie wollten es so tun, wie sie das die kompletten Playoffs über getan hatten: den Gegner nerven und dann plötzlich und heftig zuschlagen. Ihre Musik zum Einmarsch und vor jedem bedeutenden Offensiv-Spielzug des Gegners - sie waren ja offiziell das Heimteam, also bestimmten sie über die Lautsprecher: "Welcome to the Jungle", das Guns-N'-Roses-Lied darüber, wie übel das alles ist in Los Angeles und dass einen diese scheinbar schillernde Stadt am Ende doch nur in die Knie zwingt.

Sportlich: kleine Nadelstiche gegen Stafford und seine Kollegen, absolut keine Fehler von Burrow trotz einiger verwegener Entscheidungen (riskante Pässe oder das Ausspielen des vierten Versuchs, anstatt den Ball zum Gegner zu treten), und doch auch mal Drei-Punkte-Field-Goals von Kicker Evan McPherson akzeptieren. Dem Field Goal in der ersten Halbzeit ging ein 46-Yard-Pass von Burrow auf College-Kumpel Ja'Marr Chase voraus, der Touchdown war ein Trickspielzug, bei dem Laufspieler Joe Mixon in die Endzone auf Higgins warf.

In "Welcome to the Jungle" gibt es die Textzeile: "Wenn dich was anlacht in dieser Stadt, dann greifst du irgendwann zu." Die Bengals griffen eiskalt zu, jedes Mal, und weil beide Teams nach dem spektakulären Auftakt zur zweiten Halbzeit nur jeweils ein Field Goal erzielten, hieß es ein paar Minuten vor Schluss: 20:16 für die Bengals.

Super-Bowl-Sieg der Los Angeles Rams: Leistete sich kaum einen Fehler und war am Ende trotzdem der Unterlegene: Bengals-Quarterback Joe Burrow.

Leistete sich kaum einen Fehler und war am Ende trotzdem der Unterlegene: Bengals-Quarterback Joe Burrow.

(Foto: Mike Segar/Reuters)

Es heißt in "Welcome to the Jungle" aber eben auch: "Du kannst alles haben, was immer du willst - aber du nimmst es besser mal nicht von mir." Die Rams hatten vor und während der Saison so ziemlich alles geopfert, vor allem das Wahlrecht bei den nächsten Talentbörsen, um diesen Kader zusammenzustellen. Dabei haben sie unter anderem diesen Quarterback geholt, der gesagt hatte, dass er lieber in Rückstand in Ballbesitz sei als umgekehrt. Genau das passierte, als hätte die Profiliga NFL, die für diese Partie auch alles kalifornisiert hatte (die Titelseite des Stadionhefts sah aus wie ein Filmplakat, am Westeingang war ein roter Teppich in Marathonstreckenlänge ausgelegt, die Halbzeitshow), einen Hollywood-Drehbuchautor fürs Finale des Endspiels engagiert.

Und dann zittern auch noch die Knie von Quarterback Stafford

Also dann: noch sechs Minuten zu spielen, Stafford hatte den Ball und eine grüne Fläche mit 78 Yards zu überbrücken. Es brauchte 19 Spielzüge, und es war wirklich alles dabei, was Football so faszinierend macht: Zitterhand von Stafford; erfolgreicher vierter Versuch; plötzlich ruhige Hand ohne Schweiß bei Stafford mit fünf erfolgreichen Pässen nacheinander, darunter ein 22-Yard-Wurf auf Passempfänger Cooper Kupp. Dann wieder Zitterhand bei Stafford, es waren jetzt nur noch ein paar Yards in die Endzone, doch es wollte nicht klappen.

Da eilten die Bengals zur Rettung, provozierten ein paar Strafen, brachten die Rams in eine gute Feldposition, nur noch vier Yards waren es bis zur Endzone. Da sorgte das Drehbuch für die nächste Pointe: Der Ball landete in der Endzone. Also Touchdown? Nein, es gab Strafen gegen beide Teams, kein Touchdown. Doch Cincinnatis Defensive wirkte nun müde, nach einer weiteren Strafe gegen die Bengals fehlte den Rams bloß noch ein Yard. Stafford probierte es selbst mit einem Lauf, doch waren nun die Knie weich. Aber dann: Stafford aus kurzer Distanz mit einem präzisen Pass in die Endzone auf Kupp, der insgesamt acht Pässe für 92 Yards und zwei Touchdowns fing und deshalb zum wertvollsten Spieler der Partie ernannt wurde.

Super-Bowl-Sieg der Los Angeles Rams: Der Mann des Spiels: Cooper Kupp feiert im Konfettiregen mit seiner Familie.

Der Mann des Spiels: Cooper Kupp feiert im Konfettiregen mit seiner Familie.

(Foto: Mike Segar/Reuters)

Nur: Die Partie war da noch nicht vorbei, es waren noch 85 Sekunden zu spielen, und Burrow hatte in den Playoffs bewiesen, wie cool er ist - und er brauchte ja nur ein paar Yards, um seinem Kicker McPherson, noch so einer mit Nerven aus Stahl, die Chance auf den Ausgleich und damit Verlängerung zu ermöglichen. Die Rams allerdings haben nun mal Aaron Donald, den besten Verteidiger der Liga. Der war nun zur Stelle, als Burrow das Comeback starten wollte. Er teilte ihm über seine Spielweise mit, was Guns-N'-Roses-Sänger Axl Rose den Besuchern von L.A. zur Begrüßung in "Welcome to the Jungle" zuruft: "You're in the Jungle, Baby - you're gonna die." Donald riss Burrow zwei Mal nacheinander um, das Spiel war vorbei.

Die Rams haben, wie man das in L.A. nun mal gerne tut, alles auf diese eine Karte gesetzt, sie haben so ziemlich auf alles gepfiffen, vor allem die Zukunft, um im Hier und Jetzt den größtmöglichen Erfolg zu erreichen. So was trauen sich nur Träumer, und davon gibt es genug in dieser Stadt. Stafford ist vor der Saison so ein L.A.-Träumer geworden; nun stand er auf dem Spielfeld und realisierte so langsam, dass sich dieser Traum wirklich erfüllt hatte. Aus den Lautsprecher dröhnte "I Love L.A." von Randy Newman, und es roch nach Marihuana.

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