Super Bowl:Könige, Türme und Springer beim Rasenschach

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Hinter dem scheinbar öden Sieg der New England Patriots steckt eine taktische Meisterleistung ihres 66-jährigen Chefcoaches Bill Belichick.

Von Jürgen Schmieder, Atlanta/Los Angeles

Da saß er nun, der erst 33 Jahre alte Footballtrainer Sean McVay, der als Genie gilt und als einer, der als Silicon-Valley-Unternehmer längst Milliardär wäre. Nach diesem Super Bowl allerdings, nach der 3:13-Niederlage seiner Los Angeles Rams gegen die New England Patriots, da wirkte McVay nicht wie ein Genie oder wie der Chef eines Startups, sondern wie ein Kind im Sandkasten, dem der ältere und stärkere Widersacher gerade die Burg kaputt getreten hat. "Ich bin gerade ziemlich benebelt", sagte McVay mit heiserer Stimme, er wollte die Partie gar nicht detailliert analysieren: "Was das alles so schlimm macht: Es ist so endgültig, ich kann meine Fehler nicht wieder gutmachen. Ich habe heute als Trainer eine Lehrstunde bekommen."

Es gibt zwei Lesarten für dieses Finale der amerikanischen Football-Profiliga NFL. Wer auf eine spektakuläre Partie mit abenteuerlichen Spielzügen und vielen Punkten gehofft hatte wie im vergangenen Jahr, als die Philadelphia Eagles 41:33 gegen die Patriots gewannen, dürfte wohl nur von der langweiligen Halbzeitshow der kalifornischen Poprock-Kapelle Maroon 5 schlimmer enttäuscht gewesen sein als vom Geschehen auf dem Spielfeld. Zum besseren Verständnis, warum alle Freunde von Spektakel-Football so ernüchtert waren, seien die Resultate sämtlicher Angriffssequenzen der Rams aufgelistet: Punt, also ein wegen mangelnden Raumgewinns nach vorne getretener Befreiungschlag. Punt. Punt. Punt. Punt. Punt. Punt. Punt. Field Goal. Punt. Interception, also ein abgefangener Ball. Verschossener Field-Goal-Versuch.

"Das fühlt sich gerade an wie ein Tritt in die Magengegend, und ich habe das Gefühl, dass dieser Schmerz erst einmal nicht nachlassen wird", sagte McVay. Es liegt nahe, den unerfahrenen Cheftrainer und die größtenteils unerfahrenen Offensivspieler für die schlimme Niederlage verantwortlich zu machen. "Wir haben verloren, weil ich nie ein Gefühl für diese Partie entwickelt habe und uns deshalb keine Chance auf den Sieg gegeben habe", sagte McVay; sein erst 24 Jahre alter Spielmacher Jared Goff ergänzte: "Es ist unser Job, Punkte zu erzielen - das haben wir nicht getan. Das ist die schlimmste Niederlage meines Lebens, gerade weil uns die Defensive im Spiel gehalten hat. Es ist schrecklich."

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(Foto: Mike Segar/Reuters)

Sprung in die Endzone als Daumenkino: Sony Michel fliegt zum einzigen Touchdown im Super Bowl.

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(Foto: Mark J. Rebilas/USA TODAY Sports)
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(Foto: Timothy A. Clary/AFP)
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(Foto: Mike Segar/Reuters)
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(Foto: Matthew Emmons/USA TODAY Sports)
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(Foto: Maddie Meyer/AFP)

Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, diese Partie und ihren Ausgang zu beschreiben, dafür braucht es der Vollständigkeit halber die Resultate sämtlicher Angriffssequenzen der Patriots: Interception. Verschossener Field-Goal-Versuch. Punt. Field Goal. Punt. Ballverlust wegen mangelnden Raumgewinns. Punt. Punt. Punt. Touchdown. Field Goal. Ja, es war für Offensiv-Ästheten tatsächlich so öde, wie sich das nun liest.

