Missbrauch in Südkorea:Martyrium für den Traum von den Ringen

March 16 2018 Montreal Canada SHIM SUK HEE of Korea during qualifying for the ISU World Short; Shim Suk-hee

Shorttrack-Olympiasiegerin Shim Suk-hee hat den Missbrauch durch ihren Trainer publik und dadurch die Ermittlungen in Gang gebracht.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Der Bericht zu Missbrauchsfällen in Südkorea sollte niemanden kalt lassen. Er zeigt auf, was Medaillenwahn anrichten kann.

Kommentar von Thomas Hahn

Südkorea ist weit weg. Kimchi und K-Pop sind okay. Der Fernseher aus Fernost funktioniert auch. Und die Sitten sind anderswo eben anders. Mancher könnte also meinen, diesen Bericht der Nationalen Menschenrechtskommission (NMK) aus Südkorea vom Missbrauch in den Sportschulen des Landes müsse man nicht zu wichtig nehmen. Auch wenn das natürlich niemand gut findet, dass laut NMK-Bericht 14,7 Prozent aller südkoreanischen Sporttalente körperlicher Gewalt ausgesetzt sind und vier Prozent sogar sexueller Gewalt.

Dieser Bericht sollte aber niemanden kalt lassen, denn er erzählt nicht nur von den empörenden Missbrauchsfällen. Er zeigt auf, wie Medaillenwahn und blindes Leistungsstreben die grundlegenden Rechte von jungen Menschen beschneiden können. Siege von Athletinnen und Athleten werden gebraucht von Industriellen, Politikern, Fernsehsportlern. Dabei gerät zu leicht aus dem Blick, dass diese Hochbegabten keine Superleute mit unerschöpflichen Kräften sind, sondern Menschen, die Pausen brauchen, denen Fehler unterlaufen und die man nicht zum Crash-Test-Dummy unerfüllter Trainerfantasien machen kann.

Südkoreas Gesellschaft ist erst noch auf dem Weg zu verstehen, dass Erwartungen junge Menschen kaputt machen können, wenn man sie nicht richtig dosiert. Im Sport zeigt sich das besonders, weil neben dem Ehrgeiz vieler Eltern zu oft auch noch das Machtstreben schlechter Trainer dazukommt. Viele Talente werden daran gescheitert sein. Wer weiß, was aus ihnen geworden ist, als das System sie dann achtlos ausspuckte.

Der umfassende Report, den südkoreanische Menschenrechtler mit Regierungsvertretern erstellt haben, spiegelt eine olympische Wirklichkeit. Der Drill, der teilweise an südkoreanischen Sportschulen herrscht, gehört zur Traumfabrik unter den Ringen, die angeblich für die Werte der Bewegung und des Fairplay stehen. Gerade in diesem olympischen Jahr mit den Spielen in Tokio sollte man sich diesen Bericht deshalb genau anschauen. Man sollte sich bewusst machen: Manche Olympiateilnehmerinnen und Olympiateilnehmer haben ein Martyrium hinter sich, an dem andere zerbrochen sind.

Das Internationale Olympische Komitee sollte von den Kollegen in Südkorea verlangen, nicht an der Forderung eines Systemwechsels vorbei zu schweigen, wie sie das gerade tun. Und die Shorttrack-Olympiasiegerin Shim Suk-hee sollte ein Denkmal bekommen. Sie hat den sexuellen Missbrauch durch ihren Trainer bekannt gemacht. Sie hat die Vorlage zum NMK-Report geliefert. Sie hat ein Tabu gebrochen. Wenn Südkoreas Verbände daraus die richtigen Schlüsse ziehen, kann ihr Mut Leben retten.

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