Super Bowl:Der Super Bowl, ein Hollywood-Drama

Riesenrückstand, der Held liegt am Boden, alles scheint verloren - aber dann rafft er sich auf und führt seine Leute zum Triumph: Der Sieg der New England Patriots folgt einem Drehbuch wie aus der Traumfabrik.

Von Christopher Meltzer

Tom Brady kniete auf dem Spielfeld, die Nasenspitze nur Zentimeter vom Rasen entfernt. Von der Seite kreisten die Fotografen ihn ein, von oben regneten Konfetti-Schnipsel auf ihn nieder. Blaue, weiße, rote; es waren die Klubfarben der New England Patriots, die nach dem dramatischen 34:28-Overtime-Sieg gegen die Atlanta Falcons mal wieder einem Super Bowl die finale Wendung gaben. Und es war Brady, der mit seinem fünften Titel das eigene Meisterwerk vollendete.

Mehr als zwei Stunden zuvor hatte Brady schon einmal in ähnlicher Pose verharrt. Nur ohne die Fotografen, ohne das Konfetti, und vor allem ohne die Aussicht, dass am Ende dieses wichtigsten Footballspiels der Welt die Konfetti-Schnipsel seines Klubs fliegen würden.

Die erste Halbzeit war noch nicht abgeschlossen, da hatte Brady einen Hechtsprung vollführt. Wenn New Englands Spielmacher hechtet, ist der Anlass stets ein besonderer. Meistens macht er das, um den Football in die Endzone zu schleppen. Dieses Mal aber streckte er sich in der Hoffnung, einen eigenen Fehler zu entschärfen. Gerade hatte Brady den Ball in die Arme von Atlantas Robert Alford geschleudert, der natürlich unverzüglich losgeflitzt und nach wenigen Metern auf Bradys Radar aufgetaucht war. Also hechtete er. Vergebens.

Und während Atlantas Verteidiger dem 21:0 entgegentänzelte, lag da, auf dem Super-Bowl-Spielfeld in Houston, die Nasenspitze nur Zentimeter vom Rasen entfernt, Tom Brady, 39, der vielleicht beste Quarterback der Geschichte.

Nur wollte ihm das lange nicht gelingen. Oder Atlanta wollte es ihm lange nicht gelingen lassen. Die Falcons-Verteidiger setzten Brady flott unter Druck, immer wieder schlängelten sie sich an den Beschützern des Spielmachers vorbei und stürzten sich auf ihn. Das Laufspiel bremsten sie mit gut gezielten Tacklings ein, die Passverteidiger ließen sich nur selten abhängen. Mickrige drei Zähler sammelten die Patriots in der ersten Halbzeit ein. Da staunten die Experten. Nun gilt Atlantas Cheftrainer Dan Quinn als einer der schlauesten Abwehrstrategen der NFL. Der 21:3-Pausenstand überraschte dennoch sehr, weil den Falcons zuvor immer die fähigen Verteidiger gefehlt hatten, um diese schlauen Ideen umzusetzen - und weil New Englands raffinierte Offensive normalerweise selbst die schlauesten Abwehrreihen auszuhebeln vermag.

Als Atlanta im dritten Viertel aber bereits zum vierten Mal in die Endzone eindrang und die Falcons sogar mit 25 Punkten Vorsprung führten, fragten sich selbst die stolzen Patriots-Fans, wie ihre Mannschaft diese Kombination aus explosivem Angriff und stabiler Abwehr austricksen sollten.

Atlanta trickst sich selbst aus

Doch dann trickste sich Atlanta auch selbst aus. Als New England sich entschied, den Ball fast ausschließlich durch die Luft zu bewegen, also auf Passspiel statt Laufspiel zu setzen, versäumten es die Falcons, ihre Strategie daran anzupassen. Sie erhöhten den Druck auf Brady nicht, fielen nicht mehr über ihn her, schüttelten ihn nicht mehr durch. Als der Spiellenker der Patriots endlich mehr Zeit und Ruhe bekam für seine Spielzüge, narrte er Atlantas Abwehr.

Dass sich Brady aus den kompliziertesten Stellungen entfesselte, machte offensichtlich sein Gegenüber nervös. Falcons-Quarterback Matt Ryan hatte eine wunderbare Partie gespielt, doch dann verlor er plötzlich die Präzision. Und im entscheidenden Moment auch die Unterstützung seiner Helfer. Atlanta hatte sich in Field-Goal-Distanz vorgearbeitet, da schlüpfte ein Patriots-Rambo durch Ryans Beschützerreihe und riss den Spielmacher nieder. Kurz darauf foulte ein Atlanta-Spieler, die Falcons mussten noch weiter zurück und verloren den Ball. Und so die Chance, mit einem einfachen Field Goal das wohl vorentscheidende 31:20 zu schaffen.

Stattdessen übernahm Brady. Er führte New England erst zum Ausgleich, dann in die Verlängerung. Dort hatten die Patriots das Glück, vom Münzwurf bevorzugt zu werden. Sie durften als erste Mannschaft angreifen und schafften es über Running Back James White in die Endzone. Atlanta durfte da nicht mehr kontern, so sehen es die Regeln vor. Doch Brady erzwang das Glück auch. Er stellte Rekorde für Pass-Yards (466) und angekommene Pässe (43) auf, später wählte ihn die NFL zum wertvollsten Spieler (MVP) des Super Bowls. Er hob die Super-Bowl-Trophäe in die Höhe, zum fünften Mal - so oft wie kein anderer Quarterback in der Geschichte der NFL.

Sein Bauchplatscher wird dennoch in Erinnerung bleiben, er ist Teil seines Vermächtnisses. In den USA wird eine sportliche Heldentat noch überhöht, wenn ihre Dramaturgie stimmt. Wenn einer im Staub liegt, schon geschlagen scheint, um doch noch aufzustehen und nie Gesehenes schafft. Gutes, altes Hollywood eben. Tom Brady und die New England Patriots boten all das: Eine erste Halbzeit, in der ihnen wenig gelang und dem Gegner alles. Eine aufmüpfige Falcons-Mannschaft, die ihr trickreiches Offensivspiel vorführte, eine erstaunlich robuste Abwehr präsentierte und sich zwischendrin einen 25-Punkte-Vorsprung erarbeitet hatte. Eine Verlängerung, die es in der Geschichte des Super Bowls noch nie gegeben hatte. Und eben einen Helden - der wie so oft Tom Brady hieß.

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