Allerdings wird Football nicht umsonst immer wieder mal "Rasenschach" genannt, und für all jene, die sich für Taktik begeistern können, für das Übertölpeln des Gegners über geschickte Defensivformationen, für das Pokerspiel zwischen zwei Trainern, dürfte dieses Endspiel ein Leckerbissen gewesen sein. Es geht beim Football auch darum: Was hat der Gegner vor? Was denkt er, dass wir dagegen tun? Was denkt er, dass wir denken, dass er denkt, dass wir tun werden? Denkt er, dass wir das Gegenteil von dem tun werden, was er gerade denkt? Ja, Football ist tatsächlich so kompliziert und strategisch interessant, wie sich das nun liest.

Dem Patriots-Trainer Bill Belichick ist mal wieder eine taktische Meisterleistung in einem Endspiel gelungen, gerade in der Defensive. Er hat durch seine Formationen permanent Anstürme auf den gegnerischen Spielmacher Goff angedeutet, nur: Wer mit möglichst vielen Leuten Druck ausüben will, der hat weniger Spieler zur Deckung zur Verfügung. Belichick erreichte genügend Druck mit wenigen Akteuren, die er geschickt ausschwärmen ließ, er konnte so genügend Leute zum Abdecken möglicher Passempfänger abstellen. Goff wirkte fahrig, überfordert, entnervt. Es ist das Verdienst von Belichick, dass er das war. "Er hat eine perfekte Mischung gefunden, mit der wir nicht zurecht gekommen sind", sagte McVay über den doppelt so alten Belichick, dem freilich half, dass der Rams-Laufspieler Todd Gurley aufgrund einer offensichtlichen Verletzung nur bedingt einsatzfähig gewesen war und dessen Ersatzmann C.J. Anderson einen unterdurchschnittlichen Tag erwischt hatte.

Die Patriots-Offensive brachte lange Zeit selbst kaum brauchbare Spielzüge zustande. Es war eine Partie, bei der die jeweiligen Kontrahenten die Offensivstärke des Gegners derart respektierten, dass sie unbedingt herausragend verteidigen wollten in der Hoffnung, dass die eigene Offensive schon irgendwann punkten würde. So passierte, was bei Endspielen mit Patriots-Beteiligung schon oft passiert ist: Tom Brady führte sein Team genau dann in die gegnerische Endzone, wenn es darauf ankam - im Schlussviertel. Auch das war eine taktische Meisterleistung: Brady bediente während der ganzen Sequenz nur einmal den ansonsten überragenden Receiver Julian Edelmann (zehn gefangene Pässe für 141 Yards Raumgewinn), er spielte vielmehr häufiger auf Rob Gronkowski, in die Endzone lief dann der Liganeuling Sony Michel.

Dieses Finale war nicht nur ein Lehrstück von Belichick, der bei seinen mittlerweile sechs Titeln als Cheftrainer beim Rasenschach nur den König Brady als Konstante auf dem Spielfeld hatte. Es war ein Symbol dafür, warum diese Franchise seit rund 20 Jahren erfolgreich ist: Alle sind wichtig, Gronkowski zum Beispiel ist ein mächtiger Turm; der zu Saisonbeginn wegen eines Dopingverstoßes für vier Partien gesperrte und nun als wertvollster Spieler des Finales ausgezeichnete Edelman fungiert als Springer. Nur: Jeder ist austauschbar auf dem Patriots-Schachbrett, und es gibt keine Dame, also keine Diven, mit der sich zum Beispiel die Pittsburgh Steelers dauernd herumschlagen müssen: Deren Laufspieler LeVeon Bell streikte die ganze Saison, ihr Passempfänger Antonio Brown kam einmal einfach nicht zu einem Spiel.

"Die Rams sind eine großartige Mannschaft mit einem großartigen Trainer", sagte Belichick danach in Richtung des geknickten McVay; auf die Frage nach dem taktischen Leckerbissen antwortete er: "Das waren alles die Spieler: Sie haben die Läufe aufgehalten, die Gegenspieler umgerissen, die Passempfänger gedeckt." Das ist der so genannte Patriots Way, den Belichick seinen Spielern einimpft und selbst vorlebt: Niemand ist wichtiger als das große Ganze, nicht mal der Trainer.

© SZ vom 05.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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