Andy Reid und Patrick Mahomes:Zwei Experten, die sich vertrauen

Andy Reid, Patrick Mahomes

Trainer Andy Reid und Quarterback Patrick Mahomes.

(Foto: AP)
  • Der Triumph über die San Francisco 49ers bedeutet für Kansas-City-Chiefs-Trainer Andy Reid den ersten Super-Bowl-Erfolg seiner Karriere.
  • "Er ist einer der besten Trainer der Geschichte, aber das war er auch schon vor diesem Spiel", sagt Quarterback Mahomes über Reid.
  • Die beiden bilden ein Gespann, das sich gegenseitig zu Bestleistungen antreibt und so das Selbstvertrauen des anderen stärkt.

Von Jürgen Schmieder, Miami/Los Angeles

Super-Bowl-Champion. Das steht künftig auf der Visitenkarte von Andy Reid, 61, dem Trainer der Kansas City Chiefs, die am Sonntag das Endspiel der US-Footballliga NFL mit 31:20 gegen die San Francisco 49ers gewonnen haben. Bislang waren dort - im übertragenen Sinne natürlich - eher weniger schmeichelhafte Bezeichnungen vermerkt. "Unvollendeter" zum Beispiel. Oder "ewiger Zweiter", was vor allem an der Notiz auf der Rückseite liegt. Da stand nämlich bislang ein Rekord, der niemandem, der in seinem Leben je einen Wettkampf absolviert hat, große Genugtuung verschaffen dürfte: Bis zu diesem Sonntag hatte kein Cheftrainer so viele NFL-Spiele wie Reid gewonnen - 221 -, ohne je einen Titel zu holen.

Es gibt kaum etwas Nervenzehrenderes für einen Sportler, als jahre- oder jahrzehntelang diesen einen Pokal zu jagen, Charles Barkley (Basketball), Ivan Lendl (Tennis) oder Colin Montgomerie (Golf) sprechen immer wieder mal darüber. Es muss deshalb nach diesem Super Bowl vom Sonntag um Patrick Mahomes gehen, den Spielmacher der Chiefs, der nach dem Triumph angekündigt hat, neben dem neuen Vermerk "Super-Bowl-Champion" künftig noch ein paar Striche anfügen zu wollen. Er ist ja erst 24, er hat noch ein paar Jahre vor sich. Aber es ist eben auch der Abend des Trainers Reid gewesen in Miami.

Zunächst zu Mahomes. Der Quarterback der Chiefs hatte mal wieder nervös begonnen, wie schon im Viertel- und im Halbfinale musste seine Mannschaft einen zweistelligen Rückstand (diesmal: 10:20 nach drei Spielvierteln) verarbeiten. Mahomes' sonst so präziser Arm hatte die Präzision einer Schrotflinte; zwei Mal, im dritten und vierten Viertel, warf er den Ball gar in die Hände eines Gegenspielers. Ein 24 Jahre alter Lümmel, im ersten Finale seiner Profikarriere - sollte Mahomes nach einem derart durchwachsenen Spielverlauf vor den Augen von mehr als 100 Millionen Amerikanern implodieren? Er tat es nicht, im Gegenteil: Er blühte auf.

Mahomes hatte schon früh im Spiel einen Touchdown-Lauf geschafft, bei dem er zwei Mal einen Wurf antäuschte und dann doch selbst in die gegnerische Endzone stürmte. Zu Beginn des Schlussviertels warf er dann diesen 44-Yard-Pass auf Tyreek Hill, der die scheinbar schon geschlagenen Chiefs im Spiel hielt und den Comeback-Touchdown einleitete. Und er passte kurz vor dem Ende präzise auf Damien Williams zur Führung. Diese Coolness auf größtmöglicher Bühne, zumal nach seinen Fehlern, das ist der Stoff für amerikanische Sport-Heldensagen. Kollege Hill arbeitete auch sogleich an der Legendenbildung: "Ich war verzweifelt, doch er sagte: 'Du musst dran glauben, Bruder. Es wird klappen, ich fühle das.' "

Reid gilt als detailversessenes Genie

All das erzählt viel über die Fähigkeiten und das Selbstvertrauen von Patrick Mahomes, dem Wahnwitzigen, es erzählt aber noch mehr über den, der diese Fähigkeiten und dieses Selbstvertrauen gefördert hat: Andy Reid. "Er ist einer der besten Trainer der Geschichte, aber das war er auch schon vor diesem Spiel", sagte Mahomes danach. Er weiß freilich, dass all die Titelzähler nicht interessiert, wie hart einer arbeitet (Mahomes: "Der kommt um drei Uhr morgens und geht um elf Uhr abends - ich muss es wissen, weil ich versucht habe, eher zu kommen und später zu gehen als er") oder wie sehr einer von den Akteuren respektiert wird. Am Ende zählen Titel, und als bester Trainer gilt derjenige, der die meisten davon gewinnt.

Die Beziehung zwischen Trainer und Spielmacher beim American Football gilt als die heikelste in Teamsportarten, siegreiche Gespanne wirken oft wie Jedi-Ritter-Gefährten aus den "Star Wars"-Filmen: Es gibt den Lehrmeister, den Coach, und den Schüler, den Quarterback, nirgends wird das so deutlich wie beim erfolgreichsten Duo der Geschichte. Bill Belichick und Tom Brady gewannen bei den New England Patriots gemeinsam sechs Titel, und dass mindestens zwei davon im Verdacht stehen, mit unlauteren Mitteln erreicht worden zu sein, interessiert die meisten Titelzähler nicht. Belichick gilt als bester Trainer, Brady als bester Quarterback der Geschichte.

Reid dagegen gilt als detailversessenes Genie in einer Sportart, die Rasenschach genannt wird, weil sich Akteure bei der Spielzugplanung wie Schachfiguren übers Feld schieben lassen. Reid galt bislang aber auch als jemand, der in unvorhersehbaren Situationen in großen Partien nervös wird. Nach dem Super Bowl 2005 wurde dem damaligen Trainer der Philadelphia Eagles vorgeworfen, vom Patriots-Coach Belichick übertölpelt worden zu sein.

Reids Reaktionen auf Mahomes' Interceptions: Schulterzucken

Warum sollte ausgerechnet Reid einen Quarterback haben wollen, der eine anarchische Spielweise pflegt wie Mahomes, der auch schon mal mit dem falschen Arm wirft? Nun, es gehört zu den Erkenntnissen von Reid, dass sich viele Faktoren, die über den Ausgang eines Footballspiels entscheiden, nicht kontrollieren lassen. Dieses Mantra wurde ihm bisweilen als Ausrede für die fehlenden Titel ausgelegt; mit der Verpflichtung von Mahomes, den bei der Talentbörse 2017 neun Vereine übergangen hatten, schien er seine These belegen zu wollen. Er lieferte sich dem Unvorhersehbaren aus.

Patrick Mahomes wurde dann in der vergangenen Saison zum wertvollsten Spieler gewählt, in den Playoffs jedoch verloren die Chiefs gegen den späteren Meister New England, und Reid wurde danach wieder vorgeworfen, von Belichick übertölpelt worden zu sein. Reid ließ sich nicht davon verunsichern, und er impfte Mahomes ein, sich nur nicht verrückt machen zu lassen wegen dieser unverdienten Niederlage. Reids Reaktion war ein Schulterzucken und die damit verbundene Botschaft an den jungen Spielmacher, trotz Rückschlägen weiter an sich zu glauben.

Und wer nun wissen will, was das bedeutet, der sollte sämtliche Playoff-Partien der Chiefs aus dieser Saison, vor allem aber den Super Bowl noch einmal angucken und dabei nur auf Reid achten.

Die Reaktion auf die erste Interception (vom Gegner abgefangener Vorwärtspass) von Mahomes: ein Schulterzucken. Auf die zweite Interception: Schulterzucken. Reid - ein Trainer, dem im 20. Jahr als Chefcoach vorgeworfen wird, die wichtigen Partien zu verlieren -, er blühte trotz dieses Rückstands nun ebenfalls auf. Er ging zu Beginn des Schlussviertels zu Mahomes und sagte, dass er nur ja nicht weniger riskieren solle: "Das wird schon. Wir haben schon öfter aufgeholt, wir schaffen das wieder." Der trug die Botschaft weiter an die Mitspieler, die Chiefs holten auf und sicherten sich ihren ersten Titel seit 50 Jahren.

Reid und Mahomes bilden ein Gespann, das weniger an ein Duo Lehrmeister/Schüler erinnert als an zwei Experten auf ihrem jeweiligen Gebiet, die einander vertrauen und sich gegenseitig zu Bestleistungen antreiben. Sie wissen, was sie aneinander haben, aber sie wissen auch, dass Titelzähler nur Titel interessieren. "Ich muss an meiner Ballsicherheit arbeiten. Vielleicht stehen ja am Dienstag im Training ein paar Drills an", sagte Mahomes. Ein Scherz, gewiss, niemand wird am Dienstag trainieren, der Satz danach war jedoch keiner: "Ich will noch viel mehr Titel gewinnen, und ich beginne bald mit der Arbeit."

Chefcoch Reid sagte, dass er bereits am Montag anfangen wolle, die Titelverteidigung zu planen. Er wolle ein bisschen feiern, aber eigentlich wolle er das tun, was er nach Partien immer tue: "einen Cheeseburger essen und ins Bett gehen" - wenn auch diesmal "den größten Cheeseburger, den ihr je gesehen habt". Nach allem, was über Andy Reid bekannt ist, aß er also einen Cheeseburger und ging ins Bett. Nur tat er das zum ersten Mal als Super-Bowl-Sieger.

Zur SZ-Startseite
Patrick Mahomes

Super-Bowl-Sieger Kansas City
:"Wir haben immer an ihn geglaubt"

Im Super Bowl liegen die Chiefs kurz vor Schluss gegen die 49ers zurück - auch, weil Patrick Mahomes verwundbar wirkt. Doch der Quarterback startet eine Aufholjagd, die Stoff für eine Heldensaga liefert.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: